Prof. Dr. Hans-Christop Diener, Essen
Bei 15 bis 20% aller Patienten mit Diabetes mellitus kommt es zu einer schmerzhaften Polyneuropathie. Diese wird üblicherweise mit trizyklischen Antidepressiva, Antikonvulsiva wie Pregabalin oder Gabapentin oder retardierten Opioiden behandelt. In Tierexperimenten hat sich gezeigt, dass NGF (Nervenwachstumsfaktor) zur Chronifizierung von neuropathischen Schmerzen bei peripheren Nervenläsionen beiträgt. Am National Institute of Neurological Disorders and Stroke wurde ein humaner Antikörper entwickelt, der die biologischen Wirkungen von menschlichem NGF hemmt. Dieser Antikörper wurde jetzt in einer kleinen Proof-of-Concept-Studie untersucht.
Es handelt sich um eine doppelblinde Plazebo-kontrollierte Studie, in die Patienten mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie aufgenommen wurden. Die Patienten wurden in vier Gruppen randomisiert und erhielten entweder 1, 3 oder 10 mg Fulranumab oder Plazebo subkutan alle vier Wochen. Der primäre Endpunkt war eine Reduktion der über sieben Tage gemittelten täglichen Schmerzintensität in der 12. Woche. Die Studie war ursprünglich für 200 Patienten geplant und wurde nach Einschluss von 77 Patienten abgebrochen, da die amerikanische Zulassungsbehörde FDA in anderen Studien eine erhöhte Rate an Osteonekrosen und rasch voranschreitender Arthrose beobachtet hatte. Wurden die verbliebenen Patienten ausgewertet, ergab sich ein signifikanter Trend zugunsten des Antikörpers im Vergleich zu Plazebo. Dieser war dosisabhängig. Für die niedrige Dosis zeigte sich kein Unterschied zu Plazebo. Die Responderrate, das heißt der Anteil der Patienten mit einer Besserung von ≥50%, betrug 2 von 24 für Plazebo, 3 von 18 für 1 mg, 4 von 14 für 3 mg und 7 von 23 für 10 mg Fulranumab. Die häufigsten Nebenwirkungen in den aktiven Behandlungsgruppen waren Gelenkschmerzen mit 11%, periphere Ödeme mit 11% und Durchfall mit 9%.
Kommentar
In dieser Phase-II-Dosisfindungsstudie wurde ein biologisch sehr interessanter Ansatz gewählt, nämlich die Aktivität des menschlichen Nervenwachstumsfaktors zu hemmen. Soweit die geringe Zahl von Studienpatienten eine Schlussfolgerung zulässt, scheint dieser Ansatz wirksam zu sein. Die Studie zeigte eindeutig eine Dosisabhängigkeit nicht nur für den primären Endpunkt, sondern auch für eine Reihe von sekundären Endpunkten. Es muss allerdings zunächst abgewartet werden, ob die in anderen Studien beobachtete höhere Zahl an Gelenkdestruktionen und Osteonekrosen durch den Antikörper bedingt ist. Erst dann können weitere Studien erfolgen.
Quelle
Wang H, et al. Fulranumab for treatment of diabetic peripheral neuropathic pain: A randomized controlled trial. Neurology 2014;83:1–10.
Psychopharmakotherapie 2014; 21(06)