Prof. Dr. Jürgen Fritze, Pulheim
Cariprazin (Reagila®) wurde 2015 durch die FDA „zur Behandlung der Schizophrenie“ und „zur akuten Behandlung manischer und gemischter Episoden bei Bipolar-I-Störung“ und im Juli 2017 durch die EMA „zur Behandlung von Schizophrenie bei erwachsenen Patienten“ zugelassen und steht seit Frühjahr 2018 zur Verfügung. Cariprazin ist jedenfalls schon als Signal willkommen, dass die pharmazeutische Industrie noch nicht resignierend die Forschung zu Antipsychotika vollkommen eingestellt hat.
Wagner und Hasan präsentieren eine umfassende Übersicht über die präklinischen und klinischen Daten mit detaillierter Darstellung der klinischen Studien bei Schizophrenien. Bei den Schizophrenien konfrontieren negative Symptome und kognitive Störungen mit dem größten Bedarf an medizinischer Innovation. Zwar waren einige Studien neben Placebo auch durch aktive Referenzen (Risperidon, Aripiprazol) kontrolliert, dies aber nur zur Validierung der Studien, also nicht mit Fallzahlen (Power), die einen Vergleich von Cariprazin gegen die Referenzen erlaubt hätten. Nur in einer Studie wurde Cariprazin randomisiert mit Risperidon bei primärer Negativsymptomatik geprüft, wobei Cariprazin signifikant überlegen war. Diese Datenlage konnte nicht ausreichen, um im Zulassungsverfahren eine besondere Wirksamkeit bei Negativsymptomen beanspruchen zu können.
Immerhin hat der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V allein auf Basis dieser Studie Cariprazin bei erwachsenen Patienten mit Schizophrenie mit überwiegender Negativsymptomatik in Langzeitbehandlung einen Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen gegenüber einer der zweckmäßigen Vergleichstherapien (Amisulprid oder Aripiprazol oder Olanzapin oder Paliperidon oder Quetiapin oder Risperidon oder Ziprasidon), nämlich Risperidon, zugestanden, während das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) für diese Patientenpopulation (nur) einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen von Cariprazin im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie Risperidon festgestellt hatte. Den vom Gemeinsamen Bundesausschuss dargelegten tragenden Gründen ist keine spezifische Erklärung für die Diskrepanz zu entnehmen. Angesichts des Innovationsbedarfs sind weitere Studien insbesondere im Vergleich zu den anderen als zweckmäßig ausgewählten Antipsychotika wünschenswert.
Mit guten Gründen hat der Gesetzgeber die Lebensqualität als einen der sogenannten Patienten-relevanten Endpunkte bei der Nutzenbewertung festgelegt. Naber et al. berichten erneut über die offene, randomisierte QUALIFY-Studie, in der sich Aripiprazol-Depot als dem Paliperidonpalmitat überlegen zeigte, und diskutieren hier insbesondere Gründe und Implikationen.
Fritze et al. präsentieren in der nun siebten Publikation in diesem Journal über die Ergebnisse der im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit seltenen Erkrankungen (NAMSE) vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten Machbarkeitsanalyse zur Ermittlung der Art und Häufigkeit von Off-Label-Use diesmal die Ergebnisse zu den Anxiolytika und Hypnotika. Der Off-Label-Use der elf untersuchten Anxiolytika variierte formal zwischen 35 % (Buspiron) und etwa 70 % (Medazepam, Bromazepam, Prazepam) und derjenige der dreizehn Hypnotika zwischen 40 % (Melatonin) und 78 % (Clomethiazol). Der Off-Label-Use dürfte weitgehend unvollständigem Kodieren zuzuschreiben sein, indem nur die Grundkrankheit, nicht aber die Symptome, für die die Wirkstoffe zugelassen sind und die insbesondere mit Codes aus Kapitel R der ICD-10-GM kodierbar sind, kodiert wurde. Bedenklich erscheint aber, dass Clomethiazol in breitem Umfang ambulant bei psychischen Störungen und Verhaltensstörungen durch Alkohol eingesetzt wurde, obwohl diese Indikation – aus Gründen der Arzneimittelsicherheit – allein unter stationären Bedingungen zugelassen ist. Bei Melatonin wurden die Vorgaben zum Mindestalter häufig ignoriert. Wie mögen sich die gefundenen Behandlungsdauern, an der Spitze Lormetazepam mit 274 Tagen im zweijährigen Beobachtungszeitraum, mit der arzneimittelrechtlichen Vorgabe der Kurzzeittherapie vereinbaren?
Möller und Broich setzen die Serie Weiterbildungs-Curriculum Psychopharmakologie/Pharmakotherapie mit einem Beitrag zur Methodik klinischer psychopharmakologischer Therapieforschung fort, der als Rüstzeug zur Interpretation der Ergebnisse klinischer Studien unverzichtbar ist.
Petri setzt seine Serie CYP450-Wechselwirkungen mit dem Thema der selektiven Immunsuppressiva Ciclosporin, Tacrolimus, Everolimus und Sirolimus fort. Diese Interaktionen zu kennen, ist auch für den Neurologen und Psychiater essenziell, denn zum Beispiel Carbamazepin und Johanniskraut können die Bioverfügbarkeit von Ciclosporin soweit senken, dass es zur Abstoßungsreaktion eines Nierentransplantats kommen kann.
Die Berichte in der Rubrik „Referiert & kommentiert widmen sich aktuellen Themen aus den Indikationsgebieten hochaktive schubförmige multiple Sklerose, Parkinson-Krankheit sowie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Erwachsener und möglichen Innovationen bei Antipsychotika und Neurosteroiden.
Psychopharmakotherapie 2018; 25(06):277-277