Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart
In ihren einleitenden Grußworten würdigten Prof. Dr. Peter Zwanzger, Wasserburg a. Inn, und Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München, Laux’ klinische und akademische Verdienste und verdeutlichten dabei seine Freude am Gestalten. So hat er, wie Zwanzger ausführte, als Ärztlicher Direktor (1996–2013) des Bezirkskrankenhauses Gabersee (heute kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn) praktisch „jedes Jahr etwas Neues“ in Angriff genommen, unter anderem die Einführung der ersten Mutter-Kind-Station in Bayern, die Neukonzeption der Tagesklinik, die Etablierung als akademisches Lehrkrankenhaus, die DIN-ISO-Zertifizierung, den Aufbau der Abteilung für Neuropsychologie mit Fahrtauglichkeits-Testung und die Gründung einer Stroke-Unit. Nach mehr als 40 Berufsjahren kann er auf die Behandlung von rund 50 000 Patienten mit Depression zurückblicken. Sein wissenschaftliches Interesse galt (und gilt) zum einen der Psychopharmakotherapie und dem therapeutischen Drug-Monitoring, zum anderen der Fahreignung bei psychischen Erkrankungen (so auch der Titel eines seiner Bücher) und den Einflüssen von Psychopharmaka hierauf. Außerdem ist Laux ein begeisterter und produktiver Autor mit rund 450 Publikationen, darunter mehrere bedeutende Lehrbücher. Sichtbarer Ausdruck seiner Freude am Publizieren ist nicht zuletzt die PPT, die er während seiner Zeit als leitender Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Bonn gemeinsam mit seinem Chef Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller sowie Prof. Dr. Walter E. Müller, damals Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim, gründete.
„Psychiatrie – gestern, heute, morgen“
Unter diesem Motto gaben Weggefährten von Laux in seinen klinischen und akademischen Stationen Weinsberg, Würzburg, Bonn und Wasserburg a. Inn/München einen Überblick über maßgebliche Entwicklungen der Psychiatrie in den letzten Jahrzehnten.
Prof. Dr. Fritz Reimer, Laux’ Chef während der Weiterbildung im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Weinsberg (1977 bis 1984), schilderte die Zustände in einem psychiatrischen Krankenhaus vor der Psychiatrie-Enquête, wie er sie selbst noch zu Beginn seiner Tätigkeit kennen gelernt hatte: Geschlossene Stationen und Anstaltskleidung für die Patienten prägten das Bild; die medizinische Behandlung stand im Hintergrund, mit lediglich vier Ärzten für 950 Betten. Reimer, damals Mitglied der Kernkommission der Psychiatrie-Enquête, berichtete anschaulich über seine Vorstöße beim vorgesetzten Ministerium, um die Zustände in seiner Klinik zu ändern. Unter anderem unter Laux’ Mitwirkung wurden eine Ambulanz und eine umfangreiche nachgehende Betreuung etabliert und die „Verwahrung“ psychisch Kranker wurde durch eine professionelle medizinische Versorgung ersetzt. Bald nach Laux’ Weggang aus Weinsberg waren dort 40 Ärzte und 20 Psychologen für nur noch 400 Betten zuständig.
Unter dem Titel „Von der Neurobiochemie zur Psychopharmakotherapie“ berichtete Prof. Dr. Peter Riederer, Würzburg, exemplarisch über die Entwicklungsgeschichte der Monoaminoxidase-(MAO-)Hemmer. Diese waren auch Gegenstand von Laux’ Antrittsvorlesung am 1. Juli 1993 in Bonn („Pharmakologie und klinische Aspekte neuer selektiver MAO-Inhibitoren“), nachdem er zuvor als Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Würzburg (1985 bis 1992) in Riederers Arbeitskreis unter anderem zu dieser Substanzgruppe geforscht hatte.
