Die neue S3-Leitlinie zum Parkinson-Syndrom der Deutschen Gesellschaft für Neurologie


Heinz Reichmann, Dresden

Psychopharmakotherapie 2016;23:120–4.

Am 11. April 2016 war der Welt-Parkinson-Tag. Rechtzeitig zu diesem Datum konnten wir die neue, komplett überarbeitete und auf S3-Niveau angehobene Leitlinie zum Parkinson-Syndrom publizieren. Unter der Federführung von Profs. Dodel, Deuschl, Oertel und mir ist es zusammen mit einer Vielzahl von Experten gelungen, diese Leitlinie zu konzipieren. Sie steht unter dem Schirm der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, wobei am Konsensus-Prozess insgesamt 29 Fachgesellschaften, Berufsverbände und Organisationen beteiligt waren. Eine subjektive Auswahl dieser Fachgesellschaften beinhaltet den Berufsverband Deutscher Neurologen und Deutscher Nervenärzte, die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie, die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, die Deutsche Gesellschaft für Psychologie, den Deutschen Bundesverband für Logopädie, den Deutschen Verband der Ergotherapeuten und Physiotherapeuten sowie die Österreichische Gesellschaft für Neurologie und die Schweizerische Neurologische Gesellschaft. Über vier Jahre haben wir uns unter Federführung von Prof. Dr. Richard Dodel bemüht, diese vollständig überarbeitete Version, die bis zum 31. Dezember 2020 Gültigkeit behalten wird, zu erstellen. Es gibt eine Kurzversion, die 73 Seiten umfasst, und eine Langversion, welche die umfangreichen Diskussionen und den Methodenhintergrund mit beinhaltet und immerhin über 300 Seiten lang ist. Im Folgenden möchte ich mich insbesondere auf die handlichere Kurzversion stützen und die wichtigsten Entwicklungen darin vorstellen.

Konzipierung der Leitlinie

Wie erwähnt, ist die Leitlinie das gemeinsame Werk von vielen Fachgesellschaften und vielen Experten, die sich mehrfach persönlich trafen und dann durch umfangreiche Korrespondenz und telefonische Abstimmungen letztendlich zu einer Thesenbildung gelangten. So konnten wir 89 Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Parkinson-Erkrankung etablieren. Der gesamte Prozess ist unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und entsprechend dem Leitlinienmanual der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) entstanden. Als Kernthemen wurden die Definition der Parkinson-Erkrankung, die Klassifikation der unterschiedlichen Parkinson-Syndrome, die diagnostischen Kriterien, der Verlauf und die Prognose der Erkrankung, die Epidemiologie, die Basisdiagnostik und natürlich insbesondere die Therapie gewählt. Im Gegensatz zu den allseits bekannten, bereits mehrfach publizierten Leitlinien auf S2-Niveau muss hier offen und kritisch mitgeteilt werden, dass die Lesbarkeit insbesondere der Langversion, aber eben auch der Kurzversion etwas mühsamer ist und dann nicht zufriedenstellen wird, wenn außerhalb der von uns diskutierten 89 Fragen besondere Probleme bei der Diagnostik oder Therapie von Parkinson-Erkrankten für den einzelnen Arzt bestehen. Somit wird der eine oder andere die von ihm gesuchte Antwort – trotz unserer mehrjährigen Bemühungen, dies zu vermeiden – letztendlich doch nicht finden können. Sehr hilfreich dürfte sein, dass in fünf Tabellen die Diagnosekriterien für die Parkinson-Erkrankung, die Krankheitsprogression nach Hoehn & Yahr, die Dosierungsrichtlinien für die Therapie mit Dopaminagonisten, die Äquivalenzdosen und schließlich eine sehr schöne Übersicht zur Entscheidungshilfe zwischen der tiefen Hirnstimulation und den Pumpentherapien zur Verfügung gestellt werden.

