Dr. Bettina Hellwig, Konstanz
Die multiple Sklerose ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). In Deutschland leben nach aktuellen Hochrechnungen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) etwa 130000 Betroffene.
Schubförmiger Beginn
Die Erkrankung beginnt bei über 80% der Patienten mit schubförmigen Entzündungsreaktionen, die zu unterschiedlichen neurologischen Ausfällen führen. Diese Phasen wechseln sich mit Zeiten ab, in denen keine oder nur wenig Krankheitsaktivität nachweisbar ist und die Symptome ganz oder zumindest teilweise zurückgehen. Diese Verlaufsform wird als Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis (RRMS) bezeichnet.
Im weiteren Verlauf kommt es neben den Entzündungsreaktionen zusätzlich zu neurodegenerativen Prozessen, die zu der fortschreitenden Behinderung beitragen, unabhängig von der Anzahl der Schübe. Dabei scheint es bei jedem Menschen einen individuellen Schwellenwert zu geben, bis zu dem der unmerklich im Hintergrund ablaufende Verlust von Gewebe ausgeglichen wird. Erst wenn dieser Schwellenwert erreicht wird, kommt es zum Fortschreiten der Behinderung.
Behinderungsprogression aufhalten
Als Messwert für das Ausmaß der Behinderung wird der EDSS-Wert (Expanded disability status scale nach Kurtzke) verwendet, mit dem unter anderem die Gehfähigkeit bewertet wird. Zu Beginn der Erkrankung, wenn die Behinderung noch nicht weit fortgeschritten ist, lässt sich die Progression am wirksamsten stoppen. Zu den maßgeblichen Wirksamkeitsparametern einer MS-Therapie gehören neben der Behinderungsprogression und der Schubfrequenz auch die Läsionslast im MRT und die Hirnatrophie.
Schwer zu behandeln ist die multiple Sklerose, wenn sie nach einer unterschiedlich langen Zeitdauer in eine zweite Erkrankungsphase übergegangen ist, in eine sekundär chronisch progrediente Form (SPMS), bei der klinische Symptome und neurologische Beeinträchtigungen immer weiter zunehmen. Bei 10 bis 15% der Patienten verläuft die Erkrankung bereits zu Beginn primär progredient (PPMS).
Mit den heute zur Verfügung stehenden Therapieoptionen können sowohl die Schubfrequenz als auch die Zunahme der körperlichen Beeinträchtigungen verringert werden.
Beta-Interferone sind Basistherapeutika der ersten Wahl
Beta-Interferone wurden in den 90er-Jahren als immunmodulierende MS-Basistherapeutika eingeführt. Sie können den klinischen Krankheitsverlauf günstig beeinflussen, indem sie die Schubfrequenz um rund 30% senken, die Krankheitsaktivität reduzieren und das Fortschreiten der körperlichen Beeinträchtigungen aufhalten. Beta-Interferone sind auch in der Langzeitanwendung sicher und wirksam, sodass sie nach wie vor zu den Basistherapeutika der ersten Wahl gehören.
Die bisher eingesetzten Wirkstoffe unterscheiden sich vor allem in Art und Frequenz der Injektion. Für Interferon beta-1a (Rebif®), das alle zwei Tage in einer Dosis von 44 µg subkutan injiziert wird, liegen mittlerweile mehr als fünfzehn Jahre praktische Erfahrung in der Anwendung zur MS-Therapie vor: 90% der Patienten, die diese Therapie anwenden, sind nach diesem Zeitraum weiterhin gehfähig.
Nach den Daten von mehr als 17000 Patienten, die in einer 2013 publizierten Cochrane-Metaanalyse ausgewertet wurden, waren Interferon beta-1a sowie der monoklonale Antikörper Natalizumab (nur für die [hoch-]aktive Verlaufsform zugelassen) allen anderen Wirkstoffen überlegen, wenn sie über einen Zeitraum von 24 Monaten mit Placebo verglichen wurden. Hier konnten sie sowohl Schübe am wirkungsvollsten verhindern (55% weniger Schübe als unter Placebo, hohe Evidenz) als auch die Behinderungsprogression aufhalten (moderate Evidenz). Allerdings betonen die Autoren der Metaanalyse, dass darin nur die klinischen Effekte über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren ausgewertet wurden [1].
Behandlungsbeginn bei klinisch isoliertem Syndrom
Am wirkungsvollsten ist die Behandlung, wenn sie in einem möglichst frühen Stadium begonnen wird, am besten schon beim Auftreten eines klinisch isolierten Syndroms (CIS, clinically isolated syndrome) als möglichem erstem Anzeichen einer multiplen Sklerose. In einer Subgruppenanalyse der randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie REFLEX (Rebif flexible dosing in early multiple sclerosis) konnte Interferon beta-1a (44 µg s.c. dreimal wöchentlich) das Risiko für die Konversion vom CIS zur klinisch gesicherten MS (CDMS) um 56% senken [2].
Nach den Ergebnissen der PRISMS-Studie kann Interferon beta-1a außerdem die Behinderungsprogression um rund drei Jahre verzögern. Dies entspricht einer Risikoreduktion um 58% gegenüber Placebo bei Patienten mit einem EDSS-Grad von mehr als 3,5.
Quelle
Prof. Dr. med. Ricarda Diem, Heidelberg, Prof. Dr. med. P. Rieckmann, Bamberg, Prof. Dr. med. Ralf Linker, Erlangen, Prof. Dr. med. Tjalf Ziemssen, Dresden; Industriesymposium und Pressegespräch „MS im Dialog – Herausforderung Behinderungsprogression“, München, 17. September 2014, veranstaltet von Merck Serono.
Literatur
1. Filippini G, et al. Immunomodulators and immunosuppressants for multiple sclerosis: a network meta-analysis (Review). The Cochrane Library 2013;Issue 6:CD008933; Online: doi:10.1002/14651858.CD008933.pub2.
2. Freedman M, et al. Patient subgroup analyses of the treatment effect of subcutaneous interferon β-1a on development of multiple sclerosis in the randomized controlled REFLEX study. J Neurol 2014;261:490–9.
Psychopharmakotherapie 2015; 22(02)