Multiple Sklerose

Glatirameracetat in der immunmodulatorischen Basistherapie


Dr. Bettina Hellwig, Konstanz

Glatirameracetat ist seit über zehn Jahren zur immunmodulatorischen Basistherapie der schubförmigen multiplen Sklerose (MS) zugelassen. Der Wirkstoff gehört hierfür wegen seines gut dokumentierten Wirksamkeits- und Sicherheitsprofils nach wie vor zu den Therapien der ersten Wahl, wie im September auf einem Satellitensymposium der Firma Teva in München auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) dargestellt wurde.

Glatirameractetat (Copaxone®) steht derzeit als Fertigspritze mit einer Dosis von 20 mg zur einmal täglichen subkutanen Injektion zur Verfügung. Das synthetische Polypeptid ist ähnlich zusammengesetzt wie das basische Myelinprotein, ein Bestandteil des Myelins.

Nach den derzeitigen Erkenntnissen greift Glatirameracetat modifizierend in Immunprozesse ein, die für die Pathogenese der multiplen Sklerose verantwortlich gemacht werden. Glatirameracetat bindet als Antigen an MHC-Proteine der Klasse II. Als Folge dieser Bindung verschiebt sich das Gleichgewicht der T-Zellen (T-Zell-Shift). Die Bildung spezifischer T-Zellen vom entzündungshemmenden Th2/Treg-Phänotyp wird gefördert, während auf der anderen Seite weniger T-Zellen vom entzündungsfördernden Th1-Typ entstehen. Die vermehrt gebildeten Th2-Zellen lassen sich im Blut nachweisen und können auch die Blut-Hirn-Schranke passieren.

Einsatz im Frühstadium verhindert Krankheitsprogression

Am besten wirken immunmodulatorische Substanzen wie Glatirameracetat, wenn sie in einem möglichst frühen Stadium der Erkrankung eingesetzt werden. Unterhalb eines EDSS-Werts von 3 (Expanded disability status scale – Maß für die Behinderung) lässt sich die Krankheitsprogression am wirksamsten stoppen.

Glatirameracetat ist nicht nur zur Reduktion der Schubfrequenz bei Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose (relapsing remitting MS, RRMS) zugelassen, sondern kann bereits zur Behandlung von Patienten mit einer klar definierten, ersten klinischen Episode (clinically isolated syndrome, CIS) eingesetzt werden, die ein hohes Risiko haben, eine klinisch gesicherte multiple Sklerose zu entwickeln.

Bei ihnen senkte Glatiramer das Risiko für eine Progression zu einer klinisch gesicherten MS. So war nach den 5-Jahres-Daten der PreCISe-Studie beim frühen Einsatz von Glatirameracetat die Zeit bis zum zweiten Schub, einer klinisch gesicherten MS (CDMS), um fast 1000 Tage länger als bei einem verzögerten Therapiestart. Außerdem blieb das Hirnvolumen unter der Therapie länger erhalten; die Reduktion konnte um 28% aufgehalten werden. Die Studie wurde wegen der deutlichen Überlegenheit von Glatirameracetat vorzeitig entblindet.

Weniger Entzündungsherde und wirksame Schubreduktion

Im Rahmen der Zulassung wurden drei kontrollierte Studien zur Therapie der schubförmigen MS mit Glatirameracetat durchgeführt. Daran nahmen insgesamt 540 Patienten teil, bei denen gemäß den damals gültigen Standardkriterien eine schubförmige MS diagnostiziert wurde und die in den letzten beiden Jahren mindestens zwei Schübe mit neurologischen Funktionsstörungen hatten. Unter der Therapie mit Glatirameracetat reduzierte sich die Anzahl der Schübe im Vergleich zu Placebo signifikant um 29%: Die jährliche Schubrate unter Placebo betrug 0,84, unter Glatirameracetat 0,59.

Die zentrale Studie mit 251 Patienten wurde 1991 bis 1994 in elf US-Zentren durchgeführt und durch mehrere Open-Label-Phasen verlängert, sodass heute Daten von Patienten mit einer Behandlungsdauer von bis zu 20 Jahren und einer Erkrankungsdauer von bis zu 27 Jahren ausgewertet werden können.

