Durch Trimipramin induzierte Zwangsstörung


Ingo Haas, Rockenhausen, Renate Grohmann, München, Eckart Rüther, München/Göttingen, und Detlef Degner, Göttingen

Bei einer 21-jährigen Patientin kam es unter der erstmaligen Behandlung mit Trimipramin vier Tage nach einer Erhöhung auf eine Tagesdosis von 50 mg zu einem Neuauftreten einer komplexen Zwangsstörung, die zunächst nicht als unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) gedeutet wurde. Erst nach Absetzen von Trimipramin kam es zum bleibenden Sistieren der Symptomatik. Die Symptomfreiheit hielt auch nach Absetzen der begleitenden Medikation mit Sertralin, Clomipramin und Quetiapin an.
Der Fall wurde im Rahmen des Pharmakovigilanz-Projekts AMSP (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie) dokumentiert und diskutiert. Er stellt unseres Wissens die erste publizierte Fallbeschreibung einer Zwangsstörung als UAW einer Therapie mit Trimipramin dar. In der jüngeren wie älteren Literatur finden sich gelegentliche Hinweise auf Impulskontrollstörungen unter der Therapie mit anderen Antidepressiva. Bei der Behandlung mit atypischen Antipsychotika und insbesondere Clozapin sind Zwangssymptome ebenfalls schon länger bekannt. Es sollte bei der Pharmakotherapie mit Antidepressiva auch auf neu aufgetretene Zwangssymptome geachtet werden.
Schlüsselwörter: Trimipramin, unerwünschte Arzneimittelwirkung, AMSP, Zwangsstörung
Psychopharmakotherapie 2013;20:82–7.

Fallbericht

Die zum Zeitpunkt der Aufnahme 21-jährige Patientin (Tab. 1) wurde mit einem depressiv-suizidalen Syndrom aufgenommen. Sie wurde zunächst 8,5 Wochen vollstationär und im Anschluss 7 Wochen tagesklinisch behandelt.

Tab. 1. Patientin bei Aufnahme

21 Jahre

Depressiv-suizidales Syndrom

Hypothyreose

Keine vorausgegangene Psychotherapie

Bisher keine Einnahme von Psychopharmaka

Eine Woche vor dieser Behandlungsphase war sie bereits vier Tage zur Krisenintervention nach einem Suizidversuch mit Paracetamol erstmalig in stationärer psychiatrischer Behandlung.

Die Patientin war zuvor noch nie in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Therapie gewesen und hatte bislang keine Psychopharmaka eingenommen.

Auf somatischem Gebiet gab sie eine Hypothyreose nicht bekannter Genese an, die mit Levothyroxin zunächst bei Aufnahme 87,5 µg/Tag, später mit 75 µg/Tag und schließlich mit 50 µg/Tag substituiert wurde. Im teilstationären Verlauf trat erstmalig ein Hypertonus auf mit RR-Werten bis 160/100 mmHg, später trotz Betablocker auch bis 190/110 mmHg. Eine Hyperthyreosis factitia bestand nicht.

Die psychiatrische Aufnahmediagnose war zunächst eine Anpassungsstörung, im Verlauf gab es eine Änderung der Diagnose hin zu den Kriterien einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10: F32.1). Die im vollstationären Bereich klinisch zunächst vermutete abhängige Persönlichkeitsstörung wurde zuletzt im Rahmen einer kritischen Überprüfung und umfangreichen Persönlichkeitsdiagnostik in die Diagnose einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD-10: F60.31) modifiziert.

Als auslösend für die Dekompensation mit Suizidversuch vor Aufnahme könnte die Zuspitzung eines über ein Jahr währenden Partnerschaftskonflikts mit Trennung durch ihren Partner angenommen werden. Zudem hatte sie acht Wochen zuvor eine Fehlgeburt in der 10. Schwangerschaftswoche erlitten.

