Robert Christian Wolf, Heidelberg, und Elisabeth Angela Boßlet, Homburg
Extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen einer Behandlung mit Valproinsäure (VPA) werden seit etwa Ende der 70er-Jahre beschrieben [3, 12]. Zu den kognitiven und extrapyramidal-motorischen Nebeneffekten von VPA in Kombination mit anderen Psychopharmaka sind jedoch in der aktuellen Literatur einige wenige Fallberichte und Fallserien verfügbar [2, 5, 8, 13, 14], die sich weitgehend auf die Langzeiteinnahme von VPA über mehr als sechs Monate beziehen. Armon und Mitarbeiter prägten in ihrer Fallserie über 36 Patienten mit einer Epilepsie den Ausdruck „syndrome of reversible valproate-induced parkinsonism and cognitive impairment“ [2]. Der Wirkungsmechanismus von VPA ist derzeit nicht vollständig aufgeklärt. Bekannt ist eine GABAerge Hemmung repetitiver Neuronenaktivität [7, 15] sowie eine Verringerung der Aktivität von T-Calciumkanälen [10]. Ebenfalls diskutiert wurde eine zu exzessiver GABA-Aktivität neigende Dysbalance in GABAergen Bahnen der Basalganglien [17]. Hierbei bleibt zu berücksichtigen, dass sich der Metabolit Delta-2-Valproat in der Substantia nigra, dem Colliculus superior et inferior, dem Hippocampus und der Medulla anreichert [18]. Als weiterer möglicher Mechanismus hinter den beobachteten Fällen eines VPA-induzierten Parkinsonismus wurde ein Einfluss auf die Komplex-I-Aktivität der Atmungskette (NADH/H+-Dehydrogenase) vermutet [2]. Erwogen werden auch eine VPA-assoziierte Modifikation der Genexpression und neurodegenerative Mechanismen [3]. Quetiapin (QUET) hingegen ist bekannt für eine geringe Inzidenz extrapyramidal-motorischer Störungen (EPMS) im Vergleich zu anderen Antipsychotika und liegt hierbei in Häufigkeit und Ausprägung der EPMS etwa gleichauf mit dem Auftreten von EPMS unter Placebo [11]. Als hierfür ursächlich wird insbesondere die geringe Affinität zu nigrostriatalen Dopaminrezeptoren diskutiert [19]. Die Kombination mit VPA und QUET ist eine häufig eingesetzte und international empfohlene Kombination in der Therapie der bipolaren Störung [21].
Fallbericht
Frau B., eine 54-jährige Patientin, leidet seit dem 25. Lebensjahr an einer schizoaffektiven Störung, die sich in den ersten Erkrankungsjahren mit depressiver Symptomatik zeigte. Später traten akustische Halluzinationen und ein Beziehungswahn hinzu. Im Jahr 1997 wurde die Patientin erstmals psychopharmakotherapeutisch mit Doxepin, Trimipramin und Haloperidol bei ängstlich gefärbter, von Beziehungsideen geprägter Psychopathologie behandelt. In späteren Aufenthalten wurde eine Medikation aus Venlafaxin retard, Clorazepat, Carbamazepin und Nitrazepam bei insgesamt guter Verträglichkeit etabliert. 2007 kam es zur Umstellung auf unter anderen Ziprasidon, Trazodon, Chlorprothixen und Zolpidem.
Die Behandlung mit VPA wurde ambulant etwa 2012 begonnen. Während eines stationären Aufenthalts 2012 wurde die VPA-Dosis spiegeladaptiert angepasst (2013: 1050 mg VPA) und es wurden QUET XR (bis 400 mg), Olanzapin und Mirtazapin eingeführt. Aufgrund unzureichender klinischer Wirksamkeit wurde damals zusätzlich mit Pregabalin behandelt. VPA wurde seitdem beibehalten; 2014 erfolgte eine Dosiserhöhung von 1050 mg auf 1200 mg VPA. Diese Dosis blieb über mehrere Monate hinweg stabil, ohne Hinweise auf eine Unverträglichkeit des Pharmakoregimes.
