Prof. Dr. Jürgen Fritze, Pulheim
Tianeptin und Milnacipran sind die jüngsten in Deutschland verfügbaren Antidepressiva, nachdem Lundbeck Vortioxetin (Brintellix®) infolge der Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Deutschland aus dem Vertrieb genommen hat und nur noch von Importeuren vertrieben wird. Tianeptin wurde 2012 zugelassen, nachdem es in Frankreich bereits seit 1988 und in Österreich seit 1999 verfügbar war. Milnacipran wurde 2016 zugelassen, nachdem es seit 1998 zuerst in Österreich und später auch in zahlreichen europäischen und anderen Staaten verfügbar war (in den USA nur für Fibromyalgie, also eine Indikation, die in Europa versagt wurde). Walter Müller (Mitherausgeber der PPT) erzählt meisterlich, welche wichtigen Beiträge Tianeptin zur Fortentwicklung des Verständnisses über die Wirkungsmechanismen der Antidepressiva geliefert hat und was sich daraus insbesondere für die Verträglichkeit schlussfolgern lässt. Spies, Lanzenberger und Kasper geben eine umfassende Übersicht über Milnacipran, die sich auch auf fast zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Anwendung in Österreich berufen kann.
Im Sommer dieses Jahres titelte der SPIEGEL ONLINE „200000 Euro Pharma-Honorar – Geld interessiert mich nicht“ und suggerierte, SPIEGEL ONLINE und Correctiv hätten eine „Datenbank mit den Namen von 20000 Ärzten, die Geld von der Pharmaindustrie erhalten haben“ veröffentlicht. Fakt ist, dass die Mitgliedsunternehmen des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.“ (FSA) im Juni 2016 erstmals die Daten gemäß Transparenzkodex publiziert haben (www.pharma-transparenz.de). Als fast tragisch-komische Konsequenz haben anscheinend alle gelisteten Ärzte von mindestens einer Anwaltskanzlei Post erhalten, in der vor den vermeintlich bösen Konsequenzen der – wohlgemerkt einverständlichen – Veröffentlichung gewarnt und Rechtshilfe angeboten wird. Es ist Siegfried Throm zu danken, dass er in seinem Beitrag Klarheit über die Verhaltenskodizes der Pharmaindustrie herstellt.
Wolf und Boßlet berichten über extrapyramidal-motorische Symptome und kognitive Beeinträchtigungen als mögliche Folge einer Interaktion zwischen Valproinsäure und Quetiapin, einer in der Praxis häufigen Kombination. Petri setzt seine illustrierte Serie über CYP450-Wechselwirkungen mit den Azol-Antimykotika fort. Burda, Degner, Grohmann, Bavendiek und Toto aus dem Pharmakovigilanz-Projekt AMSP (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie) lenken unsere Aufmerksamkeit auf Myokarditiden unter Clozapin, eine lebensgefährliche – aber bei früher Entdeckung reversible – Komplikation.
Angersbach legt die erste doppelblinde randomisierte kontrollierte Studie zum Nutzen von Antidepressiva bei Depression im Rahmen einer bipolaren Störung Typ II dar, wonach Venlafaxin dem Lithium beeindruckend überlegen war. Ecker-Schlipf berichtet über eine jüngste Metaanalyse, wonach bei Depressionen von Kindern und Jugendlichen nur Fluoxetin dem Placebo signifikant überlegen ist. Freye referiert eine auch methodologisch beachtenswerte Studie zu kardiovaskulären Risiken unter Methylphenidat. Kretzschmar schließlich ist insbesondere für die Nachricht aus der Jahrestagung der European Academy of Neurology (EAN) zu danken, die einen echten Durchbruch verheißt: Bei Patienten mit primär progressiver MS (PPMS) erreichte Ocrelizumab in der Phase-III-Studie ORATORIO eine signifikante Reduktion des Risikos einer Behinderungsprogression.
Psychopharmakotherapie 2016; 23(06)