Die pharmakologische Therapie erfolgte initial mit Venlafaxin (z.B. Trevilor®) 37,5 mg/Tag über 10 Tage. Dann wurde sie wegen Alpträumen und Mundtrockenheit auf Trimipramin (z.B. Stangyl®) 25 mg/Tag umgestellt; 16 Tage später wurde die Imipramin-Dosis auf 50 mg/Tag erhöht.

Vier Tage nach der Dosiserhöhung von Trimipramin berichtete die Patientin erstmals über Kontroll- und Zählzwänge, die sie während der Therapieteilnahme behindern würden. Sie würde Erlebnisse in allen Einzelheiten gedanklich mehrfach wiederholen müssen. Auch Gespräche würde sie im Anschluss mehrfach repetieren müssen. Teilweise würde sie sich die Inhalte auch mehr oder weniger laut selbst vorsprechen. In der Toilette müsse sie mehrfach überprüfen, ob sie die Spülung betätigt habe. Beim Blick aus dem Fenster zähle sie immer wieder die Bäume. Sie huste häufiger willkürlich, um zu kontrollieren, ob sie Kopfschmerz habe. Einen solchen Zusammenhang habe sie einmalig bemerkt. Wenige Tage später ergänzte sie, dass sie ihr Schluckverhalten kontrolliere und immer wieder andauernd schlucke, um die Funktion zu überprüfen. All dies beschrieb sie als wesensfremd, unsinnig und störend, könne sich aber nicht dagegen wehren.

Die geschilderten Zwangssymptome wurden zunächst nicht als UAW gedeutet, sondern vielmehr als zusätzliche neue Symptomatik im Rahmen der Depression und der Persönlichkeitsstörung, später erst im weiteren Zeitverlauf als eigenständige Zwangsstörung.

Mit Auftreten der Zwangssymptomatik wurde zusätzlich Quetiapin (z. B. Seroquel®) in wechselnden Dosierungen zwischen 100 und 200 mg/Tag gegeben und erst gegen Ende der gesamten Behandlungsphase auf eine Tagesdosis mit zuletzt 50 mg reduziert.

Nachdem sich nach 21 Tagen Quetiapin-Gabe in einer Dosierung von 200 mg/Tag keine Änderung der Zwangssymptomatik zeigte, wurde die Trimipramin-Dosis auf 100 mg/Tag erhöht.

Nachdem auch unter der Trimipramin-Erhöhung die Zwangssymptome persistierten, wurde acht Tage nach dieser Erhöhung und einen Monat nach Beginn der Zwangssymptome zusätzlich die Gesamtmedikation mit Sertralin (z.B. Zoloft®), zunächst mit einer Tagesdosis von 25 mg, ergänzt. Nach drei Tagen erfolgte eine Erhöhnung der Sertralin-Dosis auf 50 mg/Tag und es trat ein nicht zu unterdrückendes massives Gähnen auf, allerdings war die Patientin anschließend frei von den bisherigen Zwangssymptomen. Das massive Gähnen und eine neu aufgetretene Müdigkeit führten zur Reduktion der Sertralin-Dosis auf 25 mg/Tag. Das Gähnen blieb bestehen und die Patientin berichtete schließlich von neu aufgetretenen Zwangsgedanken, sich sofort einen Mann suchen zu müssen, der sie schwängern solle. Auch diesen Gedanken fand sie unsinnig, aufdrängend und störend.

Aufgrund der unbefriedigenden Situation mit der neuen Zwangssymptomatik wurde Sertralin nach 14-tägiger Einnahmedauer abgesetzt und Trimipramin zunächst auf 50 mg/Tag reduziert und nach weiteren sieben Tagen mit einem Zwischenreduktionsschritt nach insgesamt 70-tägiger Einnahmedauer ebenfalls gänzlich abgesetzt. Parallel mit dem Absetzen des Sertralins wurde eine Behandlung mit Clomipramin (z.B.Anafranil®) begonnen, das sukzessive auf eine Tagesdosierung von zunächst 100 mg erhöht wurde.

