Altersdepression

Frühe Symptombesserung unter retardiertem Quetiapin


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer 11-wöchigen Plazebo-kontrollierten Doppelblindstudie (9 Wochen randomisiert, 2 Wochen Nachbeobachtung) wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von retardiertem Quetiapin bei älteren Patienten mit einer Major Depression untersucht. Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung im Score der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) ab Einschluss bis Woche 9. Nach Woche 9 war der MADRS-Score unter retardiertem Quetiapin im Vergleich zu Plazebo signifikant reduziert (p<0,001). Die signifikanten Verbesserungen traten bereits ab Woche 1 ein (p<0,001) und blieben während der gesamten Studie bestehen. Auch die sekundären Wirksamkeitsparameter, wie Responder- und Remitterrate, besserten sich unter Quetiapin im Vergleich zu Plazebo signifikant (p<0,001). Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (bei >10% der Quetiapin-Patienten) waren Somnolenz, Kopfschmerz, Mundtrockenheit und Schwindel.
Mit einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Zur Behandlung depressiver Erkrankungen bei älteren Patienten werden meist selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) bevorzugt. In Plazebo-kontrollierten Studien zeigten sie allerdings oft nur mäßige Responseraten und ein verzögertes Einsetzen der Wirksamkeit.

Als alternative Optionen bieten sich neuere Antipsychotika an, die sich bereits in der Behandlung affektiver Störungen als wirksam erwiesen haben. So ist Quetiapin in Europa nicht nur zur Behandlung der Schizophrenie, sondern auch zur Behandlung bipolarer Störungen und als Zusatztherapie zur Behandlung depressiver Erkrankungen zugelassen [2].

Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung der Wirksamkeit und Verträglichkeit von retardiertem Quetiapin in der Behandlung der Major Depression bei älteren Patienten [1].

Studiendesign

Die multizentrische, doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Phase-III-Studie bestand aus einer Einschluss-/Auswaschphase, einer 9-wöchigen randomisierten Behandlungsphase und einer 2-wöchigen Nachbeobachtungsphase. Sie wurde von September 2006 bis Dezember 2007 in 53 Zentren in Argentinien, Europa und den USA durchgeführt.

Eingeschlossen wurden ambulante Patienten (66 Jahre alt) mit der Diagnose einer Major Depression nach DSM-IV und einem Score auf der 17-Item Hamilton Depression Rating Scale (HAMD-17) von 22 (wenigstens mittelschwere Depression). Item 1 (depressive Stimmung) hatte einen Score von 2.

Ausschlusskriterien waren u.a.:

  • Score im Mini-Mental-Status-Test von 25 bzw. DSM-IV-Diagnose einer Demenz
  • andere Achse-I-Störungen
  • Dauer der gegenwärtigen Episode 12 Monate oder <4 Wochen
  • erhöhtes Suizidrisiko
  • Therapieresistenz bei adäquater Behandlung
  • instabiler oder unkontrollierter Diabetes mellitus
  • klinisch relevante körperliche Erkrankungen
  • neurologische Erkrankungen in der Vorgeschichte
  • abnormale Laborwerte

Die Patienten durchliefen zunächst eine Auswaschphase zwischen 7 und 28 Tagen, während der alle psychotropen Medikamente abgesetzt wurden. Danach wurden sie im Verhältnis 1:1 randomisiert einer Behandlung mit Quetiapin oder Plazebo zugeteilt. Die Behandlung mit Quetiapin erfolgte nach einem flexiblen Dosis-Design (50 bis 300 mg/Tag). Sie wurde mit 50 mg/Tag an den Tagen 1 bis 3 eingeleitet und mit 100 mg/Tag an den Tagen 4 bis 7 fortgesetzt. Abhängig von Wirksamkeit und Verträglichkeit betrug die Dosis 150 mg/Tag in Woche 2, 200 mg/Tag in Woche 3 und 300 mg/Tag ab Tag 22. Danach waren noch Dosisanpassungen möglich. Außer Einschlafhilfen waren psychotrope Medikamente nicht erlaubt. Erlaubt waren dagegen Anticholinergika zur Behandlung extrapyramidalmotorischer Symptome (EPS).

Primärer Wirksamkeitsparameter war die Änderung der MADRS-Gesamtscores vom Einschluss bis Woche 9.

Sekundäre Parameter waren unter anderen:

  • Änderung des MADRS-Gesamtscores vom Einschluss bis Woche 1 und allen nachfolgenden Visiten;
  • MADRS-Response-Raten (Response definiert als Reduktion des MADRS-Scores um 50%);
  • Remissionsraten (Remission definiert als MADRS-Score 8)
  • die Post-hoc-Analyse der Änderung des Gesamtscores und des Scores einzelner Items der Hamilton-Angstskala (HAM-A).

Zudem war die Auswertung einiger Selbstbeurteilungsskalen geplant, wie die Änderung des Pittsburgh-Sleep-Quality-Index-(PSQI-)Scores und des Scores der visuellen Analogskala zur subjektiven Einstufung von Schmerzen (VAS).

Zur Beurteilung der Sicherheit und Verträglichkeit wurden unerwünschte Ereignisse erfasst, das Körpergewicht bestimmt, Vitalparameter gemessen und Laboruntersuchungen durchgeführt. EPS wurden mithilfe der Simpson-Angus-Skala (SAS), der Barnes-Akathisie-Skala (BARS) und der Abnormal Involuntary Movement Scale (AIMS) untersucht.

