Atypische Antipsychotika


Melatonin kann metabolische Effekte verringern

Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer 8-wöchigen randomisierten Doppelblindstudie erhielten Patienten mit einer Bipolar-I-Störung oder Schizophrenie, die auf ein atypisches Antipsychotikum eingestellt waren, entweder Melatonin oder Placebo, um zu prüfen, ob Melatonin von atypischen Antipsychotika induzierte metabolische Störungen verringern oder verhindern kann [1]. Dazu wurden unter anderem Gewicht, Blutdruck, Blutfette, Blutzucker und Körperzusammensetzung der Patienten untersucht. Am Endpunkt der Studie waren bei den Patienten mit bipolarer Störung in der Melatonin-Gruppe der diastolische Blutdruck, die Gewichtszunahme und Fettmasse im Vergleich zu Placebo signifikant verringert. Bei den Schizophrenie-Patienten zeigte Melatonin keinen Effekt. Es wurden keine unerwünschten Wirkungen berichtet.
Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Zu den häufigeren unerwünschten Wirkungen atypischer Antipsychotika gehören metabolische Störungen. So werden beispielsweise unter Quetiapin sehr häufig erhöhte Serumtriglyceridspiegel, erhöhte Cholesterolspiegel (LDL-Cholesterol) und Gewichtszunahme berichtet [2]. In verschiedenen Ansätzen wurde versucht, die Verbindung zwischen therapeutischen und metabolischen Effekten dieser Substanzen zu erklären. Das Zirbeldrüsenhormon Melatonin spielt eine zentrale Rolle bei der Steuerung des zirkadianen Rhythmus. Es wird berichtet, dass der zirkadiane Rhythmus bei Patienten mit einer Schizophrenie oder einer bipolaren Erkrankung gestört ist. In neueren experimentellen und klinischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Melatonin nicht nur eine Funktion bei der Regulation des Biorhythmus, sondern auch metabolischer Prozesse hat und den Stoffwechsel von Insulin, Leptin und Lipiden beeinflusst. So führte die Gabe von Melatonin bei Patienten mit einem metabolischen Syndrom zu einer signifikanten Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks, des LDL-Cholesterols und des Body-Mass-Index [3].

Das Ziel der vorliegenden Studie war es, das Potenzial von Melatonin zur Reduzierung von metabolischen Störungen zu untersuchen, die bei der Einnahme atypischer Antipsychotika auftreten können. Die Untersuchung wurde im Zeitraum von Oktober 2008 bis November 2011 in Mexiko durchgeführt. Aufgenommen wurden ambulante und stationäre Patienten, die von einem psychiatrischen Zentrum in Mexico City rekrutiert wurden.

Studiendesign

Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von 18 bis 45 Jahren mit der Diagnose einer Schizophrenie oder Bipolar-I-Störung nach DSM-IV-TR. Sie hatten keine weiteren Begleiterkrankungen und waren innerhalb der letzten drei Monate auf ein atypisches Antipsychotikum (Risperidon, Quetiapin, Olanzapin, Clozapin) eingestellt worden. Ausgeschlossen wurden Patienten mit einer der folgenden Diagnosen: Hypertonie, Diabetes mellitus, Dyslipidämie, Schilddrüsenerkrankung oder Lebererkrankung. Ausschlusskriterien waren außerdem Unverträglichkeit von Melatonin, Suizidalität und aggressives Verhalten. Patienten wurden aus der Studie genommen, wenn sie das Antipsychotikum absetzten oder an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Studienmedikation nicht einnahmen.

Die Patienten wurden randomisiert einer 8-wöchigen Behandlung mit Melatonin (5 mg/Tag; retardierte Freisetzung) oder Placebo im Verhältnis 1:1 zugeteilt. Die Studienmedikation wurde täglich um 20 Uhr eingenommen. Die maximale Plasmakonzentration von Melatonin wurde nach 2,7±0,7 Stunden erreicht (tmax). Ein Wechsel auf ein anderes Antipsychotikum war während der Studie nicht erlaubt. Die Einnahme anderer psychotroper Substanzen war möglich. Folgende Parameter wurden untersucht: Blutwerte, Body-Mass-Index, Fettmasse, Magermasse und Körperwasser. Außerdem wurden Bauchumfang, Hüftumfang und Blutdruck gemessen. Die klinische Beurteilung wurde unter anderem mithilfe der Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS), der Clinical Global Impression Scale – Severity of Disease (CGI-S), der Hamilton Depression Rating Scale (HAMD) und der Young Mania Rating Scale (YMRS) vorgenommen. Die Untersuchungen fanden beim Einschluss, nach drei Wochen und am Ende der Studie statt.