Eine psychoaktivierende Wirkung eines MAO-Hemmers wurde zuerst 1951 bei dem eigentlich als Tuberkulostatikum entwickelten Iproniazid beobachtet. Die weitere Forschung führte 1962 zur Einführung des irreversiblen MAO-Hemmers Tranylcypromin zur Depressionsbehandlung und ebenso zur Entwicklung von Selegilin, das zunächst als „psychic energizer“ angepriesen wurde. 1968 wies Johnston die unterschiedliche Substratspezifität von MAO-A und MAO-B nach. In den Folgejahren wurde der MAO-B-Hemmer Selegilin zur Anwendung bei Parkinson-Krankheit weiterentwickelt und seine neuroprotektive Wirkung wurde gezeigt – zu diesem Thema war Laux an mehreren Publikationen aus den Jahren 1988 ff. beteiligt. Trotz der langen Geschichte ist die Forschung zu MAO-Hemmern noch nicht zu Ende. Als neue Aspekte berichtete Riederer über Hinweise auf eine Interaktion zwischen MAO-A und MAO-B und über aktuelle Erkenntnisse zur DNA-Methylierung des MAO-Gens: Bei Panikpatienten wurde eine Hypomethylierung nachgewiesen, bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung eine Hypermethylierung [7]; es wird zu zeigen sein, ob sich daraus eine Biomarker-Eigenschaft ableiten lässt.
Über den „Durchbruch zur modernen klinischen Psychopharmakotherapie“ referierte Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München. Dabei wurde deutlich, dass so manche Hoffnung auf einen Durchbruch mit einer bitteren Enttäuschung endete, zum Beispiel beim Glycin-Wiederaufnahmehemmer Bitopertin zur Behandlung von Negativsymptomen der Schizophrenie. Noch viel weitreichender und kostspieliger waren die Misserfolge bei den zahlreichen auf Beta-Amyloid gerichteten Ansätzen, die für fast zwei Jahrzehnte die Forschung zur Behandlung der Alzheimer-Demenz bestimmten.
Fortschritte gab es zum Beispiel in der Depressionstherapie, indem ausgehend von der Aminhypothese der Depression zunächst selektivere Wirkstoffe (selektive Serotonin-Wiederaufnehmehemmer etc.) entwickelt wurden. In jüngerer Vergangenheit ging die Entwicklung dann mit dem multimodalen Vortioxetin wieder hin zu komplexen Substanzen. Ebenfalls neueren Datums sind Untersuchungen zu Ketamin/Esketamin für die Behandlung therapieresistenter Depressionen, denen zufolge die synaptische Plastizität ein wichtiger Faktor für die antidepressive Wirkung des NMDA-Antagonisten ist. Noch schwer einzuordnen ist der Nutzen genomweiter Assoziationsstudien für die Entwicklung von neuen Therapien.
Prof. Dr. Christoph Hiemke, Mainz, gab einen Überblick zur Entwicklung des therapeutischen Drug-Monitorings (TDM) von Psychopharmaka, an dem Laux ebenfalls maßgeblich beteiligt war. Der „Urknall“ dieser Entwicklung, so Hiemke, war die Veröffentlichung des Buchs „Plasmaspiegelbestimmung von Psychopharmaka: Therapeutisches Drug-Monitoring“ (Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 1992). In diesem von Laux und Riederer herausgegebenen „Versuch einer ersten Standortbestimmung“ wurden die Ergebnisse eines Workshops und einer Erhebung verwendeter TDM-Methoden zusammengefasst und Empfehlungen zur TDM-Durchführung als Konsensus formuliert. Aus dieser Initiative resultierte schließlich die Gründung der TDM-Arbeitsgruppe der AGNP (Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie e. V.). Die Berichte über deren Treffen und ihre Konsensusempfehlungen sind auch in der PPT nachzulesen (u. a. [2]). Die TDM-Methoden wurden schrittweise verfeinert; Standard ist heute die Hochdruckflüssigkeitschromatographie mit Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS), mit der mehr als 50 Substanzen in einem Lauf bestimmt werden können. Im klinischen Versorgungsalltag ist das TDM bislang leider nur teilweise angekommen [5].
Prof. Dr. Max Schmauß, Augsburg, berichtete aus der „Klinischen Versorgung in der Real World“ und zeichnete dabei ein eher düsteres Bild. In psychiatrischen Versorgungskrankenhäusern ist demnach Überbelegung eher die Regel und bei den geschützten Stationen vor allem zum Wochenende ein Problem, weil die Zahl der Notaufnahmen am Wochenende naturgemäß nicht vorhergesagt werden kann. Nach der Entlassung müssen Patienten oft sehr lange auf eine ambulante Anschlussbehandlung warten (bei Psychiatern im Schnitt 2 bis 3 Monate, bei Psychotherapeuten 6 bis 12 Monate). Als weitere Punkte, die das Leben schwer machen, nannte Schmauß exemplarisch Budgetvorgaben der Klinikleitung, den administrativen Aufwand wegen häufiger Prüfungen des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (2–3 Tage pro Monat), Sprachbarrieren bei Ärzten und Patienten und einen hohen Anteil von teilzeitbeschäftigten ärztlichen Mitarbeitern, der eine komplexe Personalplanung erfordert. Doch es gibt auch bereichernde Erfahrungen. Als positives Beispiel nannte Schmauß die Kindersprechstunde als Hilfeangebot für Kinder psychisch kranker Eltern.
