Schizophrenie

Herausforderung Langzeittherapie: Kriterien und Lösungsmöglichkeiten


Reimund Freye, Baden-Baden

Die Langzeitbehandlung von Schizophrenie-Patienten wurde beim DGPPN-Kongress 2016 in einem von Lundbeck/Otsuka veranstalteten Satellitensymposium thematisiert. Dabei wurde die Applikation von Depot-Präparaten als eine noch zu wenig genutzte Form der Behandlung favorisiert, die keinesfalls nur als letzte Möglichkeit bei mangelnder Adhärenz anzusehen ist. Vielmehr ist es eine sichere und konveniente Form der Behandlung, die zu einer verbesserten Lebensqualität und Alltagsfunktionalität beiträgt, wie nun in der QUALIFY-Studie belegt wurde.

Entgegen anderslautenden Annahmen weist die Akutbehandlung der Schizophrenie eine sehr ähnliche Effektstärke auf wie etwa die antihypertensive Therapie bei den Internisten. Dabei sind die antipsychotischen Einzelsubstanzen in ihrer Wirksamkeit mit einer Effektstärke (Cohens’d) von im Mittel 0,5 durchaus vergleichbar [1]. Lediglich Clozapin sticht mit einer sehr guten Effektstärke von 0,8 hervor.

Wenn es gelingt, den Patienten in einer ersten ausgeprägten psychotischen Episode mit einer guten antipsychotischen Substanz zu behandeln, stellt sich die Frage nach einer effizienten Erhaltungstherapie. Dabei steht nicht nur die Positivsymptomatik im Vordergrund. Die aktuelle deutsche Leitlinie empfiehlt, nach dem Abklingen einer Erstepisode zwölf Monate weiter zu behandeln. Traten bereits mehrere Episoden auf, wird der Zeitraum einer Nachbehandlung auf zwei bis fünf Jahre angesetzt [2].

Nebenwirkungen in der Langzeit-Behandlung von Belang

Eine Übersichtsarbeit errechnete für die medikamentöse Erhaltungstherapie eine Effektstärke von 0,92, was erheblich höher angesiedelt ist als die Effektstärke der Akuttherapie [1]. Selbst wenn der Patient bereits längere Zeit – in einer Studie waren es drei bis sechs Jahre – ohne Positivsymptomatik verlebt hat, ist statistisch eine Fortführung der antipsychotischen Medikation noch von Vorteil. Sie verhindert nicht nur Rezidive, sondern auch eine Rehospitalisierung, Suizide und Gewalttätigkeiten [3].

Eine weitere Studie verglich zwei Depotpräparate in der Langzeittherapie, und zwar Haloperidol und Paliperidon. Bezüglich der Effektivität auf die Positivsymptomatik unterschieden sie sich praktisch nicht. Allerdings traten unter Haloperidol mehr extrapyramidal-motorische Störungen auf, unter Paliperidon erhöhte sich der Prolactin-Spiegel [5]. Ein Kriterium für die Wahl der Substanz bei längerer Behandlung ist sicherlich das Nebenwirkungsspektrum, wobei individuell zu prüfen ist, was den Patienten am meisten beeinträchtigt.

Ist etwa für den Patienten sein Sexualleben besonders wichtig, ist eher eine Substanz auszuwählen, die möglichst wenig Prolactin-Erhöhung verursacht, wie etwa Aripiprazol. Ebenfalls günstig ist das Nebenwirkungsprofil dieses Arzneistoffs in Hinsicht auf QT-Zeit-Verlängerung, Gewichtszunahme und Sedierung [4].

Das Belohnungssystem – wichtig für die Motivation

Wichtig scheint zu sein, das Belohnungssystem nicht zu stark zu dämpfen (namentlich über einen D2-Antagonismus). Schließlich spielt es für die motivationale Steuerung des menschlichen Verhaltens eine entscheidende Rolle. Mit einer Dosisreduktion bis zu einem gerade eben noch ausreichenden D2-Antagonismus für die Rezidivprophylaxe wurde in einer holländischen Studie experimentiert. Verglichen wurden Patienten, die zur Langzeitbehandlung ein medianes Haloperidol-Äquivalent von 3,5 mg/Tag oder lediglich rund 2,2 mg/Tag erhielten. Unter geringerer Dosis traten vermehrt Rezidive auf. Allerdings wiesen die Patienten mit der niedrigeren Dosis eine deutlich bessere Alltagsfunktionalität auf als die Kontrollgruppe [7]. Hieraus ließe sich folgern, dass der dopaminerge Antagonismus (v.a. D2) so weit wie möglich heruntergefahren werden sollte, um die Aussichten des Patienten für die Reintegration in den Alltag zu verbessern.

