Bipolar-I-Störung

Lurasidon in Monotherapie und als Zusatztherapie antidepressiv wirksam


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie wurde die antidepressive Wirksamkeit zweier Dosisbereiche von Lurasidon (20–60 mg/Tag und 80–120 mg/Tag) in Monotherapie bei Patienten mit einer Bipolar-I-Depression untersucht [1]. In einer weiteren Placebo-kontrollierten Studie wurde Lurasidon als Zusatztherapie bei Patienten mit einer Bipolar-I-Depression eingesetzt, die auf eine Therapie mit Lithium oder Valproinsäure unzureichend angesprochen hatten [2]. Primärer Wirksamkeitsparameter war in beiden Studien die Änderung des Scores der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) vom Einschluss bis zum Endpunkt (Woche 6). Als Monotherapie verringerte Lurasidon in beiden Dosisbereichen den MADRS-Score signifikant im Vergleich zu Placebo. Auch als Zusatztherapie war die Substanz signifikant wirksamer als Placebo. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse von Lurasidon in beiden Studien waren Übelkeit, Kopfschmerz, Akathisie und Somnolenz. Die Änderungen des Körpergewichts und der Lipidspiegel waren minimal.
Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Aufgrund relevanter Unterschiede zwischen unipolarer und bipolarer Depression halten die Autoren der S3-Richtlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen [3] die Entwicklung spezieller Therapieansätze für erforderlich. So können sie aufgrund der unzureichenden Datenlage in der aktuellen Fassung der Richtlinie keine Empfehlung geben, ob in der Akuttherapie der bipolaren Depression ein Antidepressivum in Monotherapie gegeben werden kann oder nicht. Dagegen sprechen die Daten dafür, dass das Antipsychotikum Quetiapin (z.B. Seroquel®) eingesetzt werden sollte. Wie Quetiapin ist auch Lurasidon (Latuda®) ein sogenanntes atypisches Antipsychotikum. Die Substanz wirkt an D2 -, 5-HT2A- und 5-HT7-Rezeptoren als Antagonist und an 5-HT1A-Rezeptoren als partieller Agonist. Die antagonistische Aktivität am 5-HT7-Rezeptor wird mit der antidepressiven Wirksamkeit in Verbindung gebracht. Lurasidon ist in den USA zur Behandlung der Bipolar-I-Depression sowohl als Monotherapie als auch als Zusatztherapie mit Lithium und Valproinsäure zugelassen. In Europa ist es bisher nur zur Behandlung der Schizophrenie zugelassen.

Primäres Ziel zweier Studien war die Untersuchung der antidepressiven Wirksamkeit von Lurasidon als Monotherapie und als Zusatztherapie bei Patienten mit einer depressiven Episode einer Bipolar-I-Störung.

Methoden

Die Monotherapie-Studie wurde von April 2009 bis Februar 2012 von 55 Zentren in Indien, Südafrika, Europa und den USA durchgeführt.

Eingeschlossen wurden ambulante Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren mit der Diagnose einer Bipolar-I-Störung und einer akuten Episode einer Major Depression (DSM-IV-TR) von einer Dauer zwischen 4 Wochen und <12 Monaten, mit oder ohne Rapid Cycling, ohne psychotische Merkmale und mit wenigstens einer manischen oder gemischten Episode in der Vorgeschichte. Weiterhin war ein MADRS-Score von 20 und ein Score von 12 auf der Young Mania Rating Scale (YMRS) erforderlich.

Ausschlusskriterien waren Therapieresistenz, Abnahme des MADRS-Scores vom Screening bis Einschluss um 25% und ein Score von 4 im MADRS-Item 10 (suizidale Gedanken).

Nach einer Wash-out-Phase von wenigstens 3 Tagen wurden die Patienten im Verhältnis 1:1:1 randomisiert einer 6-wöchigen Lurasidon-Behandlung mit einer flexiblen Dosis von entweder 20–60 mg/Tag oder 80–120 mg/Tag oder mit Placebo zugeteilt. In beiden Lurasidon-Armen begann die Behandlung mit 20 mg/Tag. Im niedrigeren Dosisbereich wurden die Patienten eine Woche lang mit 20 mg/Tag behandelt. Im höheren Bereich wurde die Dosis in der ersten Woche auf 80 mg/Tag erhöht. Danach konnte die Dosis in beiden Armen abhängig von Wirksamkeit und Verträglichkeit eingestellt werden. Begleitmedikamente zur Behandlung von Bewegungsstörungen (z.B. Anticholinergika) oder von Angst und Insomnie (z.B. Lorazepam, Zolpidem) waren erlaubt, ausgenommen innerhalb einer Zeit von acht Stunden vor einer psychiatrischen Beurteilung.

Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung des MADRS-Scores vom Einschluss bis zur Woche 6. Sekundäre Endpunkte waren unter anderen die Änderung des Scores im Schweregrad der Depression auf der Clinical Global Impression Scale für die bipolare Erkrankung (CGI-BP) vom Einschluss bis Woche 6 sowie die Response- und Remissions-Raten. Wirksamkeitsbeurteilungen wurden beim Einschluss und danach in wöchentlichen Abständen vorgenommen.

Sicherheit und Verträglichkeit der Behandlung wurden aufgrund der Berichte unerwünschter Wirkungen, von Vitalparametern, Labortests und EKG beurteilt. Bewegungsstörungen wurden mithilfe der Simpson-Angus Scale, der Abnormal Involuntary Movement Scale und der Barnes Akathisia Rating Scale registriert.

Die Kombinationstherapiestudie wurde von Mai 2009 bis Januar 2012 von 58 Zentren in Europa, Nordamerika, Asien und Afrika durchgeführt.

Sie hatte dieselben Einschlusskriterien wie die Monotherapiestudie. Außerdem hatten die Patienten auf eine 28-tägige Behandlung mit Lithium oder Valproinsäure unzureichend angesprochen, wobei die Lithium- bzw. Valproat-Serumspiegel bei 0,6–1,2 mmol/l bzw. 50–125 µg/ml lagen. Die Ausschlusskriterien waren ebenfalls dieselben wie in der Monotherapiestudie; hinzu kamen unter anderen die Behandlung mit einem Antidepressivum innerhalb von 3 Tagen (Fluoxetin: 28 Tage) und mit Clozapin innerhalb von 120 Tagen vor dem Einschluss sowie die stationäre Behandlung einer manischen/gemischten Episode innerhalb von 60 Tagen vor dem Einschluss. Die Patienten wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert einer Behandlung mit Lurasidon (20–120 mg/Tag) oder Placebo zugewiesen. Innerhalb der ersten Woche wurde die Dosis von 20 auf 60 mg/Tag gesteigert. Danach konnte sie in wöchentlichen 20 mg-Schritten auf 120 mg/Tag erhöht werden. Für Begleitmedikation, Wirksamkeitsparameter und Beurteilung der Verträglichkeit galt dasselbe wie in der Monotherapiestudie.

Ergebnisse

In die Monotherapiestudie wurden 505 Patienten eingeschlossen (Lurasidon 20–60 mg/Tag: n=166; Lurasidon 80–120 mg/Tag: n=169; Placebo: n=170). Die Abschlussraten waren n=123 (74%) und n=124 (73%) für die beiden Lurasidon-Gruppen und n=127 (75%) für die Placebo-Gruppe. Die mittlere tägliche Lurasidon-Dosis lag bei 31,8 bzw. 82,0 mg.

Der MADRS-Score nahm unter Lurasidon signifikant stärker ab als unter Placebo, wobei diese Unterschiede ab Woche 2 statistisch signifikant waren (Abb. 1).

Abb. 1. Änderung des Gesamtscores der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale bei Patienten mit einer Bipolar-I-Depression unter einer Monotherapie mit Lurasidon oder Placebo vom Einschluss bis Woche 6 (*p<0,05; **p<0,01; ***p<0,001) [nach 1]

Auch die sekundären Wirksamkeitsparameter zeigten eine signifikante Überlegenheit von Lurasidon gegenüber der Placebo-Behandlung. Der Schweregrad der Depression auf der CGI-BP verringerte sich unter Lurasidon deutlicher als unter Placebo. Die Response- und Remissions-Raten waren unter Lurasidon signifikant höher (Tab. 1).

Tab.1. Ergebnisse der Monotherapie mit Lurasidon nach 6 Wochen [1]; CGI-BP: Clinical Global Impression–Bipolar; MADRS: Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale

Lurasidon
20–60 mg/Tag

Lurasidon
80–120 mg/Tag

Placebo

Abnahme des MADRS-Scores

–15,4
p<0,001

–15,4
p<0,001

–10,7

Verringerung des Schweregrads der Depression (CGI-BP)

–1,8
p<0,001

–1,7
p<0,001

–1,1

Response-Rate

53%
p<0,001

51%
p<0,001

30%

Remissions-Rate

42%
p=0,001

40%
p=0,004

25%

In der Kombinationstherapiestudie wurden 183 Patienten randomisiert der Lurasidon-Gruppe und 165 Patienten dem Placebo-Arm zugteilt. Etwa gleich viele Patienten erhielten Lithium oder Valproinsäure. Unter Lurasidon beendeten 78,1% und unter Placebo 82,4% der Patienten die Studie. Die mittlere Lurasidon-Dosis war 66,3 mg/Tag.

