Prof. Dr. Walter E. Müller, Worms/Frankfurt a.M.
Vortioxetin ist ein neuartiges Antidepressivum (multimodal), das durch eine Kombination von Serotonin-Wiederaufnahmehemmung und agonistischen und antagonistischen Effekten an verschiedenen Serotonin-Rezeptoren bei guter antidepressiver Wirksamkeit geringe Serotonin-typische unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) zeigt und darüber hinaus deutlicher als das hier relevante Vergleichsantidepressivum Duloxetin die kognitiven Defizite depressiver Patienten verbessert. Die PPT hat darüber ausführlich berichtet (Otte, Psychopharmakotherapie 2015;22:25–34; Müller, Psychopharmakotherapie 2015;22:177–88). Aus sehr formalen und mehr biostatistisch als klinisch-therapeutisch getriebenen Gründen wurden diese Vorteile in der Bewertung durch das IQWiG und den G-BA negiert und die Substanz auf das Festbetrag-Niveau eingestuft – ein Vorgehen, das von psychiatrischer Seite erhebliche Kritik fand (Laux, Psychopharmakotherapie 2016;23:209–11), zumal der Hersteller sich gezwungen sah, das Präparat in Deutschland vom Markt zu nehmen, da ein kostendeckender Preis nicht möglich war. Die Bedenken, dass damit ein Präparat mit besonderem Wirkungsspektrum für die Patienten in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht mehr zur Verfügung steht, werden durch die Kasuistiken im Beitrag von Otte (Berlin) unterstützt, die zeigen, dass die Umstellung auf ein anderes Antidepressivum meist zu Problemen führt, und damit indirekt das besondere Wirkungsspektrum und die gute Verträglichkeit der Substanz bestätigen.
Off-Label-Verordnungen sind schon immer in der psychiatrischen Pharmakotherapie üblich und werden zurzeit von den Kassen immer mehr infrage gestellt, um Kosten zu reduzieren. Während dieser Ansatz davon ausgeht, nicht wirksame Therapien zu vermeiden, geht ein großes aktuelles Forschungsprojekt im Gegensatz dazu davon aus, über Off-Label-Verordnungen Hinweise über neuartige Therapieansätze für seltene Erkrankungen zu erhalten. So wurden in der jüngst publizierten Erfassung von Off-Label-Verordnungen von Antidementiva (Fritze et al., Psychopharmakotherapie 2017;24:107–18) frontotemporale Demenzen möglicherweise auch assoziiert mit amyotropher Lateralsklerose und Chorea-Huntington als mögliche Indikationen identifiziert. Im Beitrag der gleichen Arbeitsgruppe im vorliegenden Heft (Fritze et al., Frankfurt/M.) konnte jetzt in Ergänzung der zurückliegenden Daten gezeigt werden, dass bei Betrachtung nur der ambulanten ohne die stationären Diagnosen eine Überschätzung der Off-Label-Verordnungen zu sehen ist.
Ganz im Sinne der Evidenz-basierten Psychopharmakotherapie ist der Beitrag von Messer et al. (Pfaffenhofen) über einen Expertenkonsens zum Management der psychomotorischen Agitation als einer schwierigen psychiatrischen Notfallsituation.
In unserer Rubrik Arzneimittelsicherheit berichten Thume et al. (Wiesbaden) über ein Serotonin-Syndrom und sehr hohe Duloxetin-Plasmaspiegel unter der Kombination von Duloxetin mit Trazodon und Petri (Wildungen) über das mögliche Risiko von CYP450-Wechselwirkungen von antirheumatischen Basistherapeutika. Eine ganze Reihe von Literaturberichten runden wie immer die breite Palette relevanter Informationen zur psychiatrischen Pharmakotherapie ab.
Psychopharmakotherapie 2017; 24(04)