Während der 2-wöchigen Nachbeobachtungszeit wurden unerwünschte Wirkungen und Absetzsymptome aufgezeichnet.

Ergebnisse

Patienten

In die Studie wurden 338 Patienten eingeschlossen (166 Quetiapin- und 172 Plazebo-Patienten) und 147 (76,5%) Patienten der Quetiapin- und 131 (76,2%) Patienten der Plazebo-Gruppe beendeten die Studie nach neun Wochen protokollgemäß. Die häufigsten Gründe für einen Abbruch waren Zurücknahme der Einwilligung zur Teilnahme (Quetiapin 8,4%, Plazebo 9,9%), unerwünschte Ereignisse (9,6% bzw. 3,5%) und keine Besserung (0,6% bzw. 7,0%). Die mediane Tagesdosis von Quetiapin betrug 158,7 mg. Die Höchstdosis von 300 mg/Tag nahmen bis zum Ende 35 (21%) Patienten ein.

Der mittlere MADRS-Score betrug bei Behandlungsbeginn 27,5 (SD 6,1) in der Quetiapin-Gruppe und 28,2 (SD 6,2) in der Plazebo-Gruppe.

Wirksamkeit

Im Vergleich zu Plazebo waren die MADRS-Scores unter Quetiapin bis zur Woche 9 signifikant reduziert (p<0,001). Die Änderungen im Score waren bereits in Woche 1 und dann an allen folgenden Visiten verglichen mit Plazebo signifikant stärker (jeweils p<0,001; Abb. 1).

Abb. 1. Änderung im Score der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) ab Beginn der Studienmedikation (LOCF-Analyse; LOCF =Last observation carried forward) *p<0,001 [1]

Eine Analyse der Subgruppen von Patienten über 75 Jahren und von Patienten mit 75 Jahren und jünger zeigt, dass die über 75-Jährigen nicht von der Behandlung mit Quetiapin profitiert haben. Dagegen war der MADRS-Score bei der jüngeren Gruppe unter Quetiapin im Vergleich zu Plazebo signifikant verringert (p<0,001). Die Einzelauswertung der Items der MADRS ergab, dass sich nach einer Woche 6 der 10 Items und nach neun Wochen alle Items unter Quetiapin signifikant gebessert hatten. Die Response- und Remissionsraten waren nach neun Wochen unter Quetiapin signifikant größer als unter Plazebo (64,0% vs. 30,4% bzw. 45,1% vs. 17,0%; jeweils p<0,001). Mit Ausnahme der Zufriedenheit mit der Medikation war Quetiapin bei allen anderen sekundären Wirksamkeitsparametern der Plazebo-Behandlung signifikant überlegen (p<0,001).

Verträglichkeit

Insgesamt berichteten 80,7% der Quetiapin- und 61,0% der Plazebo-Patienten wenigstens ein unerwünschtes Ereignis. Ernsthafte unerwünschte Ereignisse traten bei vier Patienten unter retardiertem Quetiapin (akutes Nierenversagen, Polymyalgia rheumatica, Suizidversuch und Verschlimmerung depressiver Symptome) und bei zwei Patienten unter Plazebo auf (verstärkte Depression mit Suizidversuch und Verstärkung der Depression). Häufiger als unter Plazebo traten unter retardiertem Quetiapin Somnolenz (33,1% vs. 8,1%), Kopfschmerz (21,1% vs. 16,3%), Mundtrockenheit (20,5% vs. 10,5%), Schwindel (19,3% vs. 15,1%) und EPS auf (7,2% vs. 2,3%). Ereignisse von tardiver Dyskinesie traten nicht auf. Absetzsymptome waren in der Nachbeobachtungszeit unter retardiertem Quetiapin nicht häufiger als unter Plazebo.

Kommentar

Retardiertes Quetiapin erwies sich in dieser Studie mit älteren Patienten als schnell und gut wirksam. Besonders auffallend sind der frühe Eintritt der Wirkung, die signifikante Verbesserung des Scores aller Items der MADRS und die hohe Response-Rate. Leider fehlt ein Arm mit einer aktiven Vergleichssubstanz, sodass sich die Sensitivität des Studiendesigns nicht einschätzen lässt. Trotz der insgesamt guten Ergebnisse bestätigt diese Untersuchung jedoch die Befunde früherer Plazebo-kontrollierter Studien, dass ältere Patienten – in der vorliegenden Untersuchung die über 75-Jährigen – auf eine pharmakologische Behandlung später und möglicherweise schlechter ansprechen als jüngere.

Die Übertragung der Ergebnisse dieser Studie auf den klinischen Alltag erscheint aufgrund der strengen Ausschlusskriterien allerdings etwas eingeschränkt – eine Einschränkung, die jedoch auf die meisten Plazebo-kontrollierten Studien zutrifft.

Literatur

1. Katila H, et al. Randomized, double-blind study of the efficacy and tolerability of extended release quetiapine fumarate (Quetiapin XR) monotherapy in elderly patients with major depressive disorder. Am J Geriatr Psychiatry 2013;21:769–84.

2. Fachinformation Seroquel Prolong® Retardtabletten, Januar 2014.

Psychopharmakotherapie 2014; 21(06)