Zerebrale Blutungen

Funktionelles Outcome intrazerebraler Blutungen unter oraler Antikoagulation 


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Die Analyse von drei großen Registern von Patienten mit Antikoagulanzien-induzierten intrazerebralen Blutungen zeigt, dass eine erneute Antikoagulation das Sterblichkeitsrisiko reduziert und das funktionelle Outcome verbessert.

10 bis 20% aller Schlaganfälle sind intrazerebrale Blutungen, von denen wiederum 10 bis 15% Komplikationen einer oralen Antikoagulation sind. Ein sehr schwieriges Problem ist die Frage, ob bei Patienten mit Vorhofflimmern oder anderen kardialen Emboliequellen die orale Antikoagulation nach einer stattgehabten intrazerebralen Blutung wieder durchgeführt werden kann.

Es handelt sich um eine Metaanalyse individueller Patientendaten aus drei großen Registerstudien: der multizentrischen RETRACE-Studie aus Deutschland mit 542 Patienten, einer monozentrischen amerikanischen Studie mit 261 Patienten und einer multizentrischen Studie aus den Vereinigten Staaten mit 209 Patienten. Untersucht wurde, ob eine erneute Antikoagulation einen Einfluss auf die Sterblichkeit, das funktionelle Outcome und die Schlaganfall-Inzidenz hat. Lobäre und nicht-lobäre Blutungen wurden getrennt analysiert.

Die Studie umfasste 1012 Überlebende einer intrazerebralen Blutung unter Antikoagulanzien. 633 Patienten hatten eine nicht-lobäre und 379 eine lobäre Blutung erlitten. Das mittlere Alter betrug 73 Jahre. 60% der Patienten waren männlich und 30% hatten zuvor bereits einen Schlaganfall erlitten. Der Behinderungsgrad auf der modifizierten Rankin-Skala (mRS) betrug bei Entlassung 4. Eine erneute Antikoagulation erfolgte je nach Studie bei 15 bis 46% der Patienten und eine Behandlung mit Thrombozytenfunktionshemmern bei 20 bis 56% der Patienten. Bezogen auf die Blutungslokalisation erfolgte eine erneute Antikoagulation insgesamt bei 23% der Patienten mit lobärer Blutung und bei 28% der Patienten mit nicht-lobärer Blutung.

In der multivariaten Analyse war eine erneute Antikoagulation unabhängig von der Lokalisation der Hirnblutung mit einer reduzierten Sterblichkeit und einer höheren Wahrscheinlichkeit für ein günstiges funktionelles Outcome (mRS-Score 0–3) assoziiert. Für den Vergleich erneute Antikoagulation vs. keine erneute Antikoagulation betrug das Hazard-Ratio (95%-Konfidenzintervall) nach einer nicht-lobären Blutung in Bezug auf

  • die Sterblichkeit 0,25 (0,14–0,44); p<0,0001,
  • ein verbessertes funktionelles Outcome 4,22 (2,57–6,94); p<0,0001.

Nach einer lobären Blutung betrugen die Werte in Bezug auf

  • die Sterblichkeit 0,29 (0,17–0,45); p<0,0001)
  • ein verbessertes funktionelles Outcome 4,08 (2,48–6,72); p<0,0001.

Eine erneute Antikoagulation führte außerdem zu einer signifikanten Reduktion erneuter Schlaganfälle, und zwar in Bezug auf ischämische Schlaganfälle; neue Hirnblutungen traten nach erneuter Antikoagulation nicht vermehrt auf.

  • Kommentar

Die Ergebnisse der Analyse dieser drei großen Register zeigen, dass bei Patienten, die nach einer stattgehabten intrazerebralen Blutung eine erneute Antikoagulation erhalten, ein Nutzen bezüglich Sterblichkeit, erneuter Schlaganfälle und des funktionellen Outcomes beobachtet werden kann. Die Ergebnisse sind natürlich stark davon beeinflusst, wie die behandelnden Ärzte ein erhöhtes oder nicht erhöhtes Risiko für eine erneute intrazerebrale Blutung erachten. Im Gegensatz zu Studien in der Vergangenheit zeigte sich hier kein Unterschied in Nutzen und Risiko zwischen lobären und nicht-lobären Blutungen. Die Frage, welche Patienten erneut antikoaguliert werden können, kann allerdings nur durch eine prospektive randomisierte Therapiestudie beantwortet werden.

Quelle

Biffi A, et al. Oral anticoagulation and functional outcome after intracerebral hemorrhage. Ann Neurol 2017;82:755–65.

Psychopharmakotherapie 2018; 25(01):44-50