Schizophrenie und schizoaffektive Störungen

Vareniclin zur Unterstützung der Raucherentwöhnung ist verträglich und wirksam


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

In einer 12-wöchigen doppelblinden Studie erhielten 127 Raucher (≥15 Zigaretten/Tag) mit einer Schizophrenie oder schizoaffektiven Störung im Verhältnis von 2:1 Vareniclin (2 mg/Tag) oder Plazebo. Primäres Untersuchungsziel war die Sicherheit und Verträglichkeit von Vareniclin. Sekundäres Ziel war der Anteil der Teilnehmer, der mit dem Rauchen aufgehört hat, wobei Abstinenz definiert war als Nichtrauchen für wenigstens sieben Tage vor Ende der Behandlung in Woche 12 und vor Ende der Nachbeobachtungszeit in Woche 24. Bis zum Ende der Behandlung erfüllten 16 von 84 Vareniclin-Patienten (19%) und 2 von 43 Plazebo-Patienten (4,7%) die Kriterien für das Einstellen des Rauchens (p=0,046). In Woche 24 bestand noch ein Trend zugunsten von Vareniclin (p=0,09). Signifikante Änderungen der Symptome der Schizophrenie, der Stimmung und der Angst traten nicht auf. Suizidale Vorstellungen waren in beiden Gruppen gleich häufig [1].
Mit einem Autorenkommentar von Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach

Unter den Patienten mit einer schizophrenen Störung finden sich erheblich mehr Raucher als in der Normalbevölkerung (75 bis 90% versus 25 bis 30%). Auch sind Therapien zur Raucherentwöhnung (Nicotin-Ersatztherapie, Bupropion) bei Schizophrenie-Patienten weniger erfolgreich als in der übrigen Bevölkerung. Die Patienten brauchen daher eine besonders wirksame Unterstützung bei der Raucherentwöhnung.

Vareniclin (Champix®) ist zur Raucherentwöhnung bei Erwachsenen zugelassen. Die Substanz bindet als partieller Agonist mit einer höheren Affinität als Nicotin an neuronale α4β2-nicotinerge Acetylcholinrezeptoren und stimuliert die rezeptorvermittelte Aktivität – dies jedoch weniger stark als Nicotin. Vareniclin verringert so durch seine agonistische Wirkung die Symptome des Rauchverlangens und des Entzugs. Indem es die Bindung von Nicotin verhindert, bewirkt es zugleich eine Verringerung des Belohnungseffekts beim Rauchen. In kontrollierten klinischen Studien war die Abstinenzrate unter Vareniclin 2- bis 3-mal so hoch wie unter Plazebo [2].

Nach Markteinführung gab es jedoch Berichte über das Auftreten neuropsychiatrischer Symptome unter Vareniclin, wie depressive Stimmung, Psychosen, Suizidalität oder Agitation. Allerdings ist unklar, inwieweit diese Symptome ursächlich mit einer Vareniclin-Therapie oder mit der Raucherentwöhnung und damit verbundenen Entzugssymptomen zusammenhängen. Post-hoc-Analysen der neuropsychiatrischen Sicherheitsdaten von Plazebo-kontrollierten Studien ergaben wenig Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Vareniclin und neuropsychiatrischen unerwünschten Wirkungen.

Das primäre Ziel der vorliegenden Studie [1] war die Beurteilung der Sicherheit und Verträglichkeit von Vareniclin bei stabilen ambulanten Patienten mit einer Schizophrenie oder schizoaffektiven Störung, die mit dem Rauchen aufhören wollten. Sekundäres Ziel war die Wirksamkeit von Vareniclin bei der Raucherentwöhnung. Die Studie wurde von 12 Forschungszentren in Kanada und den USA in der Zeit von Mai 2008 bis April 2010 durchgeführt.

