Konsensus-Leitlinien für therapeutisches Drug-Monitoring in der Neuropsychopharmakologie: Update …
Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) ist die Quantifizierung und Interpretation von Arzneistoff-Konzentrationen im Blut, um die Pharmakotherapie zu optimieren. TDM hat sich als wertvolles Werkzeug für eine auf den Patienten individuell abgestimmte Psychopharmakotherapie bewährt. Es berücksichtigt die hohe interindividuelle Variabilität der Pharmakokinetik und ermöglicht somit eine personalisierte Pharmakotherapie. Therapieversagen unter therapeutischen Dosen, unklare Arzneistoff-Adhärenz (Compliance), suboptimale Verträglichkeit, oder pharmakokinetische Arzneimittel-Interaktionen sind typische Indikationen für TDM. Patientengruppen, die innerhalb der Psychiatrie und Neurologie besonders von TDM profitieren können, sind Kinder und Jugendliche, schwangere Frauen, ältere Patienten, Individuen mit intellektuellen Einschränkungen oder substanzbezogenen Störungen, forensische psychiatrische Patienten oder Patienten mit bekannten oder vermuteten pharmakokinetischen Besonderheiten oder pharmakokinetisch relevanten Komorbiditäten. Der potenzielle Nutzen von TDM für die Optimierung der Pharmakotherapie kann nur erreicht werden, wenn die Methode adäquat in den klinischen Behandlungsprozess integriert wird. Die interdisziplinäre TDM-Gruppe der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) aktualisierte nun die Leitlinien: Therapeutische und dosisbezogene Referenzbereiche, Warnschwellen für das Labor, Indikationen und Empfehlungsgrade für den Gebrauch von TDM wurden reevaluiert und für mehr als 154 Neuropsychopharmaka aktualisiert. Darüber hinaus wurden unterstützende Informationen bezüglich Cytochrom-P450-Substrat-, Inhibitor- und Induktoreigenschaften von Arzneistoffen und normale Bereiche des Metabolit-zu-Muttersubstanz-Konzentrationsverhältnisses aktualisiert, die für die Interpretation der Laborergebnisse benötigt werden. Empfehlungen, wann und wie TDM mit pharmakogenetischen Tests für Cytochrom-P450-Enzyme und Arzneistoff-Transporter kombiniert werden soll, werden gegeben. Indem man diesen Leitlinien folgt, besteht das Potenzial, die Effektivität und Verträglichkeit der Neuropsychopharmakotherapie zu verbessern.
Schlüsselwörter: therapeutisches Drug-Monitoring, Arzneistoff-Konzentration, Neuropsychopharmaka, Pharmakokinetik, Konsensus
Psychopharmakotherapie 2018;25:92–140.
English abstract
Consensus guidelines for therapeutic drug monitoring in neuropsychopharmacology: Update 2017
Therapeutic drug monitoring (TDM) is the quantification and interpretation of drug concentrations in blood to optimize pharmacotherapy. TDM is a valuable tool of precision medicine. It considers the high interindividual variability of pharmacokinetics and thus enables personalized pharmacotherapy. Non-response at therapeutic doses, uncertain drug adherence (compliance), suboptimal tolerability, or pharmacokinetic drug-drug interactions are typical indications for TDM. In psychiatry and neurology, patient populations that may particularly benefit from TDM are children and adolescents, pregnant women, elderly patients, individuals with intellectual disabilities, substance abuse disorders, forensic psychiatric patients or patients with known or suspected pharmacokinetic abnormalities or pharmacokinetically relevant comorbidities. The potential benefits of TDM for optimization of pharmacotherapy can only be obtained if the method is adequately integrated in the clinical treatment process. The interdisciplinary TDM task force of the working group on neuropsychopharmacology (Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie, AGNP) has updated the guidelines now: Therapeutic and dose related reference ranges, laboratory alert levels, indications and levels of recommendation to use TDM were reevaluated and updated for more than 154 neuropsychiatric compounds. Moreover, supportive information on cytochrome P450 substrate, inhibitor and inducer properties of drugs and normal ranges of metabolite-to-parent concentration ratios, required for the interpretation of results from the laboratory, were updated. Recommendations are given when and how TDM should be combined with pharmacogenetic tests for cytochrome P450 enzymes and drug transporters. Following these guidelines holds the potential to improve the outcome of neuropsychopharmacotherapy, accelerate the recovery of many patients, especially in case of pharmacokinetic problems, and reduce health care costs.
Key words: consensus guidelines, therapeutic drug monitoring, pharmacogenetics, plasma concentration, therapeutic window
Therapeutisches Drug-Monitoring in psychiatrischen Versorgungskliniken
Ergebnisse einer Umfrage der Bundesdirektorenkonferenz
Einleitung: Das therapeutische Drug-Monitoring (TDM) beruht auf der Annahme einer Beziehung zwischen Plasmakonzentration und klinischem Effekt und hat zum Ziel, eine optimale Wirksamkeit ohne unerwünschte Nebenwirkungen zu erreichen. Aktuell wurde das neueste Leitlinien-Update vorgelegt. Daten zur Häufigkeit der Verwendung des TDM sind bislang kaum verfügbar.
