Michael Koczorek, Bremen
Adipositas ist definiert als Body-Mass-Index (BMI) ≥30 kg/m2. Ihre Prävalenz liegt in Deutschland bei etwa 18% und wird Schätzungen zufolge weiter zunehmen [9]. Damit steigt auch die Häufigkeit begleitender Erkrankungen: Übergewicht und vor allem Adipositas sind der S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ [6] zufolge mit Begleiterkrankungen wie Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels, Dyslipidämien oder kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert. Für die Therapie der Adipositas empfiehlt die Leitlinie ein Stufenschema aus nichtmedikamentösen Maßnahmen (Basistherapie mit Lebensstilmodifikation hinsichtlich Ernährung, körperlicher Aktivität und Verhalten) sowie die Pharmakotherapie und die Chirurgie. Die bariatrische Chirurgie gilt als die derzeit einzige evidenzbasierte Therapie mit langfristiger Gewichtsreduktion. Sie kann aber mit perioperativen Risiken und Komplikationen einhergehen. Eine reine Lebensstiländerung hat dagegen nur selten anhaltende Effekte: Der Großteil dieser Patienten kann das reduzierte Gewicht nicht auf Dauer halten.
Hungergefühl und Nahrungsverlangen verringert
Für die medikamentöse Therapie ist mit Mysimba® nun (Anfang 2018) auch in Deutschland ein Medikament erhältlich, das in den USA bereits seit 2014 und in der EU seit 2015 zugelassen ist. Es kombiniert mit dem My-Opioidrezeptor-Antagonisten Naltrexon und Bupropion, einem schwachen Inhibitor der neuronalen Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme, zwei etablierte Wirkstoffe, die gemeinsam auf zwei unterschiedliche Bereiche im Gehirn wirken: das Hungerzentrum und das Belohnungszentrum (Kasten 1). So können das Hungergefühl und das Verlangen nach Nahrung reduziert werden. Damit kann eine moderate Gewichtsabnahme gegenüber Baseline bei guter Verträglichkeit erreicht werden, wie in den Studien 301 bis 304 mit 4563 Patienten (mittlerer BMI 36 kg/m2) über 56 Wochen nachgewiesen wurde [1, 4, 5, 10]. Eine solche Gewichtsreduktion um 5 bis 10% kann den Gesundheitszustand deutlich verbessern. Das Risiko für Begleiterkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen, Hypertonie sowie obstruktive Schlaf-Apnoe wird verringert und die Lebensqualität der Patienten steigt.
Kasten 1: Kombinierte Wirkung von Naltrexon und Bupropion
Der neurochemische Mechanismus der appetitunterdrückenden Wirkung von Naltrexon/Bupropion ist noch nicht eindeutig geklärt. Eine gängige Erklärung betrifft das Melanocortin-System im Hypothalamus. POMC-Zellen produzieren Proopiomelanocortin (POMC); hierzu können sie durch Bupropion verstärkt angeregt werden. POMC wird in das Alpha-Melanozyten-stimulierende Hormon (α-MSH) und Beta-Endorphin gespalten, beide werden gemeinsam freigesetzt. α-MSH stimuliert Melanocortin-4-Rezeptoren (MC4R) im Hypothalamus, was zu Dämpfung des Appetits, erhöhtem Energieumsatz und Gewichtsabnahme führt. Beta-Endorphin hemmt normalerweise autoinhibitorisch die POMC-Bildung. Diese negative Rückkopplung wird durch Naltrexon unterbunden. [2, 3]
Gewicht reduziert, Begleiterkrankungen gebessert
In den Studien reduzierte Naltrexon/Bupropion in Verbindung mit Diät und vermehrter körperlicher Aktivität das Körpergewicht um 5,9% bis 11,5% (versus 1,4% bis 7,3% unter Placebo). Eine Gewichtsabnahme von mindestens 5% erreichten 53% bis 80% der Patienten (versus 22% bis 60%); mindestens 10% ihres Ausgangsgewichts verloren 26% bis 55% (versus 8% bis 30%). Auch Patienten mit Typ-2-Diabetes, die es besonders schwer haben, das Gewicht zu reduzieren, profitierten von der Behandlung.
