Bipolare Störung

Stimmungsstabilisierer verringern das Risiko eines Antidepressiva-induzierten manischen Switches


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Auf Grundlage der Daten des schwedischen Nationalregisters wurde in einer Studie das Risiko des Antidepressiva-induzierten manischen Switches bei Patienten mit einer Bipolaren Störung untersucht, deren depressive Episode entweder mit einem Antidepressivum in Monotherapie oder mit einem Antidepressivum in Verbindung mit einem Stimmungsstabilisierer behandelt wurde. Um den Einfluss des Schweregrads der Erkrankung, hereditärer Faktoren und früher Umweltfaktoren auf die Ergebnisse zu verringern, wurde ein innerindividuelles Design gewählt. Dazu wurde die Manie-Rate in den Zeiträumen von 0 bis 3 und 3 bis 9 Monaten nach Beginn der Antidepressiva-Behandlung mit den entsprechenden Zeiträumen vor Behandlungsbeginn verglichen. Das erhöhte Risiko eines manischen Switches war begrenzt auf die Patienten in Monotherapie. Bei den Patienten, die begleitend mit einem Stimmungsstabilisierer behandelt wurden, änderte sich das Risiko bis zu drei Monate nach Beginn der Behandlung nicht. In den folgenden 3 bis 9 Monaten nahm es sogar ab.
Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Merkmal der Bipolaren Störung ist unter anderem das Auftreten manischer/hypomanischer und depressiver Episoden, wobei Verlaufsuntersuchungen zufolge die depressiven Symptome deutlich dominieren, das heißt während der überwiegenden Zeit ihrer Erkrankung befinden sich die Betroffenen in einer depressiven Phase. Die Behandlung der depressiven Episode ist daher ein wesentliches Ziel der Therapie der Bipolaren Störung. Obwohl sie dazu häufig eingesetzt werden, sind Antidepressiva als Monotherapie umstritten. Geeignete Studien, die für ihre Wirksamkeit in der Behandlung der bipolaren Depression sprechen, sind eher selten und widersprüchlich. Weiterhin wird vermutet, dass Antidepressiva das Risiko eines Switches in die Manie/Hypomanie erhöhen. Die International Society for Bipolar Disorders (ISBD) gelangt nach kritischer Bewertung der Literatur zu der Schlussfolgerung, dass – insbesondere bei Patienten mit einer Bipolar-I-Erkrankung – Antidepressiva nur als Zusatztherapie zu Stimmungsstabilisierern eingesetzt werden sollten [1]. Die Autoren der S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen stellen zu dieser Frage fest, dass die aktuelle Datenlage keine klare Empfehlung ermöglicht, ob ein Antidepressivum in Monotherapie zur Akutbehandlung einer bipolaren Depression gegeben werden kann [2]. In der vorliegenden Beobachtungsstudie wurden die Auswirkungen einer antidepressiven Behandlung bipolarer depressiver Episoden auf die Switch-Rate in den Perioden 0 bis 3 und 3 bis 9 Monate nach Beginn der Therapie untersucht. Dazu wurden Daten des nationalen schwedischen Registers ausgewertet. Die Patienten wurden in zwei Gruppen unterteilt: Patienten, die keinen Stimmungsstabilisierer einnahmen und nur mit einem Antidepressivum behandelt wurden und Patienten, die bereits einen Stimmungsstabilisierer einnahmen und zusätzlich ein Antidepressivum erhielten. Um den Einfluss des Schweregrads der Erkrankung, hereditärer Faktoren und früher Umweltfaktoren auf die Ergebnisse zu verringern, wurde ein innerindividuelles Design gewählt. Nach Ansicht der Autoren hat eine Beobachtungsstudie den Vorteil, dass – im Unterschied zu Placebo-kontrollierten Studien – auch Patienten mit hohem Switch-Risiko einbezogen werden, und dass eine große Stichprobe ausgewertet werden kann.