Ergebnisse

Patienten: Insgesamt wurden 50 Patienten eingeschlossen (25 je Behandlungsgruppe), von denen 44 die Studie nach acht Wochen abschlossen (Melatonin: n=20; Placebo: n=24). In der Melatonin-Gruppe beendeten zehn Patienten mit einer bipolaren Störung und zehn mit einer Schizophrenie die Studie. In der Placebo-Gruppe waren es zehn Patienten mit einer bipolaren Störung und 14 mit einer Schizophrenie. Unterschiede in den demographischen Merkmalen zeigten sich in der sozialen Bindung und im Beschäftigungsverhältnis der Patienten. Von den bipolaren Patienten waren 55% Singles und 40% berufstätig, während von den schizophrenen Patienten 91,7% Singles und nur 12,5% berufstätig waren.

Mit Quetiapin und Risperidon wurden 75% der Melatonin-Patienten und 54,2% der Placebo-Patienten behandelt, die anderen jeweils mit Olanzapin und Clozapin.

Wirksamkeit: Es wurde ein signifikanter Unterschied in der Änderung des mittleren diastolischen Blutdrucks zwischen der Melatonin- und der Placebo-Gruppe festgestellt (–5,1 vs. +1,1 mmHg; p=0,003). Auch die Unterschiede in der Gewichtszunahme zwischen beiden Gruppen waren signifikant (+1,5 vs. +2,2 kg; p=0,04). Ein Trend zur Signifikanz zeigte sich bei der Änderung des BMI (+0,6 vs. +0,78 kg/m2; p=0,08) und des Gesamtkörperwassers (+0,95 vs. +0,6 kg; p=0,076).

Bei den übrigen Parametern wurden keine signifikanten Ergebnisse beobachtet.

Die Analyse der Ergebnisse getrennt nach der DSM-IV-TR-Diagnose ergab bei den bipolaren Patienten eine signifikante Differenz zwischen Melatonin- und Placebo-Behandlung in der Änderung des Anteils der Fettmasse (–0,03 vs. +2,8%; p=0,004), der Fettmasse (+0,2 vs. +2,7 kg; p=0,032) und des diastolischen Blutdrucks (–5,7 vs. +5,5 mmHg; p=0,001; Abb. 1). Eine Tendenz zur Signifikanz wurde bei der Änderung des mittleren Triglyceridspiegels gefunden (–20 vs. +50,1 mg/dl; p=0,08).

Abb. 1. Änderung a) der Fettmasse und b) des diastolischen Blutdrucks (DBP) unter Melatonin und Placebo bei Patienten mit einer bipolaren Störung oder einer Schizophrenie [mod. nach 1]

In der Schizophrenie-Gruppe gab es zwischen der Melatonin- und Placebo-Gruppe bei keinem der untersuchten Parameter einen Unterschied.

Die Verbesserungen der psychischen Symptome, beurteilt mithilfe der erwähnten Skalen, waren in der Melatonin- und Placebo-Gruppe ähnlich. In beiden Gruppen traten keine unerwünschten Ereignisse auf.

Kommentar

Die Untersuchungen zeigen einen neuen Ansatz, die metabolischen Nebenwirkungen der neueren Antipsychotika bei bipolarer Erkrankung zu verringern. Über mögliche Ursachen der Unwirksamkeit von Melatonin bei schizophrenen Patienten diskutieren die Autoren nicht. Möglicherweise gibt es beim Auftreten metabolischer Störungen Unterschiede in den Stoffwechselwegen bzw. Steuerungsmechanismen zwischen beiden Erkrankungen. Schwachstellen dieser Studie sind unter anderen die sehr geringe Fallzahl und die Einbeziehung vier verschiedener Antipsychotika mit unterschiedlichen metabolischen Risikoprofilen. Die Verteilung dieser vier Medikamente auf die beiden Krankheitsgruppen geht aus der Arbeit nicht hervor. Weiterhin waren zusätzliche psychotrope Substanzen erlaubt, denen, wie beispielsweise Lithium, ebenfalls metabolische Effekte zugeschrieben werden. So handelt es sich hier vor allem um eine Pilotstudie, deren Ergebnisse unter besser kontrollierten Bedingungen bestätigt werden sollten.

Quellen

1. Romo-Nava F, et al. Melatonin attenuates antipsychotic metabolic effects: an eight-week randomized, double-blind, parallel-group, placebo-controlled trial. Bipolar Disord 2014; 16:410–21.

2. Fachinformation Seroquel Prolong® Retardtabletten, August 2014.

3. Kozirog M, et al. Melatonin treatment improves blood pressure, lipid profile, and parameters of oxidative stress in patients with metabolic syndrome. J Pineal Res 2011;50: 171–82.

Psychopharmakotherapie 2015; 22(01)