Sekundär progrediente multiple Sklerose

Gehfähigkeit bleibt mit Siponimod länger erhalten


Dr. rer. nat. Stefan Fischer, Stuttgart

Der Übertritt einer schubförmigen in eine sekundär progrediente multiple Sklerose lässt sich nur schwer festmachen. Wahrscheinlich kommt es bereits unter Schüben zu einer schubunabhängigen Progression. Daher stellt sich die Frage, wann Optionen wie das in Deutschland noch nicht zugelassene Siponimod eingesetzt werden sollten. Darüber diskutierten die Vortragenden eines Symposiums auf der Jahrestagung 2019 der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Firma Novartis organisierte die Veranstaltung.

Von einer sekundär progredienten multiplen Sklerose (SPMS) spricht man, wenn die Behinderung unabhängig von eventuellen Schüben fortschreitet. Dieses Fortschreiten spricht nicht auf die schubmodifizierende Medikation an. Es kann von zusätzlichen Schüben begleitet sein – später bleiben Schübe meist aus. Der Übergang von einer schubförmig-remittierenden MS (RRMS) zur SPMS kann oft nur im Nachhinein zeitlich festgemacht werden.

Therapie der sekundär progredienten MS

Bildgebung und klinische Beobachtungen sprechen dafür, dass es sich bei schubförmiger und nicht schubförmier Progression um zwei sich überlappende Prozesse handelt.

Der Nachweis der Wirksamkeit von Interferon beta (IFN-β) bei SPMS basiert hauptsächlich auf der Studie European SG von 1998. Weitere Studien haben keinen Effekt auf die Zunahme des Werts auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS) gezeigt. Der Effekt von IFN-β in der European-SG-Studie ist möglicherweise auf eine Schubreduktion durch das Medikament zurückzuführen. In der Studie hatte noch ein relativ hoher Anteil der Patienten einen schubförmigen Verlauf (62 % im Vergleichsarm). Die schubunabhängige Progression beeinflusste IFN-β wahrscheinlich nicht.

Die einzige andere Option für Patienten mit SPMS ist Mitoxantron.

Studie mit Siponimod

Siponimod ist ein Modulator der Sphingosin-1-phosphat(S1P)-Rezeptoren 1 und 5. Es hat direkte Effekte im ZNS (u. a. auf Astrozyten sowie Mikroglia) und hemmt die Fähigkeit von Lymphozyten, aus Lymphknoten auszuwandern.

Der Wirkstoff wurde unter anderem in der EXPAND-Studie im Vergleich mit Placebo untersucht. Die Studie schloss einen hohen Anteil Patienten mit einer fortgeschrittenen Behinderungsprogression ein (55 % mit EDSS ≥ 6). Im Vergleichsarm traten während der Studie nur bei 15 % Schübe auf. Es handelte sich also um ein Kollektiv, das auf eine schubmodifizierende Medikation kaum mehr ansprechen sollte.

Das Studiendesign ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1. Studiendesign EXPAND; EDSS: Expanded Disability Status Scale; CDP: bestätigte Behinderungsprogression

Vier Jahre länger gehen

Die Wahrscheinlichkeit für eine nach drei Monaten bestätigten Behinderungsprogression reduzierte sich unter Siponimod versus Placebo um 21 % (p = 0,013). Für die Population der EXPAND-Studie würde dies bedeuten, dass sich die Zeit bis zum Verlust der Gehfähigkeit um 4,3 Jahre verlängert.

Subgruppenanalysen zeigten, dass ältere Patienten und Personen mit hohen EDSS-Werten profitierten. Tatsächlich war aber der Effekt bei Personen mit niedrigen EDSS-Werten noch stärker.

Das Sicherheitsprofil war ähnlich wie bei anderen Sphingosin-Rezeptormodulatoren. Schwere unerwünschte Ereignisse traten unter Siponimod bei 18 % der Patienten auf (vs. 15 % unter Placebo)

Fazit

Siponimod ist eine wirksame Option bei sekundär progredienter multipler Sklerose.

Es wird voraussichtlich in zwei verschiedenen Dosierungen auf den Markt kommen. Bei Patienten mit bestimmten Genotypen des Leberenzyms CYP2C9 muss die Erhaltungsdosis von 2 mg/Tag auf 1 mg/Tag reduziert werden. Wie die Erstattung des genetischen Tests im Versorgungssystem organisiert werden kann, ist aktuell noch unklar.

Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den Beginn einer Siponimod-Therapie ist schwer zu beantworten, da gerade auch Patienten im frühen Krankheitsstadium von Siponimod profitieren. Die Zulassung in den USA ist sehr weit gefasst und schließt Patienten mit schubförmig-remittierender Erkrankung (RRMS) ein.

MSProDiscuss™

Das Online-Tool soll Therapeuten helfen zu entscheiden, ob bereits eine progrediente MS vorliegt.

https://msprodiscuss.com/

Quelle

Prof. Dr. med. Ralf Gold, Bochum, Priv.-Doz. Dr. med. Olaf Hoffmann, Potsdam, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Markus Kipp, Rostock, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Sven Meuth, Münster; Symposium „Tatort SPMS mit SOKO Siponimod“, veranstaltet von Novartis im Rahmen der Jahrestagung 2019 der DGN, Stuttgart, 26. September 2019.

Psychopharmakotherapie 2019; 26(06):341-349