(von links): Prof. Dr. Fritz Reimer, Prof. Dr. Norbert Nedopil, Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Kapfhammer, Prof. Dr. Max Schmauß, Prof. Dr. Peter Zwanzger, Prof. Dr. Dr. Peter Riederer, Prof. Dr. Gerd Laux, Prof. Dres. Hans-Jürgen Möller, Prof. Dr. Walter E. Müller, Prof. Dr. Gerhard Gründer, Prof. Dr. Hans-Peter Volz, Prof. Dr. Jürgen Deckert, Prof. Dr. Christoph Hiemke [Foto: Dr. Dr. Willi Kohlhepp]
Über das (Selbst-)Bild der Psychiatrie
Dies war ein zentrales Motiv in den Diskussionen im zweiten Teil des Symposiums.
„Psychopharmakotherapie und ihre Bedeutung – gestern, heute, morgen“ war das Thema der Impulsreferate von Prof. Dr. Hans-Peter Volz, Werneck, und Prof. Dr. Gerhard Gründer, Mannheim. Volz datierte als zwei wesentliche psychopharmakologische Entwicklungen die Einführung von Fluvoxamin als erstem SSRI (1987) und von Risperidon als erstem atypischen Antipsychotikum (1994). Seither wurden etliche weitere Psychopharmaka eingeführt, für deren Wirksamkeit es Evidenz aus einer Vielzahl randomisierter kontrollierter Studien gibt. Einen Beleg für die generelle Placebo überlegene Wirksamkeit von Antidepressiva lieferte die Netzwerkanalyse von Cipriani et al. [1] mit Daten von rund 80 000 Patienten mit Antidepressiva-Behandlung und rund 40 000 Placebo-Patienten. Damit könne man die Datenbasis zur Psychotherapie ernsthaft gar nicht in Beziehung setzen, konstatierte Volz. Für fatal hielt er, dass die Psychopharmakotherapie in der Facharztausbildung eine so untergeordnete Rolle spielt. „Der Facharzt für Psychiatrie ist zum Facharzt für Psychotherapie geworden.“ Das habe notwendigerweise Auswirkungen auf die Expertise der Ärzte beim Umgang mit Psychopharmaka – die Daten zur TDM-Nutzung (s. Vortrag Hiemke) gäben dafür ein Beispiel. Er bedauerte, dass die Psychopharmakotherapie in der Öffentlichkeit, auch der Fachöffentlichkeit, ein so schlechtes Image hat. „Anhand der Daten ist das nicht gerechtfertigt! Wie hat es dazu kommen können?!“, lautete sein nachdenkliches Fazit.
„Unser Fach bringen wir vor allem voran, wenn wir uns mit der Kritik auseinandersetzen“, hielt Gründer diesem Statement entgegen und forderte dazu auf, Kritik zum Anlass zu nehmen, zu überlegen, was man besser machen könne. So zeigten in der Rezidivprophylaxe mit Antidepressiva nur Akutstudien gute Effektstärken, die mit solchen aus der inneren Medizin vergleichbar seien. „Wir brauchen mehr Langzeitstudien“, forderte Gründer zugunsten einer zuverlässigeren Datenbasis. Bereits in der Laienpresse (New York Times) angekommen ist die Frage nach Absetzsymptomen von Antidepressiva. Studienergebnisse (z. B. [3]) legten die Frage nahe, ob Therapieresistenz bei einem Teil der depressiven Patienten iatrogen sei. Auch in Bezug auf die Schizophrenietherapie warf Gründer die Frage auf, ob eine antipsychotische Dauertherapie immer der richtige Weg sei oder ob nicht durch eine langfristige Dopamin-D2-antagonistische Behandlung eine Dopamin-Supersensitivität und damit eine iatrogene Therapieresistenz erzeugt werden könne.