Wesentliche Inhalte zur Definition der Parkinson-Erkrankung

Nach wie vor stellen wir fest, dass die Diagnose einer Parkinson-Erkrankung, insbesondere die des idiopathischen Parkinson-Syndroms, eine klinische ist, welche die Kardinalsymptome Rigor, Ruhetremor oder/und posturale Instabilität zusätzlich zum Vorliegen einer Akinese verlangt. Fakultative Begleitsymptome sind dann sensorische und vegetative, psychische und kognitive Symptome. Die Leitlinie beschreibt sehr eindrücklich und in wenigen Sätzen die bestehende klinische Symptomatik der genannten Hauptsymptome. Darauf folgt die Klassifikation, welche die Parkinson-Syndrome in vier Gruppen unterteilt:

  • Das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS, Parkinson-Krankheit), das bei rund 75% aller Patienten vorliegt und je nach Verlaufsform wiederum untergliedert wird in den akinetisch-rigiden Typ, den Äquivalenztyp, den Tremordominanz-Typ und den monosymptomatischen Ruhetremor
  • Die genetische Form des Parkinson-Syndroms
  • Parkinson-Syndrome im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen wie Multisystematrophie, Demenz vom Lewykörper-Typ, progressive supranukleäre Blickparese oder kortikobasale Degeneration
  • Symptomatische oder auch „sekundär“ genannte Parkinson-Syndrome, die zum Beispiel Arzneimittel-induziert, tumorbedingt, posttraumatisch, Toxin-induziert, entzündlich oder metabolisch bedingt sein können.

Entsprechend den klinisch-diagnostischen Kriterien der UK Parkinson’s Disease Society Brain Bank und aus Publikationen anderer wird nach Oertel 2012 in einer umfassenden Tabelle zu den Diagnosekriterien, das heißt, den Positiv-Symptomen, den unterstützenden Kriterien und dem Fehlen von Ausschlusskriterien, Stellung genommen. Es folgt eine Übersicht über die zu erwartende Progression der Parkinson-Erkrankung und zur Epidemiologie. Diesbezüglich wird in der Leitlinie von etwa 220000 Parkinson-Patienten in Deutschland und etwa 1,2 Millionen in Europa ausgegangen. Männer sind 1,46-mal häufiger als Frauen betroffen.

Die Basisdiagnostik wird als nächster wichtiger Teilpunkt in der Einleitung kurz zusammengefasst und es wird darauf hingewiesen, dass stets anamnestische Angaben zu Beginn und Dauer der Beschwerden, Seitenbetonung, autonomen Funktionen und Familienanamnese zu erheben sind. Danach solle klinisch-neurologisch auf Akinese, Rigor, Tremor, posturale Instabilität, Okulomotorik, frontale Zeichen, zerebelläre Zeichen, Pyramidenbahnzeichen, Symptome einer kognitiven Leistungseinbuße oder einer Apraxie untersucht werden. Zusätzlich sollen ein Schellong-Test durchgeführt und Symptome von Verhaltens- oder psychischen Störungen erhoben werden.

Die Therapie soll frühzeitig eingeleitet werden und eine Vielzahl von Zielen ermöglichen, nämlich nicht nur die Therapie von motorischen, sondern auch von autonomen Störungen beinhalten, Verhaltens- und psychologische Symptome der Erkrankung adressieren und die Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens ermöglichen. Weitere mögliche Therapieziele sind die Verhinderung oder Verminderung von Pflegebedürftigkeit, die Erhaltung der Selbstständigkeit in Familie und Gesellschaft, die Erhaltung der Berufsfähigkeit, eine Steigerung oder Erhaltung der Lebensqualität, die Vermeidung von sekundären orthopädischen und internistischen Begleiterkrankungen, die Verhinderung/Behandlung von motorischen und nichtmotorischen Komplikationen sowie die Vermeidung von dopaminergen Nebenwirkungen. Als wichtigste Arzneimittelgruppen werden Levodopa, Dopaminagonisten, MAO-B-Hemmer, COMT-Inhibitoren, NMDA-Antagonisten und Anticholinergika ausführlich dargestellt.

Leitlinien zur Diagnostik des Parkinson-Syndroms

Für die wichtigsten Empfehlungen zur Diagnostik in diesem Kapitel wurden 14 Thesen wissenschaftlich bearbeitet, wobei wir zu folgenden Kernaussagen gelangt sind:

  • Wir empfehlen, dass Patienten mit der Verdachtsdiagnose eines idiopathischen Parkinson-Syndroms zu einem Spezialisten mit einer Expertise in der klinischen Differenzialdiagnose von Parkinson-Syndromen überwiesen werden sollen. Wir gehen davon aus, dass dadurch gewährleistet ist, dass die richtige Diagnose und die adäquate Einleitung einer zielführenden Therapie gelingen können.
  • Wir fordern, dass das idiopathische Parkinson-Syndrom im Idealfall anhand der „UK Parkinson’s Disease Society Brain Bank“-Kriterien diagnostiziert werden sollte. Hierzu gehört, dass neben der als Grundforderung erwarteten Bradykinese oder Akinese die oben genannten Zusatzsymptome wie Rigor, Ruhetremor oder/und posturale Instabilität vorliegen.
  • Wir empfehlen nicht, dass Levodopa- und Apomorphin-Tests zur Differenzialdiagnostik bei Parkinson-Syndromen eingesetzt werden.
  • Wir fordern, dass zum Ausschluss symptomatischer Ursachen bei der Diagnosestellung eines Parkinson-Syndroms eine zerebrale Bildgebung (CT oder MRT) durchgeführt werden sollte.