Studiendesign

Eingeschlossen wurden ambulante Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren mit einer Schizophrenie oder schizoaffektiven Störung nach DSM-IV-TR. Die Teilnehmer rauchten 15 Zigaretten pro Tag, hatten im letzten Jahr keine Phase der Abstinenz über mehr als drei Monate und waren motiviert, das Rauchen einzustellen. Sie waren klinisch stabil und hatten einen Score auf der Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS) von <70. Ausschlusskriterien waren unter anderen psychiatrisch begründeter Krankenhausaufenthalt, ernsthafte Suizidalität, Drogen- oder Alkoholmissbrauch in der Vorgeschichte, klinisch signifikante kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Erkrankung in den vergangenen sechs Monaten, unkontrollierte Hypertonie, vorherige Einnahme von Vareniclin und gleichzeitige Einnahme anderer Mittel zur Raucherentwöhnung. Das Screening beinhaltete eine körperliche Untersuchung, Messung der Vitalparameter, ein EKG, Laboruntersuchungen und eine Urinanalyse.

Geeignete Personen wurden randomisiert im Verhältnis 2:1 einer Behandlung mit Vareniclin oder Plazebo zugeteilt, wobei sie nach dem Typ der antipsychotischen Medikamente stratifiziert wurden. Die Einnahme der Studienmedikation begann am Abend des Einschlusstages. Vareniclin wurde nach der Empfehlung des Herstellers dosiert:

  • Tag 1 bis 3: einmal täglich 0,5 mg
  • Tag 4 bis 7: zweimal täglich 0,5 mg
  • ab Tag 8: zweimal täglich 1 mg

Die Teilnehmer wurden gebeten, das Rauchen acht Tage nach dem Einschluss einzustellen. Klinische Visiten zur Begutachtung der Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung wurden in 8-tägigen Abständen vorgenommen. Dabei wurden ein kurzes (<30 min) Beratungsgespräch zur Raucherentwöhnung geführt, die Vitalparameter untersucht, die Kohlenmonoxid-Konzentration in der Atemluft bestimmt und Änderungen der Begleitmedikation registriert.

Nach 12 Wochen wurde die Studienmedikation abgesetzt. Während der 12-wöchigen Nachbeobachtungsperiode wurden klinische Visiten in den Wochen 13, 16, 20 und 24 durchgeführt. Dazwischen fanden Telefonkontakte statt. In den Visiten wurden die Teilnehmer nach ihren Rauchergewohnheiten befragt, die Kohlenmonoxid-Konzentration in der ausgeatmeten Luft gemessen und ein Beratungsgespräch (<10 min) geführt.

In allen Visiten vom Einschluss bis Woche 24 wurde die Sicherheit mithilfe folgender Beurteilungsinstrumente untersucht:

  • Schweregrad der psychotischen Symptome: PANSS
  • Extrapyramidal-motorische Symptome: Simpson-Angus Rating Scale
  • Suizidalität: Columbia Suicide Severity Rating Scale
  • Globale Beurteilung des Funktionszustands: Clinical Global Impression Scale, Teil Schweregrad der Erkrankung (CGI-S).

Weiterhin wurden die Spontanberichte unerwünschter Wirkungen registriert.

Die Beurteilung der Wirksamkeit beinhaltete eine wenigstens 7-tägige Abstinenz in den Wochen 12 und 24, belegt durch eine Kohlenmonoxid-Konzentration von 10 ppm.

Ergebnisse

Patienten. Insgesamt erhielten 127 Personen wenigstens eine Dosis der Studienmedikation (Vareniclin: n=84, Plazebo: n=43; Intention-to-treat-Population). Insgesamt schlossen 98 Patienten die Studie protokollgemäß ab (Vareniclin: 73% [n=61], Plazebo: 86% [n=37]; p=0,12). Die beiden Behandlungsgruppen unterschieden sich nicht hinsichtlich der demographischen Daten und der Vorgeschichte des Rauchens. Im Mittel rauchten die Vareniclin-Patienten 23,5 und die Plazebo-Patienten 22,3 Zigaretten pro Tag.