Sowohl der MADRS-Gesamtscore als auch der Schweregrad der Depression nach CGI-BP verringerten sich unter Lurasidon signifikant stärker als unter Placebo. Auch die Remissions- und Response-Raten waren unter Lurasidon signifikant verschieden (Tab. 2). Die Behandlungsergebnisse in Kombination mit Lithium und Valproinsäure waren vergleichbar.

Tab. 2. Ergebnisse der Kombinationstherapie von Lurasidon mit Valproinsäure oder Lithium nach 6 Wochen [2]; Abkürzungen siehe Tab. 1

Lurasidon
20–120 mg/Tag

Placebo

Abnahme des MADRS-Scores

–17,1
p=0,005

–13,5

Verringerung des Schweregrads der Depression (CGI-BP)

–1,96
p=0,003

–1,51

Response-Rate

57%
p=0,008

42%

Remissions-Rate

50%
p=0,008

35%

Verträglichkeit der Monotherapie

Der Anteil der Patienten, die wenigstens ein unerwünschtes Ereignis berichteten, war 61,6% (Lurasidon 20–60 mg/Tag), 64,7% (Lurasidon 80–120 mg/Tag) und 57,1% (Placebo). Unerwünschte Ereignisse, die in einer der Lurasidon-Gruppen mit einer Häufigkeit von >10% auftraten, waren Übelkeit (10,4%: 20–60 mg/Tag, bzw. 17,4%: 80–120 mg/Tag), Kopfschmerz (14,0% bzw. 9,0%) und Akathisie (7,9% bzw. 10,8%). Diese Ereignisse wurden unter Placebo mit einer Häufigkeit von 7,7%, 11,9% und 2,4% berichtet. Weitere extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS) wurden mit einer Häufigkeit von 4,9% (20–60 mg/Tag) bzw. 9,0% (80–120 mg/Tag) und 2,4% (Placebo) gemeldet.

Der Anteil der Patienten, der die Studie wegen eines unerwünschten Ereignisses abbrach, war in den drei Gruppen ähnlich: 6,6% (Lurasidon 20–60 mg/Tag), 5,9% (Lurasidon 80–120 mg/Tag) und 6,5% (Placebo). Eine Manie trat bei diesen Gruppen in einer Häufigkeit von 3,7%, 1,9% und 1,9% auf. Keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppen wurden im Gewicht, den metabolischen Parametern, dem EKG, den Vitalparametern und den Laborbefunden festgestellt.

Verträglichkeit der Zusatztherapie

Wenigstens ein unerwünschtes Ereignis berichteten 63,9% (Lurasidon) bzw. 57,7% (Placebo) der Patienten. Übelkeit (17,5%), Somnolenz (8,7%), Tremor (8,2%) und Akathisie (7,7%) waren die häufigsten Ereignisse unter Lurasidon. Andere EPMS wurden in einer Häufigkeit von 15,3% (Lurasidon) und 9,8% (Placebo) registriert. Es traten keine Unterschiede im Gewicht, den Vitalparametern, dem EKG oder den Laborbefunden zwischen beiden Gruppen auf.

Die Autoren der beiden Studien sehen in Lurasidon eine wertvolle Bereicherung der therapeutischen Möglichkeiten in der Behandlung der bipolaren Depression.

Kommentar

Nicht alle atypischen Antipsychotika haben in klinischen Untersuchungen eine antidepressive Wirksamkeit zeigen können. Die Ergebnisse der vorliegenden Lurasidon-Studien sind dagegen überzeugend: In der Monotherapie reduzierte Lurasidon den MADRS-Score mit einer Effektstärke von 0,51 und als Zusatztherapie immerhin noch mit einer Stärke von 0,34. Neben der guten antidepressiven Wirksamkeit überzeugte auch die Verträglichkeit sowohl in der Mono- als auch in der Kombinationstherapie. Die Switchrate unter diesem Antipsychotikum lag, wie auch in entsprechenden Studien mit Quetiapin, auf Placebo-Niveau – ein Ergebnis der guten antimanischen Wirksamkeit dieser Substanzen. Die Substanzklasse scheint also zur Akutbehandlung der bipolaren Depression gut geeignet zu sein. Allerdings traten dosisabhängig mehr EPMS auf als unter Placebo. Da in der Monotherapiestudie der niedrige Dosisbereich ebenso wirksam war wie der höhere, dürfte jedoch in den meisten Fällen die Gabe von Dosen im Bereich von 20–60 mg/Tag ausreichen.

Quellen

1. Loebel A, et al. Lurasidone monotherapy in the treatment of bipolar I depression: A randomized, double-blind, placebo-controlled study. Am J Psychiatry 2014,171:160–8.

2. Loebel A, et al. Lurasidone as adjunctive therapy with lithium or valproate for the treatment of bipolar I depression: A randomized, double-blind, placebo-controlled study. Am J Psychiatry 2014, 171:169–177.

3. S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen .

Psychopharmakotherapie 2015; 22(02)