Status epilepticus im Kindesalter

Bukkales Midazolam in neue S1-Leitlinie integriert


Reimund Freye, Baden-Baden

In Deutschland leiden 60000 bis 80000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren an Epilepsie. Eine gefürchtete Komplikation ist der Status epilepticus, der, wenn auch selten, letal enden kann. Häufiger geht er jedoch mit neurologischen Residualsymptomen einher. Ein prolongierter Anfall muss deshalb schnell unterbrochen werden. In die aktualisierte S1-Leitlinie, die sich speziell mit der Behandlung des Status epilepticus im Kindesalter befasst, wurde nun auch bukkales Midazolam aufgenommen, das zur Behandlung von prolongierten, akuten Krampfanfällen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von drei Monaten bis zu 18 Jahren zugelassen ist.

Der beginnende Status epilepticus ist heute definiert als Anfallsdauer von mehr als fünf Minuten (prolongierter Anfall). Bei einem länger anhaltenden Anfall ist mit einem akuten Zellverlust in bestimmten Regionen des Hippocampus zu rechnen [2]. Um diese Folgen zu vermeiden, empfiehlt es sich, bereits einen prolongierten Anfall zu stoppen. Pathophysiologisch hat eine medikamentöse Sensitivierung der postsynaptischen GABA-Rezeptoren aber nur dann Sinn, solange diese noch nicht untergegangen sind – wie es bei fortgeschrittener Anfallsdauer der Fall ist. Der hyperpolarisierende, also aktivierende, GABAerge Effekt von Benzodiazepinen kann nur in einem begrenzten Zeitfenster ausgeübt werden. Daher ist eine frühe Benzodiazepin-Behandlung innerhalb der ersten 15 Minuten nach Anfallsbeginn zu 96% erfolgreich, danach nur noch zu 57% [3].

Bukkale Applikation – Vorteile bei der Anwendung

Nach einer Anfallsdauer von fünf Minuten wird gemäß der neuen S1-Leitlinie (siehe Kasten), unter Kontrolle der Vitalfunktionen, der Einsatz von rektalen oder bukkalen Benzodiazepinen empfohlen. Bislang galt rektales Diazepam für diese Indikation als Goldstandard. Seit der Zulassung von bukkalem Midazolam (Buccolam®) im Herbst 2011 steht eine Alternative zur Verfügung, die sich durch eine einfachere Handhabung auszeichnet. Durch die große Oberfläche der Mundschleimhaut wird bukkales Midazolam rasch resorbiert, mit einem schnellen Wirkeintritt unter Umgehung des First-Pass-Metabolismus in der Leber.


Aktualisierte S1-Leitlinie

Die neue S1-Leitlinie „Behandlung des Status epilepticus im Kindesalters (jenseits der Neugeborenenperiode)“ soll im Laufe des Jahres publiziert werden. Die Aktualisierung erfolgte durch die Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ).

Vergleich mit rektalem Diazepam

Vergleichsstudien mit rektalem Diazepam zeigen für bukkales Midazolam zumindest eine gleichwertige und zum Teil auch signifikant überlegene Wirksamkeit. Signifikante Ergebnisse für die bukkale Applikationsform gegenüber rektalem Diazepam wurden in einer neueren Untersuchung an ugandischen Kindern bis 12 Jahre erreicht. In der Midazolam-Gruppe konnte bei 69,7% der Kinder der Anfall innerhalb von zehn Minuten gestoppt werden. In der Kontroll-Gruppe wurde innerhalb derselben Zeitspanne dieser Endpunkt lediglich bei 57% (p=0,016) erreicht [5]. Diese Differenz ist möglicherweise auch auf die schwierige Handhabung der rektalen Diazepam-Lösung zurückzuführen. Schwierigkeiten bestehen für die Patienten, den gesamten Inhalt eines Rektaltubes bis zur Resorption innerhalb des Rektums zu belassen.

