Metaanalyse zu Antidepressiva

Bei Kindern und Jugendlichen nur Fluoxetin wirksamer als Placebo


Dr. Barbara Ecker-Schlipf, Holzgerlingen

Bei der Behandlung von schweren Depressionen bei Kindern und Jugendlichen scheinen Antidepressiva einer Metaanalyse zufolge keinen klaren Vorteil zu bieten. Eine Ausnahme könnte Fluoxetin sein.

Ungefähr 3% der Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren und 6% der Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren leiden an schweren Depressionen. Im Vergleich zu Erwachsenen sind Heranwachsende mit schweren Depressionen immer noch unterdiagnostiziert und -behandelt, vermutlich auch deshalb, weil sich die Erkrankung mit eher undifferenzierten Symptomen zeigt, wie Reizbarkeit, aggressivem Verhalten und Schulverweigerung. Obwohl eine Psychotherapie in vielen klinischen Leitlinien als First-Line-Therapie empfohlen wird, kommen zur Behandlung von schweren Depressionen bei Kindern und Jugendlichen häufig Antidepressiva zum Einsatz, Tendenz steigend.

Studienziel und -design

Ziel der vorliegenden Studie [1] war es, die Wirksamkeit von Antidepressiva bei der Behandlung von Heranwachsenden mit schweren Depressionen mit der von Placebo zu vergleichen und zu klassifizieren. Für die systematische Metaanalyse wurden mehrere Datenbanken, darunter PubMed, Cochrane Library, Web of Science, Embase, Firmen-Websites und internationale Register, bis Ende Mai 2015 nach veröffentlichten und nicht publizierten doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Studien zur akuten Behandlung von schweren Depressionen bei Kindern und Jugendlichen durchsucht. In den eingeschlossenen Studien waren folgende Antidepressiva vertreten: Amitriptylin, Citalopram, Clomipramin, Desipramin, Duloxetin, Escitalopram, Fluoxetin, Imipramin, Mirtazapin, Nefazodon, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin. Ausgeschlossen wurden Studien, die Teilnehmer mit einer behandlungsresistenten Depression rekrutierten, die eine Behandlungsdauer von weniger als vier Wochen oder eine Probandenzahl von weniger als zehn Patienten aufwiesen.

Primäres Studienergebnis waren Wirksamkeit (Veränderung in den depressiven Symptomen) und Verträglichkeit (Absetzen der Medikation wegen Nebenwirkungen).

Studienergebnis

Ausgewertet wurden 34 Studien mit insgesamt 5260 Probanden und 14 antidepressiven Arzneimitteln. 3106 Studienteilnehmer waren randomisiert einer aktiven Medikation zugeteilt worden, 2154 der Placebo-Gabe. Das mittlere Alter der Heranwachsenden betrug 13,6 Jahre, ungefähr die Hälfte der Studienpopulation war weiblich. 50% der Studien wurden in den USA durchgeführt, 15% Kontinenten-übergreifend, 12% in Europa. Die mediane Dauer der akuten Behandlung belief sich auf acht Wochen, 82% der Studien rekrutierten Kinder und Jugendliche mit moderaten bis schweren depressiven Symptomen.

Signifikant effektiver als Placebo erwies sich von den 14 untersuchten antidepressiven Substanzen nur der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin (standardisierter mittlerer Unterschied –0,51; Credible Interval [CrI] –0,99 bis –0,03). Für Fluoxetin wurde eine Ansprechrate von 76,6% ermittelt; am wenigsten wirksam erwies sich Nortriptylin, ein aktiver Metabolit des trizyklischen Antidepressivums Amitriptylin, mit einer Ansprechrate von 3,7%.

Auch in Bezug auf die Verträglichkeit erwies sich Fluoxetin als überlegen, und zwar sowohl gegenüber dem selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin (Odds-Ratio [OR] 0,31; 95%-CrI 0,13–0,95) als auch gegenüber Imipramin aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva (OR 0,23 [0,04–0,78]), das insgesamt das schlechteste Verträglichkeitsprofil zeigte. Im Vergleich zu Patienten unter Placebo wurden bei Probanden, die mit Imipramin, Venlafaxin und Duloxetin behandelt wurden, häufiger Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen registriert. (Imipramin: OR 5,49; 95%-CrI 1,96–20,86; Venlafaxin: OR 3,19 [1,01–18,70]; Duloxetin: OR 2,80 [1,20–9,42]).

Eine Behandlung mit dem selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin ging mit einem signifikant erhöhten Risiko für suizidale Gedanken oder Suizidversuche einher im Vergleich zu Placebo (OR zugunsten von Placebo 0,13; 95%-CrI 0,00–0,55) und fünf anderen Antidepressiva (Escitalopram, Imipramin, Duloxetin, Fluoxetin und Paroxetin).

Fazit der Studienautoren

In der vorliegenden Metaanalyse wird die bislang umfangreichste Datensammlung über die derzeit verfügbaren pharmakologischen Behandlungsoptionen bei Kindern und Jugendlichen mit akuter schwerer Depression präsentiert. Ein positiver Effekt ließ sich am ehesten mit dem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin herstellen; als einziger Arzneistoff hat er besser als Placebo abgeschnitten, alle anderen untersuchten Substanzen konnten keinen eindeutigen Vorteil bieten. Auch im Hinblick auf die Verträglichkeit erwies sich Fluoxetin im Vergleich zu den anderen untersuchten Antidepressiva als überlegen.

Für die Einnahme des selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Venlafaxin ließ sich ein Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Suizidgedanken und -versuche herstellen. Da für viele andere antidepressiven Wirkstoffe keine zuverlässigen Daten vorliegen, kann dieses Risiko für die Gesamtheit der Antidepressiva derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Grundsätzlich sollten Heranwachsende aber nur nach einer strengen Nutzen-Risiko-Abwägung und unabhängig vom eingesetzten Arzneistoff unter engmaschiger Überwachung mit einem Antidepressivum behandelt werden.

Insgesamt wird die Qualität der ausgewerteten Studien von den Studienautoren als kritisch beurteilt. Ein weiteres Problem sehen sie darin, dass ein Großteil dieser Studien von pharmazeutischen Unternehmen finanziert wurde und dadurch die Gefahr besteht, dass Ergebnisse nur selektiv veröffentlicht werden. Ohne einen Zugang zu individuellen Patientendaten erachten sie es als äußerst schwierig, den Informationen aus veröffentlichten Studien oder klinischen Studienberichten vollständig zu vertrauen und sie richtig zu bewerten.

Im begleitenden Editorial [2] kritisiert der Autor die Einstellung mancher Ärzte, dass ein Antidepressivum besser sei als nichts, falls eine Psychotherapie nicht verfügbar ist. Der Autor plädiert stattdessen für „watchful waiting“. Dies könne von jedem Arzt geleistet werden, indem er auf das Kind/den Jugendlichen eingeht und auch Aufklärungsarbeitet leistet. Es gebe keinen Beweis dafür, dass diese Strategie einer Fluoxetin-Therapie unterlegen sei, sie sei aber definitiv besser verträglich.

Quellen

1. Cipriani A, et al. Comparative efficacy and tolerability of antidepressants for major depressive disorders in children and adolescents: a network meta-analysis. Lancet 2016;388:881–90.

2. Jureidini J. Antidepressants fail, but no cause for therapeutic gloom. Lancet 2016;388:844–5.

Psychopharmakotherapie 2016; 23(06)