Nachdem Trimipramin seit 7 Tagen gänzlich abgesetzt und Clomipramin seit 14 Tagen neu eingesetzt worden war, berichtete die Patientin, frei von Zwangsgedanken zu sein, was für die weitere 7-wöchige Beobachtungszeit im Rahmen der weiteren Behandlung und nach telefonischer Auskunft auch im Anschluss weiter anhielt.

Dabei wurde Clomipramin im teilstationären Bereich und Quetiapin nach Entlassung gänzlich abgesetzt, ohne dass Zwangssymptome wieder auftraten (nach telefonischer Auskunft der Patientin ein Jahr nach Entlassung).

Es gab keine Hinweise auf Drogengebrauch. Im Labor zeigten sich bis auf ein deutlich supprimiertes TSH basal und kurzzeitig erhöhtes T3, was zu einer Reduktion der Levothyroxin-Gabe führte, keine pathologischen Laborparameter. Eine Bildgebung des Kopfes erfolgte auf Wunsch der Patientin nicht.

Diskussion

Dieser Fall wurde im Rahmen des AMSP-Projekts erfasst und in einer AMSP-Fallkonferenz eingehend analysiert.

Trimipramin

Trimipramin ist ein trizyklisches Antidepressivum, chemisch ein Dibenzazepin, welches 1966 auf dem deutschen Markt eingeführt wurde. Strukturverwandt ist es bei gleichem Ringsystem dem Imipramin und hat die gleiche Seitenkette wie das Levomepromazin.

Trimipramin und seine Metaboliten zeigen nach neueren Untersuchungen zumindest eine minimal ausgeprägte Hemmung der Noradrenalin- und Serotonin-Transporter [17] und keine Down-Regulation der postsynaptischen adrenergen Beta-Rezeptoren. Trimipramin unterdrückt nicht den REM-Schlaf, soll ihn sogar zunehmen lassen [5]. Das Nebenwirkungsprofil entspricht dem der anderen trizyklischen Antidepressiva mit ihren anticholinergen und antihistaminergen Wirkungen, allerdings gibt es Hinweise auf ein günstigeres Nebenwirkungsprofil in Bezug auf Kardiotoxizität, Hypotension und Krampfanfallrisiko [15].

Vor diesem Hintergrund wird Trimipramin auch als „atypisches“ Antidepressivum oder Trizyklikum bezeichnet. Außerdem wird es von Gross et al. [16] aufgrund seines Rezeptorenprofils sogar mit Clozapin (z. B. Leponex®) verglichen.

Seine Wirkung ist initial stark dämpfend und angstlösend, später antidepressiv.

Trimipramin wird wie alle trizyklischen Antidepressiva vorwiegend in der Leber metabolisiert (First-Pass-Effekt). Der Metabolismus erfolgt durch Cytochrom P450-2D6. Hauptmetabolit ist Desmethyl-Trimipramin. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 24 Stunden.

Die Dosierungen bei Depressionen sind zu Beginn 25 mg/Tag, eine Steigerung auf 100 bis 150 mg/Tag ist üblich, bei schweren Depressionen auch 300 bis 400 mg/Tag möglich. Die Zulassungen in Deutschland bestehen für Episoden einer Major Depression mit den Leitsymptomen Schlafstörungen, Angst und innere Unruhe. Weiterhin wird Trimipramin off-Label angewendet beziehungsweise gibt es Wirkhinweise bei primären Schlafstörungen, chronischen Schmerzzuständen und Colon irritable. Außerdem gibt es Studien für die Monotherapie der Schizophrenie [11] und der wahnhaften Depression [13] sowie Fallbeschreibungen für die erfolgreiche Behandlung einer therapierefraktären Panikstörung [6] und einer Zwangsstörung [3].