Methoden

Jeder Bewohner Schwedens erhält bei Geburt oder Einwanderung eine Registrierungsnummer, die in anderen personenbezogenen Registern verwendet wird, beispielsweise im nationalen Patienten-Register. Dieses Register enthält alle wesentlichen Patienten-Daten zur ambulanten und stationären Behandlung, wie Diagnose-Codes, Beginn der Erkrankung/Behandlung, Art der Behandlung, Untersuchungszeiten und Verschreibung von Medikamenten. Die Ausgabe der verschriebenen Medikamente an die Patienten, die Dosis und die Packungsgröße können anhand eines Registers der verschriebenen Medikamente kontrolliert werden. Ausgewertet wurden Patienten mit einer Bipolaren Störung mit wenigstens zwei Perioden einer ambulanten oder stationären Behandlung (ICD-10-Codes F30 und F31 oder entsprechende Codes früherer ICD-Versionen). Ausgeschlossen waren Patienten mit der Diagnose einer schizophrenen Erkrankung (F25). Im Zeitraum von Juli 2005 bis Dezember 2009 wurden 22339 Patienten identifiziert, die ein Antidepressivum erhalten hatten. Auf 3240 Patienten traf das Kriterium zu, während eines Jahres davor noch keine Antidepressiva eingenommen zu haben. Diese Patienten wurden stratifiziert in solche mit und solche ohne zusätzlichen Stimmungsstabilisierer. Die Behandlung mit dem Stimmungsstabilisierer musste 4 bis 12 Monate vor der Antidepressiva-Behandlung begonnen haben. Das Auftreten einer Manie musste mit den ICD-10-Diagnosen F30 bis F30.2, F30.8 bis F30.9 und F31.0 bis F31.2 kodiert sein. Die Patienten wurden während einer neunmonatigen Periode vor und während einer neunmonatigen Periode nach Beginn der antidepressiven Behandlung verglichen. Zur Unterscheidung von akuten und langzeitigen Effekten wurde die Beobachtungszeit unterteilt in 0 bis 3 und 3 bis 9 Monate (Abb. 1).

Abb. 1. Darstellung des innerindividuellen Designs der nationalen Register-Studie von Patienten mit einer Bipolaren Störung. Verglichen wurde das Einsetzen einer Manie in den Perioden von 0 bis 3 Monaten und 3 bis 9 Monaten nach Beginn einer Antidepressiva-Therapie. Referenz-Perioden waren entsprechende Zeiträume vor Beginn. [Viktorin et al.]

Ergebnisse

Das mittlere Alter der Patienten war 51,6 Jahre, die Mehrheit (60,8%) war weiblich. Ein Antidepressivum in Monotherapie erhielten 1117 Patienten, eine Kombinationsbehandlung 1641 Patienten. Die am häufigsten gegebenen Antidepressiva (56,4%) waren selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TCA) erhielten immerhin noch 25,4% der Patienten. Daneben wurden noch Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und Bupropion eingesetzt.

Die Analyse des Effekts der Antidepressiva-Monotherapie zeigte ein signifikant erhöhtes Risiko einer Manie in der akuten Periode (p=0,028), aber nicht während der Langzeitperiode. Im Unterschied dazu änderte sich das Risiko bei Patienten mit einer Kombinationsbehandlung nach Beginn der antidepressiven Medikation in der akuten Phase nicht und war in der Langzeitbehandlung signifikant erniedrigt (p=0,020).

Die Autoren glauben, dass die Ergebnisse künftige Leitlinien beeinflussen und hoffen, dass sie die behandelnden Ärzte an diese Leitlinien erinnern.

Kommentar

Die Autoren formulieren aufgrund ihrer Ergebnisse zwar keine Behandlungsempfehlung, aber die Studie stützt doch die Schlussfolgerung des Task Force Reports der ISBD (International Society for Bipolar Disorders), dass insbesondere bei Bipolar-I-Patienten Antidepressiva nicht in Monotherapie eingesetzt werden sollten. Die Aussagefähigkeit der vorliegenden Studie ist dadurch eingeschränkt, dass das nationale Patientenregister nicht zwischen einer Bipolar-I- und Bipolar-II-Störung unterscheidet. Auch vermuten die Autoren, dass Hypomanien, wegen derer die Patienten oft nicht den Arzt aufsuchen, im Register nicht erfasst wurden. Das könnte bedeuten, dass das Register nur die schweren Manien enthält und sich die Ergebnisse insbesondere auf die Bipolar-I-Störung beziehen. Leider wurden auch die Effekte der verschiedenen Antidepressiva-Klassen nicht unterschieden. Dazu waren die Gruppen wahrscheinlich zu klein. Als bemerkenswertes Ergebnis zeigte die Studie, dass immerhin etwa 40% der Patienten mit einer Antidepressiva-Monotherapie behandelt wurden. Die vorliegenden Ergebnisse könnten die behandelnden Ärzte zu mehr Skepsis veranlassen.

Quelle

Viktorin A, et al. The risk of switch to mania in patients with bipolar disorder during treatment with an antidepressant alone and in combination with a mood stabilizer. Am J Psychiatry 2014;171:1067–73.

Literatur

1. Pacchiarotti I, et al. The International Society for Bipolar Disorders (ISBD) task force report on antidepressant use in bipolar disorders. Am J Psychiatry 2013;170:1249–62.

2. DGBS e.V. und DGPPN e.V. S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Langversion 1.0, Mai 2012.

Psychopharmakotherapie 2015; 22(06)