Methoden: Es wurde ein Fragebogen entwickelt, der via Internet-Plattform „SurveyMonkey“ an die Mitglieder der „Bundesdirektorenkonferenz“ (BDK; Konferenz der leitenden Ärzte psychiatrischer Kliniken) versandt wurde.
Ergebnisse: Von den 192 angeschriebenen Kliniken nahmen 31 Kliniken (16,1%) an der Befragung teil, in den antwortenden Kliniken sind die TDM-Leitlinien zwei Drittel der Kollegen bekannt, der Einsatz erfolgt zu 71% routinemäßig. Als Hauptproblem wird der Kostenfaktor genannt. Im Zentrum der TDM-Wissensvermittlung stehen Visiten, als Hauptindikationen werden Verdacht auf Non-Compliance, Non-Response, UAW unter normalen Dosen sowie relevante Komorbiditäten und Komedikationen genannt.
Schlussfolgerungen: Die Befragungsergebnisse stellen aufgrund der niedrigen Antwortrate sicherlich einen positiven Selektionsbias zugunsten TDM dar, sind nicht repräsentativ und deshalb mit Vorsicht zu interpretieren. Das TDM ist eine wichtige Methode für eine „personalisierte Pharmakotherapie“ in der Psychiatrie. Es sind weitere Anstrengungen erforderlich, dieses Verfahren in Kliniken und Facharzt-Praxen zu etablieren.
Schlüsselwörter: Therapeutisches Drug-Monitoring, Plasmaspiegel, Pharmakovigilanz, Versorgung
Psychopharmakotherapie 2018;25:141–7.
English abstract
Therapeutic drug-monitoring in psychiatric hospitals – Results of a survey of the conference of national directors of German hospitals of psychiatry and psychotherapy
Therapeutic drug-monitoring (TDM) is the quantification and interpretation of drug concentrations in blood to optimize pharmacotherapy. The TDM task force of the Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) issued guidelines for TDM in psychiatry, updated recently (see this issue). So far, no data are available how often TDM is used in routine treatment in psychiatric hospitals, however. Therefore German hospitals of psychiatry have been contacted by their head organization (Bundesdirektorenkonferenz) to participate in a survey regarding application of TDM in real clinical world of daily treatment. With an anonymous questionnaire knowledge, implementation, and attitudes were explored. Data from 31 hospitals could be analyzed. Application of TDM was stated by 71% routinely, two thirds answered to be familiar with the consensus paper publication. 48% noticed that their psychopharmacological habits and decisions are strongly influenced by TDM, the same was declared regarding the relevance for daily treatment procedures. As main indications for TDM have been noticed: non-compliance, non-response, somatic comorbidity, combination treatment and relapse. Given reasons for non-use of TDM were costs and low clinical relevance mainly. Due to the low rate of response (16% of the hospitals contacted) a selection bias must be recognized and the results must be interpreted cautiously. Nevertheless TDM is an important method for a „personalized pharmacotherapy“, further efforts are necessary to establish TDM in psychiatric hospitals and specialists practices.
Key words: therapeutic drug-monitoring, plasma level, pharmacovigilance
Therapeutisches Drug-Monitoring von Psychopharmaka in der klinischen Praxis
Variabilität von Wirkstoffkonzentrationen im Blut psychiatrischer Patienten
Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) von Psychopharmaka, die Quantifizierung von Wirkstoffkonzentrationen im Blut, ist im psychiatrischen Alltag ein wichtiges Werkzeug zur Therapieleitung und wurde erstmalig im Jahr 2004 in Leitlinien beschrieben. Nach einem Update im Jahre 2011 wurden nun 2017 aktualisierte Leitlinien veröffentlicht. Neben Indikationen für TDM in der Psychiatrie, therapeutischen und dosisbezogenen Referenzbereichen sowie TDM-Empfehlungsgraden für Psychopharmaka enthalten die Leitlinien auch Empfehlungen für die Interpretation der Messergebnisse. Anlässlich des neuen Updates wurden in der Vitos Klinik Eichberg, in der TDM von Psychopharmaka bereits gut etabliert ist, Konzentrationen von Psychopharmaka in 479 Serumproben von 229 stationären psychiatrischen Patienten analysiert. Für diese Patienten war aufgrund verschiedenster Gegebenheiten ein TDM indiziert, unter anderem aufgrund des Verdachts auf Non-Adhärenz (n=66; 13,8%), des Alters ≥65 Jahre (n=105; 21,9%), pharmakokinetisch relevanter Komorbiditäten (n=38; 7,9%) oder potenziell klinisch relevanter, pharmakokinetischer Arzneimittelinteraktionen (n=71; 14,8%). Serumkonzentrationen von 32 verschiedenen Psychopharmaka wurden gemessen, der Anteil an Wirkstoffen mit dem höchsten TDM-Empfehlungsgrad 1 lag bei 31,3% (n=10), mit Empfehlungsgrad 2 bei 40,6% (n=13). Ergebnisse dieser Studie zeigen die Notwendigkeit einer breiten Anwendung von TDM in der Psychiatrie, basierend auf der hohen Variabilität der Wirkstoffkonzentrationen von psychiatrischen Patienten aufgrund vielfältiger Indikationen. Die Blutentnahme erfolgte