Die Diskussion um die Dauer der Erhaltungstherapie sei nicht neu, gab Möller zu bedenken. Hierfür gebe es keine Evidenz, sondern es zähle die klinische Erfahrung. Mehrere Diskutanten sprachen sich implizit für einen selbstbewussteren Umgang mit Psychopharmaka aus. „Wir brauchen eine Psychotherapie der Psychopharmakotherapie“, forderte Prof. Dr. Jobst Böning und meinte damit die Fähigkeit, Patienten davon zu überzeugen, dass sie das Arzneimittel brauchen. „Da ist ein Stück Kompetenz verloren gegangen.“ In Hinblick auf die Akzeptanz von Psychopharmaka betrachtete Laux eine mediale Verzerrung als großes Problem: Die Fachgesellschaften und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft würden überwiegend kritisch über Risiken und Nebenwirkungen von Psychopharmaka berichten (während von der Bundespsychotherapeutenkammer Entsprechendes in Bezug auf Psychotherapie nicht zu lesen sei). Unberücksichtigt bliebe dabei ein wichtiger Vorteil der Psychopharmakotherapie gegenüber der Psychotherapie: das Fehlen von Sprach-, Bildungs- und Kulturbarrieren. Ein grundsätzliches Problem sahen Laux und weitere Teilnehmer auch in der undifferenzierten Auswahl von Studienpatienten: Es gebe nicht „die Depression“ oder „die Schizophrenie“. Hier sei eine differenziertere Herangehensweise nötig.
Zum Thema „Moderne klinische Versorgung im Wandel – Wunsch und Realität“ trug Prof. Dr. Dr. Margot Albus, M.Sc., München, vor dem Hintergrund ihrer Tätigkeit in einer psychosomatischen Klinik bei, in der ausschließlich elektive Patienten bzw. „Klienten“ betreut werden – „eine ganz andere Welt“ als die von Schmauß geschilderte Versorgungspsychiatrie, die sie als ehemalige Ärztliche Direktorin des Bezirkskrankenhauses Haar (kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost) ebenfalls gut kennt. Moderne klinische Versorgung sollte patientenorientiert sein und ausreichend Zeit für die persönliche Ansprache des Patienten gewähren, forderte Albus. Hier habe in der Versorgungspsychiatrie eine dramatische Fehlentwicklung durch überbordende Dokumentationspflichten etc. stattgefunden.
Prof. Dr. Jürgen Deckert, Würzburg, aus einer Universitätsklinik kommend, zitierte Daten, wonach nur 20 bis 30 % der psychiatrischen Patienten leitliniengerecht behandelt werden. Als Grundproblem identifizierte er dabei die Psychiater selbst, die zu wenig spezifisch ausgebildet seien. Ebenso wenig, wie es noch den Internisten gäbe, der die ganze Breite seines Fachs abdecke, könne es den Psychiater geben, der das gesamte Spektrum der pharmako- und psychotherapeutischen Behandlungsformen beherrsche. Er forderte deshalb eine Subspezialisierung des Fachs.
Dies wurde in der Diskussion allerdings in Zweifel gezogen und im abschließenden Block „Das Fach Psychiatrie und seine Identität“ weiter ausgeführt.
„Ist das grundlegende Bekenntnis zum biopsychosozialen Modell die Lösung oder Teil unseres Identitätsproblems?“, fragte Prof. Dr. Dr. Dipl.-Psych. Hans-Peter Kapfhammer, Graz, und fuhr mit der Frage fort, ob die Generalisierung noch ein realistisches Qualitätsmerkmal des Psychiaters von heute sei. Im Kern steckte darin die Frage nach der Rolle der Psychotherapie in der Tätigkeit von Psychiatern. Kapfhammer führte aus, dass es hier rund 400 bis 600 Verfahren gibt, denen unterschiedlich komplexe bzw. ausgereifte Störungsmodelle zugrunde liegen. Es ist klar, dass sich mit einem Psychotherapie-Modell nicht alles behandeln lässt. Psychiater sollten auch nicht das Ziel haben, die psychotherapeutische Betreuung gänzlich selbst zu machen, so Kapfhammer. Allerdings sprach er sich vehement dagegen aus, die Psychotherapie in der Psychiatrie von vornherein den Psychotherapeuten und Psychologen zu überlassen. Wichtig sei aber, gute Kooperationen zu pflegen.
Mit einem deutlichen „Ja“ beantwortete Kapfhammer hingegen die selbst gestellte Frage, ob die Psychosomatik/somatische Psychiatrie zur Identität der Psychiatrie gehöre.