74 Patienten der Zulassungsstudie konnten in einer Extensionsstudie untersucht werden. Diese Patienten profitieren auch 20 Jahre nach Behandlungsbeginn weiterhin von der Therapie mit Glatirameracetat. Von den kontinuierlich behandelten Patienten war knapp ein Viertel (23,3%) über den gesamten Zeitraum hinweg schubfrei geblieben. Über 60% der Patienten hatten nach 20 Jahren immer noch einen EDSS von unter 4, 80% der Patienten hatten einen EDSS von unter 6.

Auch bei einer Langzeitanwendung war die Verträglichkeit weiterhin gut. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören nach wie vor Reaktionen an der Injektionsstelle, wie Erythem, Schmerz, Quaddelbildung, Pruritus, Ödem, Entzündung und Überempfindlichkeit. Grippeähnliche Nebenwirkungen traten hingegen kaum auf.

In mehreren Studien konnte zudem gezeigt werden, dass unter der Behandlung mit Glatirameracetat im Kernspintomogramm (MRT) weniger neue Entzündungsherde auftraten als unter Placebo, was sich auch in der Langzeitnachbeobachtung zeigte.

Möglicherweise können in Zukunft die Patienten gezielt identifiziert werden, die besonders gut auf eine Behandlung mit Glatirameracetat ansprechen. Nach genetischen Untersuchungen von langjährig erfolgreich behandelten Patienten konnten genetische Faktoren (Single nucleotide polymorphisms, SNP) identifiziert werden, die mit dem Wirkungsmechanismus von Glatirameracetat zusammenhängen und das Ansprechen beeinflussen.

Dreimal wöchentliche Applikation

Um die unerwünschten Wirkungen der täglichen Spritze zu verringern und so eine bessere Therapieadhärenz zu erreichen, wird derzeit eine höhere Dosis von 40 mg Glatirameracetat erprobt, die nur noch dreimal wöchentlich appliziert werden muss. Diese Dosierung erwies sich in den Studien GALA (Glatiramer acetate low frequency administration [1]) und GLACIER (Glatiramer acetate low frequency safety and patient experience [2]) als ebenso wirksam wie die bisherige Therapie. In den USA wurde sie bereits zur Behandlung der schubförmig remittierenden MS zugelassen.

Biosimilars sind problematisch

Dass die Wirkung von Glatirameracetat nicht so ohne Weiteres mit anderen ähnlichen Wirkstoffen nachgeahmt werden und dieser Versuch sogar gefährlich enden kann, zeigt die Entwicklung von Protiramer. Dieser Wirkstoff wurde von Teva als Nachfolger für Glatiramer mit leichten Veränderungen entwickelt. Das Molekül ist ähnlich aufgebaut wie Glatiramer, löst aber im Tierversuch starke unerwünschte Wirkungen aus, die unter anderem zu Organschäden führten.

Quelle

Prof. Dr. med. Volker Limroth, Köln-Merheim, Prof. Dr. med. Tjalf Ziemssen, Dresden, Prof. Dr. med. Ralf Linker, Erlangen, Prof. Dr. med. Friedemann Paul, Priv.-Doz. Dr. Volker Knappertz, Berlin; Satellitensymposium „Copaxone®: Gestern – Heute – Morgen“, veranstaltet von Teva Pharma GmbH im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), München, 16. September 2014.

Literatur

1. Khan O, et al. 24-month efficacy and safety of glatiramer acetate 40 mg/1 ml 3-times weekly: open-label extension study of the GALA trial in subjects with relapsing-remitting multiple sclerosis. Neurology 2014;82 (Supplement):S31.003.

2. Wolinsky J, et al. GLACIER: an open-label, randomized, multicenter study to assess safety and tolerability of glatiramer acetate 40 mg/1 ml 3-times weekly versus 20 mg/1 ml daily in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis. Neurology 2014; 82(Supplement):S31.002.

Psychopharmakotherapie 2015; 22(01)