Stress- und Angsterkrankungen

Forschung vom Zebrafisch bis zum Patienten


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Stress, Angsterkrankungen und damit zusammenhängende Störungen standen im Mittelpunkt des WASAD-Kongresses, der im September 2017 in Würzburg stattfand. Das Themenspektrum reichte von der Grundlagenforschung über die klinische Forschung bis zu aktuellen Therapieempfehlungen.

Es war der erste Kongress der 2016 in Würzburg gegründeten World Association for Stress Related and Anxiety Disorders (WASAD). Der Kongress wurde in Kooperation mit dem DFG-Sonderforschungsbereich TRR 58 „Furcht, Angst, Angsterkrankungen“ durchgeführt. Mehr als 200 Teilnehmer aus 26 Ländern waren der Einladung gefolgt. Fünf Keynote-Lectures, gut 20 Symposien und mehr als 50 Poster boten aktuelle Informationen und Stoff für einen lebhaften interdisziplinären Austausch. Im Folgenden eine kleine Auswahl:

Stress fokussiert die Reaktion

Akuter Stress beeinträchtigt das Lernvermögen und verschiebt das Reaktionsmuster des Gehirns vom Denken in Richtung Handeln, von komplexen Reaktionen hin zu einfachen, gewohnten Verhaltensmustern. Anstelle von präfrontalem Kortex und Hippocampus gewinnen das dorsale Striatum und die Amygdala die Oberhand. Der Kognitionspsychologe Prof. Lars Schwabe, Hamburg, erläuterte, dass eine Aktivierung des Mineralocorticoid-Rezeptors zu dieser Verschiebung des Reaktionsmusters beiträgt. Darauf ließen verschiedene Lern- und Verhaltenstests mit und ohne pharmakologische Blockade des Mineralocorticoid-Rezeptors schließen. Inzwischen konnte mithilfe funktioneller Bildgebung (fMRI) nachgewiesen werden, dass der Mineralocorticoid-Rezeptor die Konnektivität der Amygdala mit dem dorsalen Striatum moduliert. Vereinfacht ausgedrückt: Unter akutem Stress verstärkt Cortisol über eine Aktivierung dieses Rezeptors den Informationsaustausch zwischen Amygdala und dorsalem Striatum, sodass präfrontaler Kortex und Hippocampus an Einfluss verlieren.

Optogenetik als neues „Tool“ der Neurobiologie

Zur Untersuchung neurobiologischer Zusammenhänge im Tierexperiment stehen seit wenigen Jahren auch optogenetische Verfahren zur Verfügung. Sie erlauben es, kleine Zellgruppen gezielt mithilfe von Licht zu aktivieren. Die Gruppe um Prof. Philip Tovote, Würzburg, setzte dieses Verfahren ein, um die Regulation aktiver und passiver Furchtreaktionen bei Mäusen zu untersuchen. Auf eine Bedrohung reagieren die Tiere mit Flucht (aktiv) oder mit Erstarren („freezing“; passiv). Tovote et al. konnten zeigen, dass die konditionierte Fluchtreaktion durch Corticotropin-Releasing-Factor (CRF) exprimierende Neuronen der zentralen Aymygdala vermittelt wird, das Erstarren durch Somatostatin exprimierende (SOM+) Neuronen, und dass beide Neuronenpopulationen sich gegenseitig hemmen.

Auch in mehreren Postern wurde über Ergebnisse berichtet, die mithilfe der Optogenetik gewonnen wurden.

Rolle von Mikro-RNAs

In einer Keynote Lecture erläuterte Prof. Alon Chen, München/Rehovot, die Rolle von Mikro-RNA (miRNA) bei der Regulation der Stressantwort und bei stressinduzierten psychiatrischen Störungen. Mikro-RNAs sind hochkonservierte kleine, nichtkodierende RNA-Abschnitte mit durchschnittlich etwa 22 Basenpaaren (bp). Sie regulieren die Genexpression auf der Ebene der mRNA, indem sie an einen kurzen komplementären Abschnitt der mRNA binden – dafür genügen wenige Basen der miRNA – und somit entweder direkt die Translation („Übersetzung“ der mRNA in ein Protein) behindern oder bewirken, dass die mRNA zerschnitten wird. Für eine Reihe von miRNAs wurden bereits relevante Zielgene identifiziert, die mit psychiatrischen Störungen in Zusammenhang stehen. So reguliert miR-34 unter anderem die Expression von Crfr1, dem Gen für den CRF-Rezeptor 1. Durch experimentelle Überexpression von miR-34 in der Amygdala von erwachsenen Mäusen konnte eine anxiolytische Wirkung erzeugt werden.

