Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen
Zu den derzeit empfohlenen Behandlungsmethoden für schwere depressive Störungen (Major Depression) gehören in erster Linie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sowie die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI). Obwohl diese Wirkstoffe die depressiven Symptome effektiv reduzieren können, tritt bei mehr als der Hälfte der Patienten mit Major Depression unter einer antidepressiven Monotherapie oder einer Augmentation keine vollständige Remission ein. Bei einer Augmentation werden Substanzen als Kombinationspartner des Antidepressivums eingesetzt, die selbst nicht primär antidepressiv wirken. Trotz der relativ hohen partiellen Remissionsrate sind zur Augmentation bei Major Depression nur wenige Medikationen zugelassen.
Lisdexamfetamindimesilat (LDX; Elvanse®), eine synthetisch hergestellte Substanz aus der Stoffgruppe der Amphetamine, ist in den USA und anderen Ländern zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen ab sechs Jahren zugelassen, nur in den USA außerdem bei Erwachsenen mit einer moderaten bis schweren Binge-Eating-Störung. Kleinere Phase-II-Studien, in denen Lisdexamfetamindimesilat zur Augmentation bei Patienten mit Major Depression eingesetzt wurde, die nicht ausreichend auf eine antidepressive Monotherapie ansprachen, lieferten Erfolg versprechende Ergebnisse.
Studienziel und -design
Ziel der vorliegenden zwei Phase-III-Studien war es, an einem größeren Patientenkollektiv die Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Lisdexamfetamindimesilat zur Augmentation bei Patienten mit Major Depression zu untersuchen, bei denen eine antidepressive Standard-Monotherapie keine vollständige Remission erzielte. In beiden Studien wurden Erwachsene zwischen 18 und 65 Jahren (Männer und nicht schwangere Frauen) mit einer DSM-IV-TR-diagnostizierten Major Depression rekrutiert, die einen Gesamtausgangswert von ≥24 auf der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) aufwiesen.
Die beiden Studien wurden multizentrisch, randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert und mit flexiblem Dosisdesign in Parallelgruppen durchgeführt. Mit Ausnahme von Unterschieden in einigen sekundären Studienendpunkten waren die beiden Studien identisch konzipiert und setzten sich aus folgenden vier Phasen zusammen:
- Screening-Periode von 1 bis 4 Wochen
- 8-wöchige antidepressive Einführungsphase (um prospektiv eine inadäquate Antwort auf die antidepressive Monotherapie zu bestätigen)
- 8-wöchige doppelblinde Behandlungsphase mit Lisdexamfetamindimesilat oder Placebo (3 Wochen einer Dosisoptimierung, gefolgt von 5 Wochen mit konstanter Dosis)
- Nachbeobachtung von 7 bis 9 Tagen
Als Antidepressiva während der Einführungsphase wurden folgende Substanzen eingesetzt: ein SSRI (Escitalopram, 10 oder 20 mg), Sertralin (50–200 mg), ein SNRI (Venlafaxin mit verlängerter Freisetzung 37,5 bis 375 mg) oder Duloxetin (30 bis 120 mg). Bei den Probanden, die auf die antidepressive Monotherapie nicht ausreichend reagiert hatten, das heißt, nach acht Wochen noch einen MADRS-Gesamtwert ≥18 und eine Reduktion des MADRS-Gesamtscores um weniger als 50% vom Ausgangswert aufwiesen, wurde die Behandlung randomisiert und doppelblind im Verhältnis 1:1 mit Lisdexamfetamindimesilat (LDX) oder Placebo ergänzt. Die LDX-Dosis betrug zu Beginn (Woche 9) 30 mg/Tag und konnte in Woche 10 und 11 aufrechterhalten, auf 50 oder 70 mg erhöht oder auf 20 mg hinuntertitriert werden.
Studie 1 umfasste jeweils 201 Probanden unter Placebo und Lisdexamfetamindimesilat, in Studie 2 wurden 213 Patienten mit Placebo und 211 mit Lisdexamfetamindimesilat behandelt. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer in jedem Studienarm waren weiblich.
Primärer Wirksamkeitsendpunkt war in beiden Studien die Veränderung in der MADRS-Gesamtpunktzahl von Beginn der Augmentation bis zu Woche 16. Sicherheit und Verträglichkeit von Lisdexamfetamindimesilat wurden anhand von Nebenwirkungen untersucht, die infolge der Therapie auftraten.
Studienergebnis
In beiden Studien wurden sowohl mit Placebo als auch mit Lisdexamfetamindimesilat von Beginn der Augmentation bis zu Woche 16 Abnahmen in der MADRS-Gesamtpunktezahl beobachtet. Allerdings war der Behandlungsunterschied zwischen Placebo und Verum in der mittleren Veränderung im MADRS-Gesamtscore in diesem Beobachtungszeitraum in keiner der beiden Studien signifikant (beide p<0,05). Dieses Ergebnis war unabhängig vom eingesetzten Standard-Antidepressivum sowie vom Geschlecht der Studienteilnehmer.
Therapiebedingte Nebenwirkungen traten unter Lisdexamfetamindimesilat häufiger auf als unter Placebo. Die meisten waren allerdings von leichter bis mittlerer Intensität. Als einzige wirkstoffbezogene Nebenwirkung, die in beiden Studien bei mehr als 5% der Probanden aus der LDX-Gruppe und gleichzeitig mindestens doppelt so häufig wie in der Placebo-Gruppe auftrat, wurde Mundtrockenheit verzeichnet.
Fazit der Studienautoren
Bei den beiden vorliegenden Phase-III-Studien handelt es sich um die größten, die zum Thema Augmentation bei Major Depression durchgeführt wurden. Entgegen den Erwartungen war die Augmentation einer antidepressiven Medikation mit Lisdexamfetamindimesilat im Vergleich zu Placebo bei Patienten, die nicht ausreichend auf die antidepressive Standardtherapie reagierten, nicht mit signifikant unterschiedlichen Reduktionen im MADRS-Gesamtscore verbunden.
Auch wenn in beiden Studien mit Lisdexamfetamindimesilat kein Rückgang der depressiven Symptome erzielt werden konnte, wollen die Studienautoren nicht ausschließen, dass diese stimulierende Augmentation in bestimmten Patientensubgruppen mit Major Depression, beispielsweise mit psychiatrischen Komorbiditäten, oder eine Augmentation mit einem anderen Wirkstoff doch noch die gewünschten Ergebnisse liefert.
Quelle
Richards C, et al. Lisdexamfetamine dimesylate augmentation for adults with major depressive disorder and inadequate response to antidepressant monotherapy: Results from 2 phase 3, multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled studies. J Affect Disord 2016;206:151–60. http://dx.doi.org/10.1016/j.jad.2016.07.006.
Psychopharmakotherapie 2016; 23(06)