Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
Aggressives feindseliges Verhalten ist bei Patienten mit Schizophrenie während einer akuten Phase verbreitet und erhöht das Risiko zur Gewalttätigkeit. In früheren Untersuchungen zeigte sich Besserung unter oralem Aripiprazol, wie es schien unabhängig von der allgemeinen antipsychotischen Wirksamkeit. Langwirksame zur Injektion geeignete Antipsychotika haben in der Behandlung von aggressivem, feindseligem Verhalten den Vorteil, dass die Nichtbeachtung von Einnahmevorschriften oraler Medikamente umgangen wird. Aripiprazol-Lauroxil wurde von der amerikanischen FDA im Oktober 2015 als Depotpräparat zur Behandlung der Schizophrenie bei erwachsenen Patienten zugelassen; für Europa scheint noch kein Zulassungsantrag gestellt worden zu sein. Aripiprazol-Lauroxil ist ein Prodrug, das nach intramuskulärer Injektion langsam freigesetzt und durch enzymatische Hydrolyse in das pharmakologisch aktive Aripiprazol umgewandelt wird. Da die Bildung von Aripiprazol sehr verzögert erfolgt, wird bei Beginn einer Behandlung eine begleitende Einnahme von oralem Aripiprazol empfohlen.
So wurde auch in der randomisierten Doppelblindstudie verfahren, in der die Wirksamkeit von Aripiprazol-Lauroxil bei akut exazerbierter Schizophrenie im Vergleich zu Placebo nachgewiesen wurde [1]. Die Studie wurde zwischen Dezember 2011 und März 2014 in sieben Ländern durchgeführt (USA, Bulgarien, Malaysia, Philippinen, Rumänien, Russland und Ukraine). In der Post-hoc-Analyse der Studie wurden die Effekte von Aripiprazol-Lauroxil auf Anzeichen und Symptome feindseligen und aggressiven Verhaltens untersucht.
Methoden
Patienten und Studiendesign: Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von 18 bis 70 Jahren mit der Diagnose einer Schizophrenie nach den Kriterien des DSM-IV-TR. Die Patienten hatten seit weniger als zwei Monaten vor Screening eine akute Exazerbation und einen stationären Aufenthalt seit weniger als zwei Wochen. Die Beschwerden mussten sich unter einer antipsychotischen Medikation gebessert haben und die Patienten durften noch kein Clozapin eingenommen haben. Bei Screening und Einschluss musste der PANSS-Score zwischen 70 und 120 liegen (deutlich bis schwer krank) und wenigstens zwei der folgenden Items mussten einen Score von ≥4 haben: Wahnvorstellungen, formale Denkstörungen, Halluzinationen, Misstrauen/Verfolgungswahn. Weiterhin musste der Score der Clinical Global Impression Scale, Teil „Schweregrad“ (CGI-S), bei 4 und darüber liegen (moderat bis sehr schwer krank). Ausschlusskriterien waren unter anderen Behandlungsresistenz und klinisch signifikante psychische und körperliche Begleiterkrankungen.
Geeignete Patienten wurden stationär aufgenommen und randomisiert einer doppelblinden Behandlung mit 441 mg bzw. 882 mg Aripiprazol-Lauroxil (entsprechend 300 und 600 mg Aripiprazol) oder Placebo zugewiesen. Die Prüfsubstanzen wurden an den Tagen 1, 29 und 57 in die Glutealmuskulatur injiziert. Zusätzlich zu der intramuskulär verabreichten Studiensubstanz erhielten die Patienten in den ersten drei Wochen täglich 15 mg Aripiprazol oder Placebo. Die Wirksamkeit wurde an den Tagen 1, 8, 15, 22, 29, 57 und 85 beurteilt.
Wirksamkeitsparameter: Zur Post-hoc-Analyse der Feindseligkeit und Aggression wurden folgende Skalen verwendet:
a) Score des Items „Feindseligkeit“ (P7) der PANSS (1=fehlend bis 7=extrem);
b) der PANSS Ecited Component (PANSS-EC) Score bestehend aus der Summe der Scores von fünf PANSS-Items (P4 Erregung, P7 Feindseligkeit, G4 innere Spannung, G8 unkooperatives Verhalten und G14 mangelnde Impulskontrolle;
c) die Personal and Social Performance (PSP) Scale.