Tierversuche zeigen ebenfalls, dass eine hohe Expression von miR-135 in serotonergen (5-HT-)Neuronen mit einer erhöhten Stressresilienz und verringerten Depressionsanfälligkeit einhergeht, während umgekehrt bei einem Mangel an miR-135 verstärkte Angstreaktionen und eine abgeschwächte Reaktion auf Antidepressiva beobachtet werden. Bei depressiven Patienten wurden verringerte Spiegel von miR-135 in Blut und Gehirn nachgewiesen. Drei Gene, die verschiedene Subtypen von miR-135 kodieren (MIR135A1, MIR135A2, MIR135B), befinden sich in Genregionen, die mit einer Anfälligkeit für bipolare Störungen oder Major-Depression in Verbindung stehen. Synthetische Mimetika von miRNAs (miRNA-Mimics) werden bereits für verschiedene therapeutische Anwendungen (auch außerhalb des ZNS) geprüft.

Furcht lernen und vergessen

Furcht kann erlernt werden, ein wichtiger Faktor beispielsweise für die Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Beim Lernen von Furcht aufgrund eigener Erfahrung scheinen dieselben neuronalen Schaltkreise beteiligt zu sein wie beim Lernen aufgrund von Beobachtung. Und in beiden Fällen scheinen endogene Opioide regulatorisch zu wirken und als Schutzmechanismus eine Gewöhnung an den angstauslösenden Reiz zu vermitteln. Unter dem Einfluss des Opioidantagonisten Naloxon blieb im Verhaltensexperiment die konditionierte Reaktion auf einen beobachteten aversiven Reiz hingegen länger erhalten, wie Dr. Jan Haaker, Hamburg, beschrieb.

Furcht kann auch wieder verlernt werden. Die zugrunde liegenden neuronalen Aktivitäten werden zum Beispiel im EEG sichtbar und können auch mithilfe der funktionellen Bildgebung beobachtet werden. Mathias F.J. Sperl, MSc, Marburg, konnte bei Patienten durch simultane Ableitung eines EEG und Durchführung eines fMRI mit anschließenden aufwendigen Rechenprozessen eine Korrelation zwischen den frontomedialen Theta-Wellen und der Aktivität der Amygdala beschreiben. Für seinen Vortrag wurde er mit einem Young Researcher Award ausgezeichnet. Den zweiten Young Researcher Award erhielt Dr. Sandra Meier, Aarhus, für ihre Präsentation über eine genomweite Assoziationsstudie von Angst und stressabhängigen Erkrankungen.

Soziale Interaktion kann Angst verstärken, sie kann aber auch Angst abschwächen. Für dieses „social buffering“ gibt es auch tierexperimentelle Belege. Unter anderem wurde kürzlich gezeigt, dass bei Zebrafischen bereits die sichtbare Anwesenheit von zwei Artgenossen im Nachbaraquarium ausreicht, damit sie sich von einem aversiven Reiz weniger beeindrucken lassen. Die neurobiologischen Mechanismen für diesen Effekt der sozialen Interaktion bleiben noch zu untersuchen – auch beim Menschen: eine Aufgabe, die sich Dr. Grit Hein, seit Oktober 2017 Inhaberin der Heisenberg-Professur für Translationale Soziale Neurowissenschaften in Würzburg, gestellt hat.

Risikofaktoren für eine posttraumatische Belastungsstörung

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) wurden zuerst bei ehemaligen Soldaten beobachtet. Möglichkeiten zur Identifizierung von Risikopatienten und zur Früherkennung von PTBS sind aber auch für den Umgang mit zivilen Trauma-Opfern wichtig. Bei PTBS-Patienten wurden unter anderem ein verstärkter angstpotenzierter Startle-Reflex, eine vermehrte Herzfrequenzvariabilität und eine erhöhte Hautleitfähigkeit (gemessen während eines Trauma-Interviews) beobachtet, wie Tanja Jovanovic, PhD, Atlanta, berichtete. Des Weiteren wurde bei PTBS-Patienten eine erhöhte Hypermethylierung des Monoaminoxidase-A-Gens ermittelt, die mit der Schwere der Symptome korrelierte (Dr. Christiane Ziegler, Freiburg). Die MAO-A-Gen-Hypermethylierung könnte mit einer verstärkten noradrenergen Neurotransmission einhergehen, mit möglichen Konsequenzen für pharmakotherapeutische Ansätze.

Im Vordergrund der PTBS-Behandlung stehen allerdings psychotherapeutische Ansätze. Die Resilienz ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ein wichtiges Thema. Zum Einfluss epigenetischer Faktoren auf die Resilienz in Bezug auf PTBS stellte Dr. Divya Mehta, University of Queensland, aktuelle Studienergebnisse vor. Ein eigenes Symposium war Fragen zur Resilienz bei stressinduzierten Erkrankungen gewidmet.

In weiteren Symposien wurden unter anderem die Bedeutung von intrauterinem Stress für die Psychopathologie, die Zusammenhänge von Insomnie und Stress und die Behandlung therapieresistenter Depressionen diskutiert.

Quelle

WASAD-Kongress, Würzburg, 14. bis 16. September 2017.

Psychopharmakotherapie 2018; 25(01):44-50