Prof. Dr. Gerd Laux, Soyen/Waldkraiburg/München
Die Einteilung und Klassifikation von Neuroleptika kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen und blickt auf eine lange Geschichte zurück. Historisch am Anfang stand die Einteilung nach strukturchemischen Merkmalen, unterschieden wurden Phenothiazine, Thioxanthene und vor allem Butyrophenone – Janssen entdeckte 1958 die „Muttersubstanz“ Haloperidol. Hinzu kamen die Diebenzoepine wie Clozapin und substituierte Benzamide, schließlich chemisch neuartige Substanzen.
Eine weitere Einteilung erfolgte nach der „neuroleptischen Potenz“ – mit Chlorpromazin (CPZ) als Bezugspunkt – unter Berücksichtigung präklinischer und klinischer Daten der Blockade von Dopamin-Rezeptoren sowie der antipsychotischen Wirksamkeit bezogen auf die verwendete Dosis. Als hochpotent wurden Substanzen eingeordnet, die in niedriger bis mittlerer Dosierung deutliche antipsychotische Wirkung ohne Sedierung zeigten, als mittelpotent Substanzen mit mäßiger Sedierung, als niederpotent Substanzen mit deutlicher Sedierung und geringer antipsychotischer Wirkung. Das Modell der neuroleptischen Potenz beruhte auf Beobachtungen, dass traditionelle Neuroleptika extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen hervorrufen. Für die verschiedenen Substanzen wurde mittels feinmotorischen Veränderungen die neuroleptische Schwelle definiert. Angesichts einer großen individuellen Spannbreite bot dieses Bezugssystem nur ein relativ grobes Muster, hinzu kam, dass Substanzen wie Clozapin in dieser Systematik nicht einzuordnen waren.
Nächster Einteilungsgesichtspunkt war die nach dem Rezeptorprofil – je nach Angriffsschwerpunkt wurden D2-Blocker und D2/5-HT2-Blocker unterschieden, auch topographische Schwerpunkte (mesolimbische versus nigrostriatale Selektivität) wurden elaboriert [4].
Im klinischen Bereich setzte sich dann zunehmend die Einteilung in typische oder atypische Neuroleptika/Antipsychotika durch. International wurde der Begriff Neuroleptika durch den Begriff Antipsychotika ersetzt. Konventionelle, typische, klassische Antipsychotika als First Generation Antipsychotics (FGA) wurden von atypischen Antipsychotika, Psychotika der zweiten Generation, Second Generation Antipsychotics (SGA) unterschieden. Letztere sollten im Vergleich zu FGA weniger EPMS und vor allem eine bessere Wirksamkeit auf die Negativsymptomatik aufweisen. Neurobiochemisch weist diese Gruppe einen kombinierten D2/5-HT2-Antagonismus, eine bevorzugte Bindung an D3- und D4-Rezeptoren, eine ausgewogene Relation der Blockade zwischen D1- und D2-Rezeptoren und eine bevorzugte Beeinflussung des limbischen Systems auf.
Als atypische Antipsychotika subsummiert werden derzeit Amisulprid, Aripiprazol, Asenapin, Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Sertindol und Ziprasidon [1]. Sowohl neuropharmakologisch als auch im Hinblick auf klinisches Wirkprofil und Nebenwirkungsspektrum handelt es sich bei den SGA aber um keine homogene Gruppe [1, 2].
In den letzten Jahren wurde von internationalen psychopharmakologischen Fachgesellschaften eine neue Nomenklatur für Psychopharmaka entwickelt, die Neuroscience-based Nomenclature (NbN), die im Gegensatz zu den bisherigen indikationsbezogenen Einteilungen sich an den pharmakologischen Wirkungsmechanismen orientiert [3, 5]. Hier wird zum Beispiel Haloperidol als Dopamin-D2-Rezeptorantagonist klassifiziert, Olanzapin als D2/5-HT2-Rezeptorantagonist, Risperidon als D2/5-HT2-NA-Alpha2-Rezeptorantagonist, Quetiapin als D2/5-HT2-Antagonist und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, Clozapin als D2/5-HT2- und Noradrenalin-Alpha2-Rezeptorantagonist.
Lange Zeit war in der Gruppe der atypischen Psychotika Aripiprazol die einzige Substanz, die über einen partiellen Dopamin-D2-Agonismus wirkt. Neben Aripiprazol steht nun mit Cariprazin ein weiterer partieller D2-Rezeptoragonist zur Verfügung, in den USA außerdem Brexpiprazol, das in Europa/Deutschland auch zur Zulassung empfohlen wurde. Nach Vorliegen von drei Substanzen scheint es deshalb angezeigt, partielle Dopamin-Agonisten als Subgruppe der Antipsychotika zu führen. Diese Substanzen wirken je nach Funktionszustand des Dopamin-Systems (hyperdopaminerg z. B. bei akuter Psychose, hypodopaminerg bei der Negativsymptomatik) als Dopamin-Agonisten oder -Antagonisten und führen so zu einer Stabilisierung der dopaminergen Neurotransmission.