Verträglichkeit/Sicherheit. In beiden Gruppen berichtete ein etwa gleich großer Anteil der Patienten unerwünschte Ereignisse (86,9 vs. 83,7% für Vareniclin vs. Plazebo). Die häufigsten unerwünschten Ereignisse unter Vareniclin vs. Plazebo waren Übelkeit (23,8 vs. 14,0%; p=0,25), Kopfschmerz (10,7 vs. 18,6%; p=0,27) und Erbrechen (10,7 vs. 9,3%; p=1,00).

Suizidgedanken wurden von fünf Personen der Vareniclin- und drei der Plazebo-Gruppe berichtet (6 vs. 7%; p=1,0). Weiterhin kam ein Suizidversuch in der Vareniclin-Gruppe vor. In der Vareniclin-Gruppe gab es bei zwei Patienten drei ernsthafte unerwünschte Ereignisse (bei beiden Patienten erhöhte Suizidalität); in der Plazebo-Gruppe trat kein solches ernsthaftes Ereignis auf. Insgesamt beurteilten die Autoren, dass die Suizidalität im Vergleich zu Plazebo unter Vareniclin nicht erhöht war.

Der Anteil der Patienten, die die Studie wegen unerwünschter Ereignisse abbrachen, unterschied sich nicht zwischen Vareniclin und Plazebo (13,1 vs. 9,3%; p=0,77), ebenso der Anteil dieser Patienten, die die Studie wegen neuropsychiatrischen unerwünschten Ereignissen abbrachen (36,9 vs. 32,6%; p=0,70; hier wurden Insomnie, Albträume, Angst und Suizidalität am häufigsten genannt).

Die Scores der Subskalen der PANSS veränderten sich in beiden Gruppen nicht gegenüber den Ausgangswerten. Ebenso gab es keine Verschlechterung der Scores des CGI und der Simpson-Angus Rating Scale. Die extrapyramidal-motorischen Symptome verbesserten sich in beiden Gruppen sogar leicht.

Wirksamkeit. Im Vergleich zu Plazebo-Patienten verzichtete ein statistisch signifikant höherer Anteil der mit Vareniclin behandelten Patienten zur Woche 12 auf das Rauchen (19,0 vs. 4,7%; p=0,046; Abb. 1). Zur Woche 24 bestand noch eine numerische, aber nicht mehr statistisch signifikante Differenz zugunsten von Vareniclin (11,9 vs. 2,3%; p=0,090).

Abb. 1. Sieben-Tage-Punktprävalenz der Raucher-Abstinenz zu den Wochen 12 und 24 (Intention-to-treat-Population) [1]. OR: Odds-Ratio

Nach Ansicht der Autoren zeigt die Studie, dass Vareniclin eine gut verträgliche und wirksame Unterstützung der Raucherentwöhnung bei Rauchern mit einer psychischen Erkrankung ist.

Kommentar

Ein Vergleich der in dieser Studie erreichten Abstinenzraten von psychisch kranken Rauchern (Vareniclin vs. Plazebo: 19 vs. 4,7%) mit denen, die in der Fachinformation für nicht kranke Raucher genannt sind (44 vs. 17,7%), zeigt, wie schwierig die Raucherentwöhnung bei psychisch Kranken ist. Die Differenz erscheint noch gewichtiger, wenn man bedenkt, dass Abstinenz in der vorliegenden Studie als Enthaltsamkeit für sieben Tage, in den Zulassungsstudien jedoch für vier Wochen definiert war.

Es ist gut möglich, dass psychisch Kranke das Medikament länger als 12 Wochen einnehmen müssen, um einen befriedigenderen Erfolg zu erreichen. Die Anwendungshinweise des Herstellers lassen eine längere Behandlung durchaus zu [2].

Quellen

1. Williams JM, et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled study evaluating the safety and efficacy of vareniclin for smoking cessation in patients with schizophrenia or schizoaffective disorder. J Clin Psychiatry 2012;73:654–60.

2. Fachinformation Champix® 0,5 mg/1 mg Filmtabletten (Stand November 2012).

Psychopharmakotherapie 2013; 20(02)