Gross et al. [16] geben das Rezeptorprofil des Trimipramins aufgrund ihrer eigenen Untersuchungen differenziert an: Hohe Rezeptor-Affinitäten für 5-HT2- gleich Alpha1A/B- größer oder gleich für D2-Rezeptoren, mittlere Affinitäten für D1-, Alpha2B- und 5-HT1C-Rezeptoren, geringe Affinitäten für Alpha2A-Adrenorezeptoren sowie für 5-HT1A-, 5-HT1D- und 5-HT3-Rezeptoren. Andere Autoren erwähnen einen Antagonismus am 5-HT3A-Rezeptor [10] und einen Agonismus am 5-HT1C-Rezeptor [21]. Ein starker H1-Antagonismus und eine deutliche Affinität für muskarinische Acetylcholinrezeptoren sind ebenso bekannt [36].

Juorio et al. [23] ermittelte bei Ratten nach zweiwöchiger Trimipramin-Gabe im Gehirn eine erhöhte Konzentration und einen erhöhten Metabolismus von Serotonin und Dopamin sowie eine Reduktion von 5-HT2- und D2-Rezeptoren.

Außerdem ist Trimipramin so wie zahlreiche andere Psychopharmaka ein funktioneller Inhibitor der sauren Sphingomyelinase, die auch mit FIASMA abgekürzt werden. Das Enzym saure Sphingomyelinase (ASM) soll eine erhöhte Aktivität bei Depressionen aufweisen [29, 30].

Holsboer-Trachsler und Holsboer [20] sprechen Trimipramin ferner eine stark supprimierende Wirkung auf die Stresshormonfreisetzung zu, mit einer Dämpfung des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems.

Andere Erklärungsmodelle der vorliegenden Zwangssymptomatik

Es wurden auch andere Erklärungsmöglichkeiten für das De-novo-Auftreten der Zwangssymptomatik diskutiert.

So könnte unter Umständen eine unterschwellige Zwangsstörung schon länger bestanden haben.

Mit oder ohne vorangehende leichte Symptomatik könnte es während des Aufenthalts zur erstmaligen Manifestation einer Zwangsstörung gekommen sein, die, wie nicht unüblich, zu Beginn in der Ausprägung auch ohne Pharmakotherapie fluktuierend sein kann. Als Alter für eine Erstmanifestation wird das 20. bis 25. Lebensjahr angegeben [42], was für diese Patientin zutrifft. Die Kriterien für eine Zwangsstörung nach ICD-10 waren formal nach zwei Wochen erfüllt, weshalb auch am Ende des vollstationären Aufenthalts die Diagnose einer Zwangsstörung nach ICD-10 gestellt wurde.

Das häufig auftretende „Verheimlichungs“-Verhalten kann die Eigenanamnese früherer Symptome oder auch eine Familienanamnese beeinflusst haben. Allerdings sprach die Patientin in der Klinik sehr offen über ihre Zwangssymptome.

Bei der Patientin wurde neben einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert. Für die Komorbidität von Depression und Zwangsstörung werden von Voderholzer und Hohagen [42] Häufigkeiten von über 50% angegeben, andere Autoren sehen Zwangssymptome ohne Komorbidität bei bis zu 40% depressiver Patienten [28].

Auch für den vielfältigen Symptomkomplex einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung sind Zwangssymptome beschrieben worden. Die Komorbidität einer Zwangsstörung und einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung wird von Kapfhammer [24] mit 30% angegeben.

Es gibt neuere Konzeptualisierungen, die unter Berücksichtigung der Komorbiditäten und vor dem Hintergrund von psychopathologischen Querschnittssymptomen, Verlaufsaspekten, ätiologisch relevanten neurobiologischen Daten und therapeutischen Ansätzen ein Modell von Zwangsspektrumstörungen postulieren [24], das traditionell ganz unterschiedlich konzipierte Störungen, wie die Zwangsstörung, neurologische Zwangssymptome und Tics, Essstörungen, sogenannte schizo-obsessive Störungen, Hypochondrie, Impulskontrollstörungen, bis hin zu Borderline- und antisozialen Persönlichkeitsstörungen [19] und andere in ein gemeinsames Modell gruppieren. Darüber hinaus sind im vorliegenden Fall psychodynamische Erklärungen erwägenswert. Die Zwangssymptome der Patientin können im Zusammenhang mit einer erlebten Gefährdung der Zukunftsperspektiven durch die Trennung und die Fehlgeburt und daraus resultierender Ängste verstanden werden. Diese Thematiken waren jedoch mit Abklingen der Zwangssymptomatik nicht abgeschlossen.