Zu jeder These werden Pro und Contra ausführlich diskutiert und dann wird in einer Art Synthese die im Konsens gefundene Empfehlung wiedergegeben. Ganz allgemein kann somit der Kollege, der die S3-Leitlinie studiert, für jede dieser Thesen den wissenschaftlichen Hintergrund, so wie er von uns interpretiert wurde, nachvollziehen.

In gut begründeten Fällen empfehlen wir den Einsatz einer Fluordesoxyglucose-Positronenemissionstomographie, um die bestmögliche differenzialdiagnostische Zuordnung eines Parkinson-Syndroms, insbesondere den Nachweis einer atypischen neurodegenerativen Parkinson-Erkrankung, zu ermöglichen. Die Indikation dazu sollte von einem Neurologen geprüft und empfohlen werden. Es handelt sich dabei um einen Off-Label-Use. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass zumindest unser Zentrum ganz klar dieser Untersuchung den Vorrang vor SPECT-Untersuchungen der Dopaminrezeptoren einräumt.

In der Leitlinie empfehlen wir bei unsicheren Situationen, beispielsweise bei einem Tremordominanz-Typ, den Einsatz eines Dopamintransporter-SPECT. Dies erlaubt allerdings nicht die Differenzierung von idiopathischen zu atypischen Parkinson-Syndromen. Zur Unterscheidung der Multisystematrophie vom idiopathischen Parkinson-Syndrom kann aus unserer Sicht die myokardiale 123MIBG-SPECT-Untersuchung eingesetzt werden. Sehr viele Parkinson-Zentren verwenden als weiteres Instrument die von Becker und anderen am Universitätsklinikum Würzburg entwickelte transkranielle Sonographie mit Darstellung des Gehirnparenchyms, um gegebenenfalls eine Hyperechogenität der Substantia nigra als Korrelat des Parkinson-Syndroms nachzuweisen.

Wir empfehlen dringlich, dem Patienten nach der Erstdiagnose Follow-up-Untersuchungen zur klinisch-neurologischen Überprüfung der Diagnose und zur Therapiekontrolle nach drei Monaten und danach nach klinischem Bedarf, aber mindestens einmal im Jahr anzubieten.

Nur auf Patientenwunsch soll unseres Erachtens eine genetische Beratung angeboten werden, wenn zum einen mindestens zwei Verwandte 1. Grades ein Parkinson-Syndrom aufweisen oder wenn bei einem isoliert erscheinenden Parkinson-Syndrom eine Krankheitsmanifestation vor dem 45. Lebensjahr nachweisbar ist. In einer solchen Situation besteht der Verdacht auf eine monogene Ätiologie, die durch Testung der entsprechenden Gendefekte überprüft werden kann.

Da die Liquoranalyse beim idiopathischen Parkinson-Syndrom keine sicheren und spezifischen Auffälligkeiten aufweist, empfehlen wir die Liquoranalyse zum derzeitigen Zeitpunkt nicht. Allerdings können bei kognitiven Einschränkungen in der Liquoranalyse Tau-Protein und Beta-Amyloid untersucht werden und so eventuell eine wichtige Diagnosehilfe gegeben werden.

Die wichtigsten Leitlinien zur medikamentösen Behandlung des IPS

Ähnlich wie in den bisher publizierten Leitlinien empfehlen wir den Einsatz von Monoaminoxidase-(MAO-)B-Hemmern, Dopaminagonisten oder Levodopa zur symptomatischen Therapie des frühen Stadiums der Parkinson-Erkrankung. Es soll dabei insbesondere auf die unterschiedlichen Effektstärken im Hinblick auf die Wirkung, die Nebenwirkungen, das Alter des Patienten, Komorbiditäten und psychosoziales Anforderungsprofil berücksichtigend eingegangen werden. Obwohl es verallgemeinernd immer noch so ist, dass wir jüngeren Patienten eher Dopaminagonisten und älteren Patienten eher die Einnahme von Levodopa empfehlen, kann von diesem Konsens im Einzelfall jederzeit abgewichen werden.

