Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS)

Früher Hinweis auf multiple Sklerose?


Dr. Susanne Heinzl, Reutlingen

In der Neurologie werden immer häufiger asymptomatische ZNS-Läsionen entdeckt, die auf eine entzündliche, demyelinisierende Erkrankung hindeuten. Sie werden als radiologisch isoliertes Syndrom (RIS) bezeichnet. Nach bislang vorliegenden Studien entsteht bei rund 33% der RIS-Patienten innerhalb von fünf Jahren und bei 20% innerhalb von zwei Jahren eine klinische Dissemination über die Zeit (DIZ). Die MRT-DIZ-Rate liegt mit 60 bis 90% deutlich höher. Vorschläge zur Verlaufskontrolle wurden bei einem Satellitensymposium von MerckSerono während des DGN-Kongresses Ende September 2012 in Hamburg vorgestellt.

Die Häufigkeit des RIS nimmt aufgrund des zunehmenden Einsatzes der Magnetresonanztomographie (MRT) in der Neurologie (z.B. bei Kopfschmerzen, Migräne, Traumata) immer mehr zu. So ergaben Studien an gesunden Probanden mit MS-Fällen in der Familie (n=88) oder Zwillingsstudien (n=27) eine Prävalenz des RIS von etwa 10%.

Nach wie vor gilt derzeit, dass für die Diagnose einer MS eine klinische Manifestation vorliegen muss. Verschiedene retrospektive Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass das RIS ähnlich wie das klinisch isolierte Syndrom (KIS, CIS) als Präkursor einer MS angesehen werden kann. So entwickelten in einer Studie mit 44 RIS-Patienten 10/30 Patienten (33%) im Mittel nach 5,4 Jahren eine klinische DIZ. Bei 24/41 Patienten (59%) kam es nach durchschnittlich 2,7 Jahren zu einer MRT-basierten DIZ. In einer französischen Kohortenstudie mit 70 RIS-Patienten entstand bei 33% nach 2,3 Jahren CIS. Bei 91% entwickelte sich eine MRT-basierte DIZ. Möglicherweise sind Patienten mit T2-Hyperintensitäten im Rückenmark eine Hochrisikogruppe für RIS, denn in einer retrospektiven Kohortenstudie kam es bei 21/25 RIS-Patienten mit T2-Läsionen im zervikalen Rückenmark zu einem CIS oder einer gesicherten MS.

Gadolinium-aufnehmende Läsionen und Rückenmarksläsionen scheinen einen prognostischen Wert zu haben. Unklar ist derzeit der Wert so genannter „Soft Signs“ bei der MS, wie Fatigue, Blasenstörungen, Uthoff-Phänomen oder Konzentrationsstörungen.

Weil für die Erklärung eines RIS eine Vielzahl von alternativen Diagnosen in Frage kommt, ist eine vorschnelle Diagnose oder ein entsprechend schlecht substantiierter Verdacht unbedingt zu vermeiden. Um einerseits gefährdete Patienten möglichst frühzeitig zu behandeln, andererseits aber eine Übertherapie zu verhindern, müssen Richtlinien für einen Algorithmus zur Verlaufskontrolle und für die Therapieentscheidung entwickelt werden. Ein Vorschlag ist Abbildung 1 zusammengefasst. Dieses Vorgehen kann im Zusammenhang mit der Eindeutigkeit der MRT-Läsionen (beispielsweise sehr hohe Läsionslast, spinale Läsionen, Zeichen bereits vorhandener Neurodegeneration wie Black Holes) und der zusätzlichen Konstellation (wie positive Elektrophysiologie, Soft Signs für MS, positiver Liquor) modifiziert werden.

Abb. 1. Vorschlag für ein Vorgehen zur Verlaufskontrolle bei RIS [nach Wiendl]; DIZ: klinische Dissemination über die Zeit

Quelle

Prof. Dr. Heinz Wiendl, Satellitensymposium „Diagnose Multiple Sklerose. Herausforderungen der frühen Prognose, Diagnose und Therapie“, veranstaltet von MerckSerono im Rahmen des DGN-Kongresses 2012, Hamburg, 28. September 2012.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(02)