Die oben vorgestellten anderen Erklärungsmodelle sind im vorliegenden Fall wenig wahrscheinlich oder stehen auch nicht im Widerspruch zur Rolle des Trimipramins bei der Induktion der Zwangssymptome.

Für eine Erstmanifestation einer „genuinen“ Zwangsstörung gibt es in der Anamnese und in der Katamnese keine Anhaltspunkte und das für eine Zwangsstörung kurze „inselartige“ Fluktuieren bei einer eher insuffizienten spezifischen Pharmakotherapie wäre ziemlich ungewöhnlich. Der zeitliche Zusammenhang des Auftretens der Zwangssymptome zur Trimipramin-Einnahme ist dagegen eindeutig. Die zum Exazerbations-Zeitpunkt massive Zwangssymptomatik wurde 20 Tage nach Beginn der Trimipramin-Einnahme und 4 Tage nach der Dosiserhöhung auf 50 mg/Tag erstmals berichtet, sechs Tage nach Beendigung dieser Medikation war sie bleibend abwesend.

Eine vorübergehende Besserung der Zwangssymptomatik ergab sich unter Sertralin 50 mg/Tag. Unter 25 mg/Tag traten erneut Zwangsgedanken auf. Dabei war die Einnahmedauer des Sertralins recht kurz, 4 Tage mit 25 mg und 2 Tage mit 50 mg täglich bei Angabe der vorübergehenden Remission. Die möglichen Zusammenhänge scheinen komplex, insbesondere da eine Interaktion des Sertralins mit Trimipramin durch Hemmung des CYP2D6 und damit einhergehender Trimipramin-Spiegel-Erhöhung möglich ist. Ein Medikamenten-Spiegel wurde leider zu keinem Zeitpunkt bestimmt, sodass auch die Frage nach einem möglichen „Poor Metabolizer“ offen bleiben muss.

Die dabei zuletzt begleitende Clomipramin-Einnahme war zum Zeitpunkt der Remission für eine Zwangssymptomatik auch unter Hinzurechnung der Sertralin-Gabe recht kurz und niedrig dosiert, was nicht für einen wesentlichen Effekt spricht.

Zudem trat die Zwangssymptomatik auch nach Absetzen des Clomipramins und aller anderen Psychopharmaka nicht wieder auf.

Für eine mögliche iatrogene Hyperthyreose als „Angst-Verstärker“ gab es keine ausreichenden Anhaltspunkte.

Induktion von Zwangssymptomen durch Medikamente

In der jüngeren wie älteren Literatur finden sich, meist in Fallberichten, Hinweise auf Impulskontrollstörungen [4, 9] und Zwangssymptome (z.B. Gähnen [8, 33]) unter der Therapie mit Antidepressiva, insbesondere mit Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI). Klinische Studien bei Erwachsenen sind uns nicht bekannt. Allerdings gibt es inkonsistente Hinweise auf die Auslösung oder Verschlimmerung von Zwangssymptomen durch die intravenöse Gabe von Clomipramin [34].

Auch bei Kindern- und Jugendlichen sind Impulskontrollstörungen unter einer Therapie mit SSRI beschrieben [7, 18].