teilweise zum inkorrekten Zeitpunkt und die so gewonnenen Befunde konnten daher nicht zur Dosisoptimierung herangezogen werden. Bei 4,5% (n=16) der im Verlauf gemessenen Serumkonzentrationen lagen keine Talspiegelbedingungen, bei 17,6% (n=63) der Serumkonzentrationen keine Steady-State-Bedingungen der Arzneistoffe vor. Leitliniengerechte Blutentnahmezeiten könnten die Nutzbarkeit der Befunde optimieren. Obwohl die personalisierte Therapie von Patienten immer mehr in den Fokus der psychiatrischen Behandlung rückt, wird TDM für eine individuelle, optimale Psychopharmakotherapie bisher nicht systematisch im Klinikalltag genutzt. Die Ergebnisse dieser Studie sollen zu einer routinierten, korrekten Anwendung von TDM animieren, die Indikationen sind vielfältig und in den Leitlinien beschrieben. Das neue deutschsprachige Update der Leitlinien, das in der vorliegenden Ausgabe dieser Zeitschrift veröffentlicht wird, kann zukünftig dazu beitragen, TDM in den Praxisalltag der psychiatrischen Kliniken und Praxen bestmöglich zu implementieren und somit die Psychopharmakotherapie von psychiatrischen Patienten optimieren.
Schlüsselwörter: Psychopharmakotherapie, Serumkonzentration, therapeutischer Referenzbereich, dosisbezogener Referenzbereich, therapeutisches Drug-Monitoring
Psychopharmakotherapie 2018;25:148–54.
English abstract
Therapeutic drug monitoring of neuropsychopharmacological drugs in clinical practice. Variability of drug concentrations in blood of psychiatric patients
Therapeutic drug monitoring (TDM) of neuropsychiatric drugs, the quantification of drug concentrations in blood, is a useful tool for optimizing psychopharmacotherapy in clinical psychiatric practice, first introduced in 2004 by the AGNP-TDM expert group consensus guidelines. A recent update has now been published in 2017, presenting amongst others indications for TDM in psychiatry, therapeutic and dose-related reference ranges and level of recommendations for neuropsychiatric drugs. Drug concentrations in blood may be best interpreted in reference to a therapeutic reference range in combination with a dose-related reference range. According to the new guidelines update, concentrations of neuropsychiatric drugs in 479 serum samples of 229 hospitalized psychiatric patients have been analysed. The study was conducted at the psychiatric hospital, Vitos Klinik Eichberg, in which TDM is well established in routine care. TDM was indicated for various reasons for included psychiatric patients, amongst others because of suspected non-adherence (n=66; 13.8%), age ≥65 years (n=105; 21.9%), comorbidities affecting pharmacokinetics of drugs (n=38; 7.9%) or pharmacokinetic drug-interactions (n=71; 14.8%). Serum concentrations of 32 different neuropsychiatric drugs have been measured. Level of recommendation to use TDM was 1 (“strongly recommended”) for 31.3% (n=10) and 2 (“recommended”) for 40.6% (n=13) of the measured drugs. Results of this study show the necessity of a broader TDM use in psychiatry, based on the high variability of drug concentrations in blood of psychiatric patients because of several indications. Moreover, results show that blood-withdrawal was sometimes not in compliance with the guidelines and therefore the results cannot guide the further dose optimization of the psychotropic drug. 4.5% (n=16) of serum concentrations were not measured under trough-level conditions, 17.6% (n=63) not under steady-state conditions of the drugs. Benefits of TDM in regards to dose optimization, however, can only be obtained when blood-withdrawal is adequately integrated in clinical practice.
While personalized therapy will be more focused in future treatment of psychiatric patients, TDM is still not systematically integrated in clinical practice for an individual optimization of psychopharmacotherapy. Results of this study should encourage physicians to apply TDM adequately in routine care. Various indications for TDM were described in the guidelines. The German update published in this journal can contribute in the future to implement TDM in the best possible way in psychiatric hospitals and out-patient units and therefore improve psychopharmacotherapy of psychiatric patients.
Key words: Psychopharmacotherapy, serum concentration, therapeutic reference range, dose-related reference range, therapeutic drug monitoring
Analyse von CYP450-Wechselwirkungen: kleiner Aufwand, große Wirkung
Das Interaktionspotenzial der nichtselektiven, nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR)
Die in Deutschland am häufigsten verordneten nichtselektiven, nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR) sind Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen. Alle drei Arzneimittel sind Substrate des polymorph exprimierten Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzyms 2C9 (Tab. 1).
Psychopharmakotherapie 2018;25:155–7.