Im vorliegenden Schwerpunktheft wird deshalb diese neue Subgruppe zusammenfassend dargestellt:
Einleitend zeigen Kirscher, Montreal, und Seifritz, Zürich, die nach wie vor bestehenden „Unmet Needs“ in der Diagnose und Therapie schizophrener Psychosen auf und konstatieren, dass trotz intensiver Forschung in den letzten Jahrzehnten durchschlagende Verbesserungen der Diagnostik und der klinischen Behandlung nicht erzielt wurden. Sie fassen zentrale Unmet Needs zusammen und diskutieren innovative Forschungsansätze sowie potenzielle Strategien zur Überwindung dieser zentralen medizinisch-psychiatrischen Herausforderungen. Wietfeld et al. führen aus, dass sich die Therapieziele geändert haben – reine Symptomkontrolle reicht heute nicht mehr, vor allem von Patienten berichtete Outcome-Parameter wie die Lebensqualität sind stärker zu berücksichtigen. Diese ist aber subjektiv, kaum objektivierbar und abstrakt, sodass für diesen Perspektivenwechsel weitere empirische Forschungsarbeit nötig ist.
Walter E. Müller, Worms, beschreibt die vergleichende Pharmakologie von Aripiprazol, Cariprazin und Brexpiprazol und leitet hieraus Unterschiede in Zusatzeigenschaften und im Nebenwirkungsprofil auf.
Schöttle et al., Hamburg, untersuchten in einer nichtinterventionellen Studie die Wirkung von Aripiprazol-Depot bei Patienten mit Schizophrenie unter Routinebedingungen. Einbezogen wurden 242 Patienten, sie wurden nach Umstellung auf das Depot über sechs Monate beobachtet und psychopathologisch mit Ratingskalen bewertet. Die Studiendaten zeigen unter naturalistischen Bedingungen positive Wirkungen von Aripiprazol-Depot und bestätigen die bisherigen Daten aus kontrollierten Studien.
Zu Cariprazin gaben Wagner und Hasan, München, vor kurzem eine Übersicht, in der sie die Wirksamkeit in Akutstudien und bei prädominantem Negativsyndrom sowie in der Rezidivprophylaxe referierten und Verträglichkeit und Nebenwirkungen anhand von drei sechswöchigen Kurzzeitstudien, einer kontrollierten Langzeitstudie sowie einer Post-hoc-Analyse von zwei 48-wöchigen Open-Label-Langzeitstudien darstellten (Psychopharmakotherapie 2018;25:278–85). Eine ganz neue Arbeit von Correll et al. zu Cariprazin wird im Literaturreferate-Teil wiedergegeben.
Der neue D2-Partialagonist Brexpiprazol wird von Correll, Berlin, hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit anhand von Akut- und Langzeitstudien vorgestellt.
In der Serie Weiterbildungs-Curriculum gibt die CIPS-Autorengruppe eine Übersicht zu den wichtigsten Beurteilungs-/Ratingskalen. Nachdem seit einiger Zeit kaum noch klinische Prüfstudien durchgeführt und publiziert werden, ist der Wissensstand in diesem wichtigen Feld leider verblasst, es finden diesbezüglich auch keine Fortbildungsveranstaltungen mehr statt (siehe DGPPN-Kongress).
Wie immer werden in der Rubrik „Referiert und kommentiert“ wichtige Publikationen aus der internationalen Literatur und von Kongressen wiedergegeben.
Auch in der Sommerhitze dürfte somit das vorliegende Heft interessierte Leser finden.
Literatur
1. Benkert O, Hippius H (Hrsg.). Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie. 12. Auflage. Heidelberg: Springer, 2019.
2. Laux G, Dietmaier O. Praktische Psychopharmakotherapie. 7. Auflage. München: Urban & Fischer, 2019.
3. Möller HJ, Kasper S. Neuroscience-based Nomenclature (NbN) für Psychopharmaka – eine wichtige neue Entwicklung. Psychopharmakotherapie 2017;24:2–6.
4. Riederer P, Laux G, Pöldinger W (Hrsg.). Neuro-Psychopharmaka. Ein Therapie-Handbuch. Band 4: Neuroleptika. 2. Auflage. Wien: Springer, 1998.
5. Zohar J, Blier P, Stahl St, Möller HJ, et al. NbN Neuroscience-based Nomenclature. 2. Edition. ECNP 2018.
Psychopharmakotherapie 2019; 26(04)