Dr. Alexander Kretzschmar, München
Die nachhaltigen und tiefgreifenden Interaktionen zwischen dem Darm-Mikrobiom mit somatischen und psychischen Erkrankungen eröffnen neue pathophysiologische Zusammenhänge bei scheinbar bereits verstandenen sowie noch wenig verstandenen Erkrankungen. Bei der Depression ist heute der Einfluss von inflammatorischen und Stressreizen, beispielsweise über die Hypophysen-Hypothalamus-Nebennierenrinden-Achse (HPA), auf die Affektlage anerkannt. Klinische Beobachtungen einer erhöhten Inzidenz einer Major Depression bei bis zu 60% der Patienten mit Reizdarmerkrankungen haben den Blick auch frühzeitig auf eine mögliche Beteiligung des Darm-Mikrobioms gelenkt. Diese Assoziation verläuft bidirektional auf der Darm-Hirn-Achse über neuroaktive Moleküle (z.B. mikrobielle Peptide mit Wirkung an Benzodiazepin-Rezeptoren), N. vagus sowie weitere spezifische und unspezifische Komponenten des Immunsystems [1].
Inzwischen wurden auch bei depressiven Patienten charakteristische Veränderungen des Darm-Mikrobioms nachgewiesen. Allerdings ist noch unklar, ob diese Veränderungen spezifisch für die Depression sind. Bislang wenig beachtet wurden Befunde, dass einige Antidepressiva auch – möglicherweise therapierelevante – antimikrobielle Eigenschaften besitzen (Tab. 1) [5]. Damit könnten Veränderungen des Darm-Mikrobioms auch erwünschte (oder unerwünschte) Folge einer antidepressiven Pharmakotherapie sein. Andererseits gibt es Hinweise, dass Antibiotika, insbesondere Minocyclin, auch antidepressive Effekte vermitteln (Tab. 2) [5]. Eine Antibiotikatherapie der Depression wäre dann etwa vergleichbar mit der Eradikation von Helicobacter pylori zur Prävention eines Magenkarzinoms.
Tab. 1. Antidepressiva als Antibiotika (mod. nach [5])
|
|
|
|
|
|
Tab. 2. Antibiotika als Antidepressiva (mod. nach [5])
|
|
|
|
|
|
|
|
OptiMD sucht neue Therapieansätze
Diese und andere Fragen zum Einfluss des Darm-Mikrobioms auf die Depression werden derzeit vom Forschungsverbund OptiMD untersucht. Zwei klinische Studien und fünf Forschungsprojekte suchen nach Ansätzen, wie die Behandlung der Depression hinsichtlich ihrer Effektivität und einem früheren Wirkungseintritt optimiert werden kann [7]. An dem Konsortium beteiligt sind sechs universitäre Zentren und ein Max-Planck-Institut. Subprojekt 3 (Baghai et al., Regensburg) erforscht die Relevanz der Zusammensetzung des Dickdarm-Mikrobioms für Subtypen depressiver Erkrankungen, das Ansprechen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Antidepressiva-Therapie. Subprojekt 6 (Heuser et al., Berlin) ist eine multizentrische Studie zur Wirksamkeit des Antibiotikums Minocyclin als neue therapeutische Strategie bei therapieresistenter Depression zur Verstärkung verschiedener Antidepressivaklassen. Möglicherweise trägt die weitere Erforschung der Darm-Hirn-Achse zu einer genaueren Endotypisierung der Depression mit dem Darm als weiterem „kausalen Player“ neben genetischen Einflüssen bei. Ein weiterer erhoffter Aspekt wäre die genauere Vorhersage des Therapieverlaufs sowie die Gewinnung von Hinweisen zur Wahl des geeigneten – auch antibiotisch wirksamen – Antidepressivums zur Therapieoptimierung.
„Eubiotisches Resetting“ als Option
Die Art der Ernährung steuert Hormone, Neurotransmittersysteme und Signalkaskaden im Darm. Dies können Hirnfunktionen wie Plastizität (Hirnreifung), das Belohnungssystem, die Energieaufnahme, Appetit, Schlaf, Stimmung und kognitive Funktionen beeinflussen [8]. Die Wiederherstellung eines gesunden, vielfältigen Mikrobioms könnte eine ganz neue Form der Depressionsbehandlung darstellen. Dieser Ansatz eines „eubiotischen Resetting“ des Mikrobioms durch diätetische Veränderungen wie der Zugabe von Probiotika, „Psychobiotika“ oder auch Antibiotika zur Verringerung der affektiven Symptomatik wird durch erste klinische Studien unterstützt [2–4, 6].
Quelle
Prof. Dr. med. Thomas Baghai, Regensburg, Prof. Dr. Rainer Rupprecht, Regensburg, Prof. Dr. med. Undine Lang, Basel (Schweiz), Symposium S-130 „Bedeutung des Microbioms für affektive Störungen“, veranstaltet im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN), Berlin, 25. November 2016.
Literatur
1. Kahlert C, Müller P. Schweiz Med Forum 2014;14:342–4.
2. Kelly JR, et al. J Psychiatr Res 2016;82: 109–18.
3. Lang UE, et al. Cell Physiol Biochem 2015;37:1029–43.
4. Luna RA, Foster JA. Curr Opin Biotechnol 2015;32:35–41.
5. Macedo M, et al. J Affect Disord 2017;208:22–32.
6. Naseribafrouei A, et al. Neurogastroenterol Motil 2014;26:1155–62.
7. Verbund OptiMD im Forschungsnetz psychische Erkrankungen. www.optimd.de .
8. Wang Y, Kasper LH. Brain Behav Immun 2014;38:1–12.
Psychopharmakotherapie 2017; 24(03)