Prof. Dr. Norbert Nedopil, München, konstatierte mit Bedauern ein geringes Interesse junger Ärzte an der Psychiatrie. Als Ursachen identifizierte er eine Angst vor Stigmatisierung und die seit Kraepelin andauernde Suche des Fachs nach Anerkennung als medizinische Disziplin. Durch eine Aufspaltung befürchtete Nedopil eine Schwächung des Fachs. „Wir brauchen auch den Generalisten, der das Fach in seiner Breite vertritt.“
Auch Schmauß bedauerte in der anschließenden Diskussion, dass in der Psychiatrie wie in keinem anderen Fach Uneinigkeit über die Identität des Fachs herrscht. Das Fach habe riesige Fortschritte gemacht, verstehe es aber nicht, dies dem Nachwuchs zu vermitteln. Eine junge Medizinerin aus dem Auditorium bestätigte dies und berichtete über „Grabenkämpfe“ zwischen Psychiatrie und Psychosomatik.
Riederer forderte mehr Forschung zum autonomen/vegetativen Nervensystem, um die Brücke zur Psychosomatik schlagen zu können. Deckert rief dazu auf, die Vernetzung mit Kollegen aus somatischen Bereichen ausbauen, zum Beispiel durch gemeinsame wissenschaftliche oder klinische Projekte: „damit die Somatiker lernen, was sie an den Psychiatern haben!“
Diese Diskussion griff Laux auch in seinem abschließenden Rückblick und Ausblick auf. Zunächst ließ er jedoch – nach einem großen Dank an seine Förderer und Wegbegleiter – die Stationen seines Berufslebens Revue passieren. Hier habe er zunächst die Ära der Sozialpsychiatrie, dann die „Goldene Ära“ der Psychopharmakologie mit der Einführung vieler innovativer Arzneimittel erlebt. Seit einigen Jahren stünden nun die evidenzbasierten Psychotherapien im Vordergrund. Für den Status quo konstatierte auch Laux ein Nachwuchs- und Imageproblem der Psychiatrie. Als einen zugrunde liegenden Faktor nannte er die fehlende Arzt-Identität (werden Psychiater von Patienten, Kollegen aus anderen Disziplinen, weiteren Heilberuflern und nicht zuletzt von sich selbst überhaupt als Ärzte wahrgenommen?). Nicht selten begegne einem Unklarheit darüber, wie die Kernkompetenzen von Psychiatern in Abgrenzung von Psychologen definiert sind. Ein Problem sei auch ein oft unscharf verwendeter Krankheitsbegriff auf einer Skala zwischen Befindlichkeitsstörung und psychischer Krankheit. Laux kritisierte die „Glorifizierung“ der Psychotherapie als Heilmittel für sämtliche Störungen und psychischen Krankheiten, während die Psychopharmakologie ins Abseits geschoben werde (siehe auch [4]). Stattdessen brauche es Ärzte mit breiter Kompetenz für die Behandlung psychisch Kranker. Laux sprach sich für einen Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatische Medizin aus. Für die Qualifikation müsse eine Weiterbildungsordnung mit adäquater Abdeckung von Neurobiologie, Psychopharmakologie und somatischen Grundkenntnissen sorgen. So gerüstet, könne die Psychiatrie – entgegen verschiedenen anderen Szenarien [6] – auch zukünftig eine anerkannte, verantwortliche Rolle in der Versorgung psychisch Kranker spielen.
Literatur
1. Cipriani A, et al. Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2018;391:1357–66.
2. Hefner G, et al. – TDM-Gruppe der AGNP. Konsensus-Leitlinien für therapeutisches Drug-Monitoring in der Neuropsychopharmakologie: Update 2017. Psychopharmakotherapie 2018;25:92–140.
3. Gueorguieva R, et al. Trajectories of depression severity in clinical trials of duloxetine: insights into antidepressant and placebo responses. Arch Gen Psychiatry 2011;68:1227–37.
4. Laux G. Psychopharmakologie im Abseits. Die neue Berufsrolle des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie. Psychopharmakotherapie 2012;19:271–4.
5. Laux G, et al. Therapeutisches Drug-Monitoring in psychiatrischen Versorgungskliniken. Ergebnisse einer Umfrage der Bundesdirektorenkonferenz. Psychopharmakotherapie 2018;25:141–7.
6. Priebe S. Wo kann es hingehen mit der Psychiatrie? Nervenarzt 2018;89: 1217–26.
7. Ziegler, C, Domschke K. Epigenetic signature of MAOA and MAOB genes in mental disorders. J Neural Transm (Vienna) 2018;125:1571–8.
Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Redaktion Psychopharmakotherapie, Birkenwaldstr. 44. 70191 Stuttgart, E-Mail: hoberpichler@wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de
Psychopharmakotherapie 2019; 26(04)