Für die Dopaminagonisten wird klar ausgedrückt, dass in erster Linie nonergoline Substanzen verwendet werden sollten. Ergoline Dopaminagonisten, also Bromocriptin, Cabergolin und Pergolid, sollen nur eingesetzt werden, wenn eine Therapie mit einem nonergolinen Dopaminagonisten nicht oder nicht ausreichend wirksam ist oder nicht vertragen wird. Der Grund dafür besteht in den fibrotischen Veränderungen, die unter Ergolin-Dopaminagonisten an Herz, Retroperitoneum und Lunge beschrieben wurden. Sollte man somit auf diese Therapie zurückgreifen, muss in 12-monatigen Intervallen die Herzklappenfunktion mittels Echokardiographie untersucht werden.

Amantadin kann als Therapie zweiter Wahl für Patienten in frühen Stadien des IPS erwogen werden, wobei die meisten von uns diesen Arzneistoff eher bei Patienten mit Dyskinesien empfehlen würden.

Levodopa kann, wie beschrieben, im Frühstadium eingesetzt werden und sollte dann so niedrig wie möglich, aber in ausreichend wirksamer Dosis rezeptiert werden, um das Auftreten motorischer Komplikationen zu verzögern. Retardierte Darreichungsformen von Levodopa mit einem Decarboxylasehemmer sollen nicht als Therapie erster Wahl bei den Patienten im Frühstadium verwendet werden, sondern, falls überhaupt, zur Behandlung von nächtlichen motorischen Symptomen eingesetzt werden.

Anticholinergika gehören aus unserer Sicht nicht zu den Therapeutika der ersten Wahl, da sie ein ungünstiges Nutzen-Schaden-Profil aufweisen und insbesondere bei geriatrischen Patienten nicht indiziert sind. Sie weisen allerdings eine Antitremor-Wirkung auf und sind deswegen eventuell bei Tremor-Patienten und guter Kognition im Ausnahmefall nützlich und indiziert.

Betablocker können nicht nur für den posturalen Tremor im frühen IPS erwogen werden, sondern auch für den Haltetremor durchaus nützlich sein. Sie sollten aber nicht Mittel der ersten Wahl sein.

Behandlung im fortgeschrittenen Stadium

Rasagilin kann in Kombination mit Levodopa bei motorischen Fluktuationen zur Verkürzung der Off-Zeiten empfohlen werden. Die Wirkung erscheint vergleichbar mit der des Catechol-O-Methyltransferase-(COMT-)Hemmers Entacapon. Zur Behandlung von Dyskinesien sollte Rasagilin aus unserer Sicht nicht eingesetzt werden. Eine Kombination von MAO-B-Hemmern und COMT-Hemmern kann durchaus erwogen werden.

Dopaminagonisten sind aufgrund ihrer langen Plasmahalbwertszeit probate Arzneistoffe in der Frühphase, aber auch bei Patienten mit motorischen Wirkfluktuationen. Sie sollten bis zu einer klinisch effektiven Dosis titriert werden, wobei auf die Nebenwirkungen wie Somnolenz, Orthostaseprobleme oder Impulskontrollstörungen besonders geachtet werden sollte. Bei IPS-Patienten mit kognitiver Leistungseinschränkung, Demenz und/oder psychotischem Erleben sollten aus unserer Sicht Dopaminagonisten dagegen nicht eingesetzt werden.

Wir empfehlen die Anwendung von Amantadin zur Reduktion von Dyskinesien, wobei bei geriatrischen Patienten ein umfassendes Monitoring wie Nierenretentionsparameter-Analysen, Restharnbestimmung sowie EKG-Kontrollen notwendig sind.

In der Kombinationstherapie empfehlen wir für Patienten, bei denen unter einer Monotherapie mit Levodopa die motorischen Fluktuationen nicht ausreichend kontrolliert werden, den zusätzlichen Einsatz von COMT-Hemmern oder einem Dopaminagonisten.

Invasive Therapieformen und Neuroprotektion

Apormorphin als intermittierende subkutane Injektion kann zusätzlich zur oralen Therapie eingesetzt werden, um die tägliche Off-Dauer bei Patienten mit schweren motorischen Fluktuationen zu verkürzen. Daneben gibt es die Apomorphin-Pumpe, die dann eingesetzt werden sollte, wenn Patienten mit schweren motorischen Komplikationen, das heißt langer Off-Zeit und Dyskinesien, therapiert werden müssen. Diese Therapieform sollte nur von darin erfahrenen Ärzten initiiert werden und bedarf eines entsprechenden Monitorings.