Im Verlauf wurde aufgrund einer erneuten Exazerbation depressiver und psychotischer Symptome QUET XR von 400 mg auf 600 mg erhöht. Pregabalin wurde mit 200 mg eingesetzt (Reduktion der Dosis von initial 300 mg) mit dem Ziel einer weiteren Dosisreduktion und schließlich des Absetzens von Pregabalin im weiteren Verlauf. Zusätzlich wurden Aripiprazol 5 mg, Sertralin 50 mg und unretardiertes QUET 50 mg verabreicht. Hierunter kam es zu einer klinischen Vollremission bei insgesamt sehr guter Verträglichkeit des Pharmakoregimes.
Nach Einführung der Psychopharmakotherapie in den oben angegebenen Dosierungen stellte sich jedoch wenige Wochen nach der Entlassung aus der stationären Behandlung ein zunächst diskreter bilateraler Tremor ein, im weiteren Verlauf zusätzlich Muskelrigidität und Schwindel. Als einschränkend erwiesen sich die zunehmende Gang- und Standunsicherheit sowie eine zunehmende Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörung. Insbesondere zeigten sich visuell-räumliche Defizite und eine reduzierte Arbeitsgedächtnisleistung. Die Symptome zeigten sich über drei Monate hinweg deutlich progredient. Eine mehrere Wochen im Vorfeld der Aufnahme ambulant vorgenommene Reduktion von Sertralin auf 25 mg erwies sich als ineffektiv.
Aufgrund der alltagsrelevanten kognitiven Dysfunktion und einer deutlichen Zunahme von EPMS erfolgte die erneute stationäre Aufnahme. Der VPA-Spiegel bei Aufnahme lag bei 96,5 µg/ml (therapeutisch wirksamer Bereich 50–100 µg/ml). Der QUET-Spiegel vom Aufnahmetag lag bei 141 µg/l (therapeutisch wirksamer Bereich 70–170 µg/l), der Aripiprazol-Spiegel lag bei 62,8 µg/l (therapeutisch wirksamer Bereich 150–250 µg/l). Das EEG bei Aufnahme und Entlassung erbrachte keinen pathologischen Befund, ebenso zeigte die kraniale Computertomographie (cCT) keine Pathologien im Vergleich zum cMRT-Vorbefund von 2014.
Nach Reduktion der VPA-Dosis von 2-mal 600 mg auf 2-mal 450 mg und QUET von 600 mg auf 300 mg besserten sich die Symptome deutlich. Der VPA-Spiegel lag nun bei 70,7 µg/ml. Nach etwa sieben Tagen konnte im Hinblick auf die zur Aufnahme führende Symptomatik Beschwerdefreiheit erzielt werden. Dem Naranjo-Algorithmus [6, 16] folgend erschien eine unerwünschte Arzneimittelwirkung bei einem Score von 8 als „wahrscheinlich“. Der Range für eine „wahrscheinlich“ unerwünschte Arzneimittelwirkung liegt dabei zwischen 5 und 8 Punkten, ab 9 Punkten gilt die Nebenwirkung als sicher [16].
Diskussion
Es handelt sich um eine Patientin mit einer schizoaffektiven Störung und einer rund zweijährigen Behandlung mit VPA und QUET. Nach einer Dosiserhöhung von VPA um 14% und von QUET um 62,5% der jeweiligen Ausgangsdosierungen (1050 mg VPA und 400 mg QUET) und nach Ergänzung dieser Kombination mit 5 mg Aripiprazol zeigten sich nach initial mehrwöchiger Nebenwirkungsfreiheit progrediente EPMS mit kognitiven Defiziten. Nach einer Dosisreduktion von VPA und QUET zeigte diese Symptomatik innerhalb etwa einer Woche eine Vollremission. Wir erwogen drei potenziell relevante Ursachen der zur Hospitalisierung führenden motorischen und neurokognitiven Symptome:
VPA-assoziierter Parkinsonismus
VPA-assoziierte EPMS, mit und ohne komorbide kognitive Dysfunktion, sind seit etwa Ende der 70er-Jahre bekannt. Die Pathomechanismen des VPA-assoziierten Parkinsonismus sind weitgehend unbekannt. Es wurde auf eine Assoziation mit der dopaminergen Neurotransmission verwiesen, Kausalität kann jedoch diesbezüglich allenfalls vermutet werden [3].