Die Tendenz zu vorteilhafteren Ergebnissen mit bukkalem Midazolam wurde in einer Multicenterstudie an 177 Patienten im medianen Alter von drei Jahren bestätigt. Ansprechen war in dieser Studie definiert als die Beendigung des Krampfanfalls innerhalb von zehn Minuten, für mindestens eine Stunde, ohne Auftreten einer Atemdepression. Dies erreichten 56% der Gruppe mit bukkalem Midazolam gegenüber 27% mit rektalem Diazepam (p<0,001). Die mediane Zeit bis zur Beendigung des Anfalls betrug bei bukkalem Midazolam 8 Minuten gegenüber 15 Minuten beim Komparator.

Die Rate an Atemdepressionen als unerwünschtes Ereignis unterschied sich mit 5% vs. 6% der behandelten Episoden nicht zwischen den beiden Behandlungsgruppen [4]. Dieses Ereignis tritt meist durch Überdosierung infolge eines Summationseffekts auf, wenn Eltern ihr Kind mit Anfall bereits überdosiert haben – aufgrund der Besorgnis, dass der Anfall nicht endet – und dann in der Klinik unwissentlich weitere Dosen verabreicht werden.

Bessere Akzeptanz der oralen Applikation

Ein großer Vorteil von bukkalem Midazolam ist die deutlich bessere Akzeptanz [1]. Die orale Gabe kann im Gegensatz zur rektalen praktisch überall durchgeführt werden. Für die rektale Applikation muss hingegen erst ein geeigneter Ort aufgesucht werden und das Kind muss ausgezogen werden, was sich in zusätzlich benötigter Zeit niederschlägt. Die Anwendung von bukkalem Midazolam ist einfach und schnell: Zunächst wird die Applikationsspritze aus dem Kunststoff-Schutzröhrchen entnommen, anschließend wird die Kappe entfernt. Zur Anwendung wird das Spritzenende vorsichtig in die Backentasche eingeführt und die Lösung langsam in die Mundhöhle eingebracht, was auch bei Spasmen der Unterkiefermuskulatur möglich ist.

Fazit

Beim Status epilepticus im Kindesalter ist nunmehr in der neuen S1-Leitlinie bukkales Midazolam zur Behandlung empfohlen. Um neuronale Folgeschäden zu vermeiden, ist bereits der prolongierte Anfall schnellstmöglich zu unterbinden. Dies geschieht mit bukkalem Midazolam mindestens genau so effektiv wie mit rektalem Diazepam. Einige Studien sprechen dafür, dass mit der bukkalen Anwendung der Anfall sogar schneller unterbrochen werden kann. Grund dafür ist wahrscheinlich die schnellere Applikationsmöglichkeit, die sofort und an jedem Ort erfolgen kann.

Quelle

Prof. Dr. Ulrich Brandl, Jena; Prof. Dr. Gerhard Kurlemann, Münster; Prof. Dr. Ulrich Stephani, Kiel; Pressekonferenz „Update der Leitlinie zum pädiatrischen Status epilepticus: Bukkal beim ambulanten Anfall erste Wahl“, veranstaltet von Shire Deutschland GmbH im Rahmen der 9. Dreiländertagung (Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie), Dresden, 24. April 2015.

Literatur

1. Baysun, et al. A comparison of buccal midazolam and rectal diazepam for the acute treatment of seizures. Clin Pediatr 2005;44:771–6.

2. do Nascimento AL, et al. Neuronal degeneration and gliosis time-course in the mouse hippocampal formation after pilocarpine-induced status epilepticus. Brain Res 2012;1470:98–110.

3. Fernandez IS, et al. Gaps and opportunities in refractory status epilepticus research in children: A multi-center approach by the Pediatric Status Epilepticus Research Group (pSERG). Seizure 2014;23:87–97.

4. McIntyre J, et al. Safety and efficacy of buccal midazolam versus rectal diazepam for emergency treatment of seizures in children: a randomised controlled trial. Lancet 2005;366:205–10.

5. Mpimbaza A, et al. Comparison of buccal midazolam with rectal diazepam in the treatment of prolonged seizures in Ugandan children: a randomized clinical trial. Pediatrics 2008;121:e58–e64.

Psychopharmakotherapie 2015; 22(05)