Die Alltagsfunktionalität sollte sich in der vom Patienten selbst erfahrenen Lebensqualität abbilden. Dabei kann die Lebensqualität von Schizophrenie-Patienten mittlerweile mit psychometrisch robusten Verfahren im Selbstbericht zuverlässig erfasst werden. Die Messung der Lebensqualität erschließt zusätzlich die subjektive Sicht des Patienten und ist somit wichtig für eine patientenorientierte Versorgung. Bewährt hat sich unter anderem die Heinrich-Carpenter-QLS (Quality of life scale). Die Skala umfasst vier Bereiche (21 Items): zwischenmenschliche Beziehungen, Rollenausfüllung, Zielstrebigkeit und Motivation sowie Alltagsfunktion. Im besten Fall wird ein Gesamtscore von 126 Punkten erreicht.

QUALIFY-Studie fokussiert Lebensqualität

Für die Langzeitbehandlung von Schizophrenie-Patienten werden Depot-Präparate immer noch wenig genutzt. Sie sollten dem Patienten frühzeitig angeboten werden, als eine sichere und bequeme Form der Arzneimittel-Gabe. Keinesfalls sollten sie als „Strafmaßnahme“ bei nicht ausreichender Adhärenz zum Einsatz kommen. Dies fördert nur das Negativ-Image. Viele Patienten lehnen möglicherweise ein Depot-Präparat gar nicht ab, sondern wissen nur nicht, dass es solche Formulierungen gibt.

In der randomisierten, offenen, verblindet ausgewerteten QUALIFY-Studie (Quality of life with Abilify Maintena®) wurde über 28 Wochen Aripiprazol-Depot gegen Paliperidon-Depot zunächst auf Nichtunterlegenheit, sodann auf Überlegenheit getestet. Eingeschlossen wurden insgesamt 295 Schizophrenie-Patienten mit einem CGI(Clinical global impression)-S-Wert zwischen 3 und 5 (moderat bis schwer erkrankt). Als primärer Endpunkt wurde die Veränderung der Lebensqualität auf der Heinrich-Carpenter-QLS herangezogen. Der Ausgangswert lag bei knapp über 60 Punkten.

In der Gesamtauswertung konnte Aripiprazol-Depot versus Paliperidon-Depot einen Vorteil von 4,67 Punkten median erzielen (p=0,036). Damit einher ging eine signifikant stärkere Senkung des CGI im Aripiprazol-Kollektiv (p=0,004).

Besonders profitierten von der Aripiprazol-Depot-Behandlung die jüngeren Patienten (max. 35 Jahre), und zwar sowohl bei der Lebensqualität als auch bei der klinischen Symptomatik (CGI). Ebenso war die Arbeitsfähigkeit in der Aripiprazol-Kohorte deutlicher gestiegen. Eine eklatante Differenz zeigte sich beim Anstieg des Prolactin-Spiegels, der unter Aripiprazol sank, unter Paliperidol aber erheblich stieg. Entsprechend verminderte sich der Anteil der Patienten, die nach 28 Wochen Behandlung unter Aripiprazol-Depot über sexuelle Funktionsstörungen berichteten, von 54% auf 38%, während im Vergleichskollektiv die Quote gleich blieb.

In der Extensionsphase (nur Aripiprazol) bis Woche 52 konnte der CGI-Status gehalten werden, die Lebensqualität nahm in der Tendenz sogar noch zu. Bei beiden Depot-Präparaten wurden im Vergleich mit der oralen Applikation keine neuen Nebenwirkungen beobachtet.

Quelle

Prof. Dr. med. Jens Kuhn, Oberhausen, Prof. Dr. phil. Monika Bullinger, Hamburg, Prof. Dr. med. Dieter Naber, Hamburg, Satelliten-Symposium: „Behandlung für’s Leben – was wirklich zählt für Patienten mit Schizophrenie“, veranstaltet von Lundbeck und Otsuka Pharma im Rahmen des DGPPN Kongresses 2016, Berlin, 25. November 2016.

Literatur

1. Huhn M, et al. Efficacy of pharmacotherapy and psychotherapy for adult psychiatric disorders: a systematic overview of meta-analyses. JAMA Psychiatry 2014;71:706–15.

2. Kohl S, et al. Psychopharmakotherapie 2014; 21:85–95.

3. Leucht S, et al. Antipsychotic drugs versus placebo for relapse prevention in schizophrenia: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2012;379:2063–71.

4. Leucht S, et al. Comparative efficacy and tolerability of 15 antipsychotic drugs in schizophrenia: a multiple-treatments meta-analysis. Lancet 2013;382:951–62.

5. McElvoy JP, et al. Effectiveness of paliperidone palmitate vs haloperidol decanoate for maintenance treatment of schizophrenia: a randomized clinical trial. JAMA 2014;311:1978–87.

6. Naber D, et al. Qualify: a randomized head-to-head study of aripiprazole once-monthly and paliperidone palmitate in the treatment of schizophrenia. Schizophr Res 2015;168:498–504.

7. Wunderink L, et al. Recovery in remitted first-episode psychosis at 7 years of follow-up of an early dose reduction/discontinuation or maintenance treatment strategy: long-term follow-up of a 2-year randomized clinical trial. JAMA Psychiatry 2013;70:913–20.

Psychopharmakotherapie 2017; 24(03)