Die bisher beschriebenen Fälle eines VPA-assoziierten Parkinsonismus verweisen auf eine Verbesserung der Symptomatik nach Absetzen bzw. Dosisreduktion des Wirkstoffs. Die zeitliche Latenz der klinischen Remission ist sehr variabel, scheint aber in den meisten Fällen prolongiert zu sein. Gelegentlich wird eine Vollremission nicht erreicht [3].
In Kenntnis des Behandlungsverlaufs und der klinischen Verlaufsbeobachtung kann im vorliegenden Fall ein Zusammenhang zwischen VPA-Langzeiteinnahme und EPMS sowie kognitiven Einschränkungen erwogen werden, ungeachtet der guten Verträglichkeit des Wirkstoffs in der Vergangenheit. Nach einer geringfügigen Dosiserhöhung von VPA zeigten sich progrediente EPMS einhergehend mit kognitiven Defiziten, die jedoch rasch nach Reduktion von VPA vollständig remittierten. Die sehr rasche Vollremission der Symptome ist im Vergleich zu den in der aktuellen Literatur beschrieben Verläufen nicht typisch. Diese suggerieren eine protrahierte Remission und zum Teil auch Residualzustände [3, 12].
Pharmakokinetische VPA/QUET-Interaktion
Erwogen wurde auch eine pharmakokinetisch relevante VPA/QUET-Interaktion; hierfür hätten hier jedoch höhere QUET-Spiegel vorliegen müssen, wie bereits kasuistisch in einem vergleichbaren Zusammenhang vorbeschrieben [9]. Zum Aufnahmezeitpunkt erfolgte sowohl die Reduktion von VPA als auch von QUET, eine ausschließliche VPA-Dosisreduktion (gefolgt von einer späteren Dosisreduktion von QUET in Abhängigkeit vom klinischen Verlauf) wurde von der Patientin nicht gewünscht. In diesem Kontext ist eine pharmakokinetische VPA/QUET-Interaktion als spekulativ zu betrachten.
Dennoch wird das Interaktionspotenzial von VPA in Kombination mit QUET in der gegenwärtigen Literatur erkannt, wenngleich dies klinisch als geringfügig relevant eingeschätzt wird [20]. Einzelne Autoren berichteten über einen Anstieg der Plasmakonzentration von QUET in Kombination mit VPA von bis zu 77% [1]. Hypothesen für mögliche Interaktionen zwischen Valproinsäure und Quetiapin beziehen die Hemmung von CYP2D6 und CYP3A4 durch VPA ein, was zu erhöhten QUET-Spiegeln führen könnte [1, 9].
Im vorliegenden Fall konnten wir dies jedoch nicht bestätigen. Wie auch bei De Dios und Mitarbeitern, die unlängst über eine mögliche Interaktion von VPA und QUET berichteten [5], lag auch hier kein übertherapeutischer VPA-Spiegel vor; einschränkend muss jedoch festgehalten werden, dass QUET-Spiegel im Fallbericht von De Dios und Kollegen nicht berichtet wurden. In einem der ersten Berichte einer potenziellen Interaktion zwischen VPA und QUET (mit einer mit dem aktuellen Fall vergleichbaren Klinik) wurden für QUET jedoch übertherapeutische Spiegel bestimmt; der VPA-Spiegel lag dabei im Normbereich [9].