Die Gewichtsreduktion wirkte sich auch auf Begleiterkrankungen positiv aus. Im Lipidprofil zeigten sich eine Abnahme der Triglyceride und eine Zunahme des HDL-Cholesterols, bei Typ-2-Diabetikern verbesserte sich die glykämische Kontrolle mit Verringerung des HbA1c-Werts. Die Gesamt-Körperfettmasse nahm verglichen mit Placebo signifikant stärker ab (11,7% versus 4,3%) und war mit einer Reduktion des viszeralen Fettgewebes und des Bauchumfangs assoziiert. Die Lebensqualität steigerte sich in allen Aspekten des IWQOL-Scores (Impact of weight on quality of life) [7].
Die Therapie war zudem sicher und verträglich: Übelkeit, Obstipation, Erbrechen, Schwindel und Mundtrockenheit waren die häufigsten unerwünschten Ereignisse. Signale auf erhöhte Suizidalität, Krampfanfallsneigung oder kardiovaskuläre Ereignisse zeigten sich nicht. Depressive Symptome konnten – gemessen mittels Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) – sogar verbessert werden [8]. 24-Stunden-Daten zum Blutdruck zeigten keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Gleichwohl sollte der Einsatz von Naltrexon/Bupropion bei Patienten mit kontrollierter Hypertonie, Depression, manischer Störung oder Suizidalität in der Vorgeschichte oder Krampfneigung sorgfältig abgewogen werden [3].
Die Dosierung wird über vier Wochen schrittweise erhöht (Kasten 2). Falls nach 16 Wochen das Ausgangsewicht nicht um mindestens 5% reduziert ist, sollte die Behandlung abgebrochen werden [3].
Kasten 2: Dosierung
Mysimba® Retardtabletten enthalten 8 mg Naltrexonhydrochlorid (=7,2 mg Naltrexon) und 90 mg Bupropionhydrochlorid (=78 mg Bupropion). Die Eindosierung erfolgt nach folgendem Schema:
- Woche 1: 1 Tbl. morgens
- Woche 2: 1 Tbl. morgens und 1 Tbl. abends
- Woche 3: 2 Tbl. morgens und 1 Tbl. abends
- Woche 4 und folgende: 2 Tbl. morgens und 2 Tbl. abends
Nach 16 Wochen sollte die Behandlung abgesetzt werden, wenn der Patient nicht mindestens 5% seines Ausgangsgewichts verloren hat. [3]
Fazit
Mit Mysimba® steht ein wirksames Präparat zur Unterstützung einer Gewichtsreduktion zur Verfügung. Synergistische Effekte der Wirkstoffe Naltrexon und Bupropion können eine Gewichtsreduktion von bis zu 11,5% erzielen. Auch Menschen mit Typ-2-Diabetes profitieren von der Kombination aus Opioidrezeptor-Antagonist und Dopamin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Begleiterkrankungen können sich ebenfalls verbessern und die Lebensqualität steigt.
Quelle
Prof. Dr.med. Matthias Blüher, Leipzig, Symposium „Integrierung der Pharmakotherapie in die Adipositasbehandlung“, veranstaltet von Cheplapharm Arzneimittel GmbH im Rahmen der 33. Jahrestagung der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG), Potsdam, 28. September 2017.
Literatur
1. Apovian CM, et al. A randomized, phase 3 trial of naltrexone SR/bupropion SR on weight and obesity-related risk factors (COR-II). Obesity 2013;21:935–943.
2. Greenway FL, et al. Effect of naltrexone plus bupropion on weight loss in overweight and obese adults (COR-I): a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 2010;376:595–605.
3. Hollander P, et al. Effects of naltrexone sustained-release/bupropion sustained-release combination therapy on body weight and glycemic parameters in overweight and obese patients with type 2 diabetes. Diabetes Care 2013;36:4022–9.
4. Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur „Prävention und Therapie der Adipositas“. AWMF-Register Nr. 050/001.
5. Kolotkin RL, et al. Patient-reported quality of life in a randomized placebo-controlled trial of naltrexone/bupropion for obesity. Clinical Obesity 2015;5:237–44.
6. McElroy SL, et al. Naltrexone/Bupropion combination therapy in overweight or obese patients with major depressive disorder: results of a pilot study. Prim Care Companion CNS Disord 2013;15:e1–8.
7. Schienkiewitz A, et al. Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017;2:21–8.
8. Wadden TA, et al. Weight loss with naltrexone SR/bupropion SR combination therapy as an adjunct to behavior modification: the COR-BMOD trial. Obesity 2011;19:110–20.
9. Fachinformation Mysimba® (Stand Dezember 2017).
10. Billes SK, et al. Naltrexone/bupropion for obesity: An investigational combination pharmacotherapy for weight loss. Pharmacological Research 2014;14:1–11.
Psychopharmakotherapie 2018; 25(01):44-50