Ähnlich wie die Apomorphin-Pumpe bietet die kontinuierliche Levodopa/Carbidopa-Applikation in Form eines intestinalen Gels, in Deutschland Duodopa-Pumpe genannt, die Möglichkeit, lange Off-Zeiten und Dyskinesien bei Patienten mit schweren motorischen Komplikationen zu verbessern. Auch diese Therapieform sollte aus unserer Sicht erfahrenen Parkinson-Experten und Parkinson-Zentren vorbehalten bleiben.

Die dritte invasive Therapie der Parkinson-Erkrankung ist die tiefe Hirnstimulation, die aus unserer Sicht meist bilateral und im Nucleus subthalamicus erfolgen sollte. Diese Patienten sollten medikamentös schlecht behandelbare motorische Fluktuationen und Dyskinesien oder einen medikamentös nicht kontrollierbaren Tremor haben. Andererseits sollten ihre Symptome auf Levodopa ansprechen. Es sollten keine Frühsymptome einer Demenz vorliegen, keine signifikante psychische oder somatische Komorbidität und keine neurochirurgischen Kontraindikationen bestehen. Wir sehen auch eine Indikation von Patienten mit schwerer Symptomatik, die jünger als 60 Jahre sind. Tabelle 6 der Leitlinien bietet eine sehr hilfreiche Übersicht zur Entscheidungshilfe zwischen der tiefen Hirnstimulation und den beiden etablierten Pumpentherapien.

Neuroprotektive Ansätze

Eine neuroprotektive Wirkung von MAO-B-Hemmern ist aus unserer Sicht nicht ausreichend gesichert, sodass der Stellenwert von MAO-B-Hemmern mit dem Ziel der Modulation des Krankheitsverlaufs weiterhin unklar ist. Auch Dopaminagonisten haben leider, beispielsweise in der PROUD-Studie für Pramipexol, noch keine krankheitsmodifizierende Wirksamkeit nachweisen können. Auch das immer wieder als mögliches Protektivum propagierte Coenzym Q weist aufgrund der von uns sorgfältig geprüften Datenlage keine ausreichende Evidenz als neuroprotektive Therapie für Patienten mit IPS auf. Das gleiche gilt für Vitamin E, dessen Anwendung wir ebenfalls nicht empfehlen.

Bekenntnis zur Physiotherapie und anderen nichtmedikamentösen Therapieformen

Obwohl es, anders als gewünscht, nur wenige doppelblinde und hochrangig publizierte Arbeiten zur Wirksamkeit von Physiotherapie gibt, ist aus unserer Sicht diese Therapieform für jeden Parkinson-Patienten von höchstem Nutzen. Schwerpunkte sind dabei insbesondere das Gangtraining, Verbesserung/Erhalt des Gleichgewichts, Kraft- und Dehnungsübungen, Verbesserung/Erhalt der aeroben Kapazität, der Bewegungsamplituden, der Bewegungsinitiierung sowie der Mobilität und Selbstständigkeit bei Aktivitäten des täglichen Lebens, Training der Bewegungsstrategien und Sturzprävention. Sollten Patienten bezüglich dieser Fähigkeiten Defizite aufweisen, ist sicherlich der Einsatz von Physiotherapie von hoher Relevanz.

Wir fordern, Patienten mit Sprechstörungen eine logopädische Therapie zu ermöglichen, die vor allem die Stimmlautstärke und den Tonumfang zum Ziel haben sollten, wobei wir insbesondere auf die Lee-Silverman-Voice-Therapie hinweisen. Auch bei Patienten mit Schluckstörungen wird eine logopädische Therapie empfohlen, wobei zur Erfassung dieser Problematik standardisierte Fragebögen hilfreich sind. Apparative Verfahren wie die flexible endoskopische Evaluation des Schluckakts oder die Videofluoroskopie des Schluckakts sind dabei anerkannte Methoden.

Auch ergotherapeutische Behandlungen sind aus Sicht der Leitlinien-Autoren sinnvoll und sollten somit bei Patienten eingesetzt werden, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkungen bedroht sind. Musiktherapie, Tanztherapie, Kunsttherapie oder Theatertherapie können nützlich sein, insbesondere um das emotionale Wohlbefinden zu steigern.

