Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Autoren griffen auf das nationale Krankenkassenregister aus Korea im Zeitraum zwischen 2009 und 2013 zurück. Zunächst wurden Patienten identifiziert, die innerhalb des letzten Jahres neu mit einem Antidepressivum behandelt worden waren. Ausgeschlossen wurden Patienten, die innerhalb eines Jahres vor Therapiebeginn die Erst- oder Zweitdiagnose für eine zerebrovaskuläre Erkrankung erhalten hatten. Ebenfalls ausgeschlossen wurden Patienten mit interkraniellen Blutungen zum Zeitpunkt des Therapiebeginns sowie Patienten älter als 99 Jahre. Die Gesamtpopulation dieser retrospektiven Kohortenstudie betrug 5168833 Personen. Von diesen Patienten nahmen 2404054 die Kombination eines Antidepressivums mit einem nichtsteroidalen Antirheumatikum und 2764779 ein Antidepressivum als Monotherapie. Anschließend wurden die beiden Populationen bezüglich der wichtigsten Prädiktoren für Blutungen gematcht, darunter Alter, Geschlecht, Komorbiditäten und andere Medikamente. Somit standen für den Vergleich je 2072613 Patienten in der Kombinationstherapie und in der antidepressiven Monotherapie zur Verfügung. Primärer Endpunkt war die Krankenhausaufnahme wegen intrakranieller Blutungen innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der Therapie.
Die Patienten waren im Mittel 52 Jahre alt, und 39% der Patienten waren männlich.
In der Gruppe, die nur Antidepressiva erhielt, traten 169 intrakranielle Blutungen auf und in der Gruppe, die Antidepressiva und nichtsteroidale Antirheumatika erhielt, 573 Blutungen. Dies entspricht einem adjustierten Hazard-Ratio von 1,6, das signifikant war (95%-Konfidenzintervall 1,32–1,85, p<0,001). Das erhöhte Risiko bestand sowohl bei der Einnahme von trizyklischen Antidepressiva als auch von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Bei Einnahme selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer war das Risiko intrakranieller Blutungen nicht erhöht. Diese Gruppe umfasste allerdings in beiden Kohorten mit jeweils rund 3000 Patientenjahren nur etwa 3% der beobachteten Expositionszeit. Im statistischen Vergleich zeigten sich zwischen den Antidepressiva-Gruppen keine Unterschiede im Risiko intrakranieller Blutungen.
Kommentar
Der Titel der Arbeit erschreckt Psychiater und Neurologen, Hausärzte und Internisten womöglich, da zunächst der Eindruck erweckt wird, dass die Kombination von Antidepressiva und nichtsteroidalen Antirheumatika ein hohes Risiko für intrakranielle Blutungen trägt. Die absoluten Zahlen sind allerdings außerordentlich gering. Für den klinischen Alltag bedeutet dies dennoch, dass man wegen der möglichen Interaktion bei Patienten, die antikoaguliert sind, oder bei Patienten, die bereits eine intrakranielle Blutung in der Vorgeschichte hatten, vorsichtig sein sollte. Bei diesen Patienten ist es möglicherweise sinnvoll, einen selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und anstelle von nichtsteroidalen Antirheumatika bei chronischen Rückenschmerzen beispielsweise Gabapentin oder Pregabalin zu verwenden.
Die Studie zeigt aber auch, dass seltene Medikamenten-Interaktionen und Komplikationen nur durch die Auswertung nationaler Krankenregister erfasst werden können, wie sie in Schweden, Dänemark und Korea existieren. Leider gibt es keine entsprechenden Register in Deutschland. Die Ergebnisse sollten allerdings nicht dazu führen, bei Risikopatienten keine Antidepressiva zu verschreiben. Das Suizidrisiko bei unbehandelten Patienten übersteigt um ein Vielfaches das Risiko einer Blutungskomplikation.
Quelle
Shin JY, et al. Risk of intracranial haemorrhage in antidepressant users with concurrent use of non-steroidal anti-inflammatory drugs: nationwide propensity score matched study. BMJ 2015;351:h3517.
Psychopharmakotherapie 2015; 22(06)