Aripiprazol-Nebenwirkung
Es wurden Aripiprazol-assoziierte Effekte erwogen, die jedoch als unwahrscheinlich gelten dürften. Aripiprazol wurde in einer niedrigen Dosis verabreicht (5 mg/Tag) und zeigte in dieser Dosierung auch korrespondierende subtherapeutische Spiegel. Unerwünschte Wirkungen von Aripiprazol dürften im Niedrigdosisbereich auf Placebo-Niveau liegen [4]. Zudem wurde im Vorfeld der Aufnahme Aripiprazol in Kombination mit QUET 400 mg/Tag nebenwirkungsfrei vertragen. Auch die zur Aufnahme führende Symptomatik zeigte sich unter Beibehaltung der Aripiprazol-Dosis und gleichzeitiger Verabreichung von 300 mg QUET innerhalb von etwa einer Woche vollständig rückläufig.
Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Kombinationsbehandlung mit VPA und QUET mit dem Auftreten von EPMS und kognitiven Defiziten assoziiert sein kann, die nach Dosisanpassung beider Wirkstoffe rasch vollständig reversibel sind. Das gleichzeitige Auftreten von EPMS und kognitiver Dysfunktion unter VPA/QUET ist in der aktuell verfügbaren Literatur in wenigen Einzelfallberichten vorbeschrieben. Eine Interaktion via CYP3A4 und in geringerem Umfang via CYP2D6 wurde vereinzelt diskutiert [1, 5, 9]. In Kenntnis dieser seltenen potenziellen Interaktion könnte während einer Behandlung mit VPA und QUET die frühzeitige Erfassung gleichzeitig auftretender EPMS und kognitiver Defizite wie auch eine rasche Monitorisierung der Serumspiegel und eine Wirkstoffdosisanpassung die klinische Symptomlast rasch senken. Systematische Untersuchungen bzw. pharmakoepidemiologische (Re-)Analysen wären wünschenswert, um signifikante quantitative Abweichungen der hier beschriebenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen einer QUET/VPA-Kombinationsbehandlung robust ermitteln zu können.
Interessenkonflikterklärung
R. C. Wolf hat von den Firmen Lundbeck und Otsuka Referentenhonorare und von der Fa. Trommsdorff ein Beraterhonorar erhalten.
Literatur
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Prof. (apl.) Dr. med. Robert Christian Wolf, Zentrum für Psychosoziale Medizin der Universität Heidelberg, Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Voßstraße 2, 69115 Heidelberg, E-Mail: christian.wolf@med.uni-heidelberg.de; Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätskliniken des Saarlandes, 66424 Homburg
Elisabeth Angela Boßlet, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätskliniken des Saarlandes, 66424 Homburg
Reversible cognitive and extrapyramidal motor dysfunction: a possible interaction between valproate and quetiapine
In clinical practice, the combination of valproate (VPA) and quetiapine (QUET) is frequently chosen as treatment regime for individuals with bipolar or schizoaffective disorder. Although the interaction potential of VPA combined with QUET is recognized in literature, it is considered to be of minor clinical relevance. Here we report a case of reversible cognitive dysfunction and extrapyramidal symptoms (EPS) in a patient treated with VPA and QUET. We present clinical findings together with electrophysiology, neuroimaging and drug monitoring data. Laboratory, ECG and EEG findings were normal. Dose reduction of VPA and QUET resulted in considerable symptom improvement within the first days after readmission. Full remission was observed one week after admission. Using the Naranjo algorithm for assessing the probability of adverse drug reactions a score of eight points was obtained, indicating a „probable“ effect. The occurrence of reported symptoms may be related to VPA-associated adverse effects, i. e. parkinsonism, which may especially occur in cases of long-term VPA administration. Alternatively, an interaction between VPA and QUET could be considered. These effects are possibly mediated by CYP2D6 and CYP3A4. Careful plasma-level monitoring and clinical observation of EPS or cognitive dysfunction could help to prevent symptom development and hospitalization. In this respect, clinicians should be aware of these side-effects in patients treated with VPA, especially when VPA is administered in combination with antipsychotic drugs such as QUET. Further pharmaco-epidemiologic research is necessary to establish and quantify adverse drug reactions due to VPA/QUET interactions in larger longitudinal cohorts.
Key words: Valproate, quetiapine, interaction, extrapyramidal symptoms, cognitive dysfunction
Psychopharmakotherapie 2016; 23(06)