Den Patienten sollte in allen Phasen der Erkrankung Zugang zu einer zeitlich ausreichenden physiotherapeutischen Behandlung ermöglicht werden („Doppelbehandlung“).

Parkinson-Patienten und ihre Bezugspersonen sollten in einem strukturierten Schulungsprogramm über die pathophysiologischen Zusammenhänge der Erkrankung informiert werden, um ihr Krankheitsverständnis zu fördern. Die Patienten sollten in die Lage versetzt werden, an Entscheidungen und Urteilen über ihre Behandlung mitzuwirken. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass Parkinson-Patienten kognitive Störungen, ein kommunikatives Defizit und/oder eine Depression entwickeln können. Da durch eine Parkinson-Erkrankung meist auch die Angehörigen und Partner der Patienten psychisch schwer gefordert sind, sollte Parkinson-Patienten und deren Angehörigen in allen Phasen der Erkrankung Zugang zu psychosozialer und sozialrechtlicher Beratung eingeräumt werden.

Wir werden uns über kurz oder lang in Deutschland mit dem Problem der flächendeckenden ärztlichen Betreuung von Parkinson-Patienten beschäftigen müssen, da immer weniger junge Neurologen und Geriater auf das flache Land ziehen. Deshalb kann durchaus erwogen werden, dass Teilfunktionen durch Parkinson-Spezialschwestern (Parkinson’s disease nurse) übernommen werden können. Dazu haben die Deutsche Parkinsongesellschaft, die Deutsche Parkinsonvereinigung e.V. und das Kompetenznetz Parkinson e.V. ein Fortbildungs-Curriculum entwickelt, das in den letzten Jahren mehreren Krankenschwestern und Krankenpflegern diese Spezialausbildung ermöglicht hat.

Besonders alltagsrelevant sind die Empfehlungen 82 und 83, die sich der Fahreignung von Parkinson-Patienten widmen, wobei die Inhaber der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 (Lkw, Bus, Taxi) bei Vorliegen eines Parkinson-Syndroms ihre Fahreignung verlieren. Parkinson-Patienten, die Pkw und Krafträder sowie landwirtschaftliche Zugmaschinen führen, müssen individuell bezüglich ihrer Fahreignung analysiert werden. Für die Beurteilung der Fahreignung sind nicht nur motorische, sondern auch neuropsychologische Parameter von hoher Relevanz.

Empfehlungen zur Pharmakotherapie nichtmotorischer Störungen

Zur Therapie von Depressionen empfehlen wir trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Venlafaxin, aber auch alternative Therapien wie Omega-3-Fettsäuren, repetitive Magnetstimulation und Psychotherapie. Als antipsychotische Therapie ist Clozapin zugelassen. Wir empfehlen zur Behandlung der Psychose aber durchaus auch Quetiapin, wenn die Psychose nicht schwer ausgeprägt ist. Olanzapin wird dagegen nicht empfohlen. Für eine begleitende Demenz erscheinen uns Cholinesterasehemmer indiziert. Konkret wird Rivastigmin empfohlen, was als einziges Arzneimittel gegen Parkinson-Syndrom und Demenz bzw. Demenz vom Lewykörper-Typ zugelassen ist. Donepezil ist aus unserer Sicht ebenfalls wirksam, bewegt sich aber im Off-Label-Use. Weitere Therapieformen sind Psychotherapie und neuropsychologische Therapien, die im Einzelfall ebenfalls von hoher Relevanz sind.

Schlafstörungen können beispielsweise mit transdermalem Rotigotin oder retardiertem Ropinirol erfolgreich behandelt werden, wenn die Patienten eine nächtliche Akinese und frühmorgendliche Dystonie aufweisen. Bei einer behandlungsbedürftigen Insomnie sollte unseres Erachtens Zopiclon versucht werden. Bei Patienten mit Fatigue-Syndrom werden Methylphenidat und Modafinil empfohlen.

Fazit

Die neue S3-Leitlinie ist eine sehr sorgfältige Abwägung des internationalen Schriftguts; sie wurde durch den aktiven Beitrag von über 40 Mitgliedern der Expertengruppe konsentiert und ist sicherlich in diesem Umfang in Europa eine beispielhafte Leistung.

Prof. Dr. med. Heinz Reichmann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden, E-Mail: Neurologie@uniklinikum-dresden.de

Psychopharmakotherapie 2016; 23(03)