Für die Auswertung des Items „Feindseligkeit“ wurden die Anteile der Patienten mit einem Score von 1 (fehlend) bzw. über 1 (irgend ein Grad der Feindseligkeit) betrachtet. Bei der PANSS-EC wurde die Änderung des Scores vom Einschluss bis zum Endpunkt (Tag 85) ausgewertet sowie der Anteil der PANSS-Responder (≥30% Verbesserung des PANSS-Scores) und Nonresponder (<30% Verbesserung des Scores) berechnet. Bei der PSP wurden die Items störendes und aggressives Verhalten ausgewertet (fehlend oder vorhanden; wenn vorhanden: leicht, mäßig, deutlich, schwerwiegend, oder sehr schwerwiegend).
Ergebnisse
Insgesamt wurden 623 Patienten eingeschlossen (Aripiprazol-Lauroxil 441 mg: n=207, 882 mg: n=208; Placebo: n=208). Der mittlere Score der PANSS bei Einschluss zeigte, dass die Patienten schwer gestört waren (Score >90). Der mittlere Score der PSP war 50 (ernsthafte Schwierigkeiten im sozialen und persönlichen Umgang) und der mittlere PANSS-EC-Score war 12 (ein Score von ≥20 bedeutet schwere Agitiertheit).
Gut 70% der Patienten jeder Gruppe hatten initial einen PANSS-Feindseligkeits-Item-Score von >1 (durchschnittlich 2,7 bzw. 2,8). Dieser wurde bis zum Ende der Studie unter 882 mg Aripiprazol-Lauroxil signifikant stärker gebessert als unter Placebo (p<0,05). Am Endpunkt war der Anteil der Patienten mit einem Score >1 unter Aripiprazol signifikant geringer als unter Placebo (441 mg: 53,6%; 882 mg: 46,1%; Placebo: 66,3%; p=0,01 bzw. p<0,001). Verglichen mit Placebo wurde in beiden Aripiprazol-Lauroxil-Gruppen eine signifikante Verbesserung der PANSS-EC gefunden (Abb. 1).
Abb. 1. Mittlere Änderung des Scores der Positive and Negative Syndrom Scale Excited Component (PANSS-EC) vom Einschluss bis zum Endpunkt, last observation carried forward (LOCF); *p<0,001; **p<0,01 im Vergleich zu Placebo [nach Citrome et al.]
Bei Nonrespondern im PANSS-Gesamtscore zeigte sich dennoch eine signifikant größere Änderung des PANSS-EC-Scores unter Aripiprazol-Lauroxil 441 mg und 882 mg als unter Placebo (p=0,004 bzw. p<0,001). Das deutet darauf hin, dass die Verbesserung des PANSS-EC-Faktors bei dieser Gruppe unabhängig von den Verbesserungen des PANSS-Gesamtscores war. Weiterhin wurde unter Aripiprazol-Lauroxil (441 mg und 882 mg) mithilfe der PSP ein signifikant geringerer Anteil von Patienten mit störendem und aggressivem Verhalten gefunden als unter Placebo (441 mg: 30%; 882 mg: 22,2%; Placebo 44,1%; p=0,007 bzw. p<0,001). Die Autoren folgern aus ihrer Analyse, dass Aripiprazol-Lauroxil eine sinnvolle Behandlungsoption bei Schizophrenie-Patienten mit aggressivem und feindseligem Verhalten sein kann.
Kommentar
Feindseligkeit und Aggression von schizophrenen Patienten können sowohl dem Patienten als auch dem alltäglichen sozialen Umfeld und dem behandelnden Arzt Probleme bereiten.
Die in der vorliegenden Post-hoc-Analyse gefundene antiaggressive Wirksamkeit von Aripiprazol beruht auf den Daten einer großen Patientenzahl. Sie steht somit auf einer soliden Datenbasis und war in beiden Aripiprazol-Gruppen hochsignifikant der Placebo-Behandlung überlegen. Ein zweifellos interessanter Aspekt der Analyse ist, dass dieser Effekt unabhängig von der antipsychotischen Wirksamkeit der Prüfsubstanz zu sein scheint. Da dies die erste, also bisher einzige Analyse dieses Effekts einer Antipsychotika-Behandlung ist, lässt sich noch nicht beurteilen, ob dies eine spezifische Wirkung von Aripiprazol sein könnte oder ob dieser Effekt auch bei anderen Antipsychotika zu finden ist.
Quelle
Citrome L, et al. Effect of aripiprazole lauroxil on agitation and hostility in patients with schizophrenia. Int Clin Psychopharmacol 2016;31:69–75.
Literatur
1. Meltzer HY, et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of aripiprazole lauroxil in acute exacerbation of schizophrenia. J Clin Psychiatry 2015;76:1085–90.
Psychopharmakotherapie 2017; 24(04)