Zwangssymptome als unerwünschte Arzneimittelwirkung in der Schizophreniebehandlung werden für Clozapin schon seit längerem beschrieben, für die neueren Second-Generation-Antipsychotika (SGA) folgten nach deren Einführung ebenfalls solche Berichte. Eine Übersicht der Untersuchungen und Studien für die Jahre 1990 bis 2002 erarbeiten Lykouras et al. [32]. Es folgten weitere Übersichten und Einzeldarstellungen für Aripiprazol [9a], Clozapin [39], Olanzapin [31], Quetiapin [35, 40], Risperidon [2] und Ziprasidon [26a].

Dabei stellt sich der Zusammenhang eines Auftretens von Zwangssymptomen bei einer Schizophrenie komplexer dar und es werden verschiedene Modelle und Faktoren in diesem Zusammenhang [14] diskutiert wie Komorbidität, Zwangssymptomatik als primäres oder sekundäres Symptom der Schizophrenie, UAW unter Antipsychotika der 2. Generation (SGA) [37, 38], Überschneidungsbereiche von Zwangskrankheit und Schizophrenie, Ähnlichkeiten in der Dysfunktion der neuronalen Netze und Transmittersysteme [41].

Für Quetiapin sind Zwangssymptome auch bei einem Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung [1], bei drei Patienten mit Bipolar-I-Störung [40] und bei einem Patienten mit psychotischer Depression [40] beschrieben.

Für Clozapin wird ein Zusammenhang zur Dauer und Dosis der Behandlung gesehen, bei Olanzapin für die Dosis.

Dabei ist ein interessanter Aspekt, dass für einige SGA sowohl die Induktion von Zwangssymptomen wie auch die erfolgreiche Verwendung als Add-on für therapierefraktäre Zwangsstörungen [27] beschrieben sind, obwohl es sich um die identischen Präparate handelt.

Zwangsstörung und Zwangssymptome

Das zuletzt geschilderte „Paradox“ der SGA ist vielleicht besser verständlich vor dem Hintergrund aktueller Überlegungen, die Zwangsstörung als ein heterogenes Krankheitsbild zu verstehen und Subtypen zu klassifizieren [43]. Diese Subtypen lassen sich faktorenanalytisch und teilweise auch neurobiologisch abgrenzen und zeigen auch unterschiedliche therapeutische Perspektiven.

Neben den durch erfolgreiche Therapieansätze etablierten psychologischen Erklärungsmodellen und den genetischen Hinweisen in Bezug auf Zwangskrankheiten und -symptome gibt es auch auf neurobiologischer Ebene Hinweise auf Normabweichungen.

So sind das vermehrte Auftreten von Zwangssymptomen bei Schädigungen der Basalganglien und des Frontallappens schon länger bekannt, seien sie toxischer, postinfektiöser oder anderer Genese. Die bildgebenden Verfahren erbrachten verschiedene neue Ergebnisse, die zusammenfassend im Modell einer Dysfunktion beziehungsweise Dysbalance kortiko-striato-thalamo-kortikaler Regelkreise konzeptualisiert wurden [24, 25, 42].

Allerdings hat sich gezeigt, dass zwangsassoziierte neuronale Veränderungen auch in anderen Hirnarealen eine Rolle spielen [25].

Serotonerge Projektionssysteme lassen sich in allen genannten Strukturen nachweisen.

Untersuchungen mit Radioliganden mittels SPECT und PET erbrachten bei Zwangserkrankten eine erhöhte Serotonintransporterverfügbarkeit im Mittelhirn und Hirnstamm und eine erhöhte 5-HT2A-Rezeptordichte im Nucleus caudatus.

Auf neurochemischer Ebene wird allgemein von einer serotonergen Dysfunktion ausgegangen [25], wobei dies von einigen Autoren auch als Sekundärphänomen angesehen wird, was zum Beispiel die verzögerte Wirklatenz der SSRI erklären könnte.

Stimulationstests mit dem partiellen Serotonin-Rezeptoragonisten mCPP (meta-Chlorphenylpiperazin) erbrachten insgesamt inkonsistente Ergebnisse. Dieser Agonist schien bei Zwangserkrankten die Zwangssymptome zu verstärken oder zu provozieren, bei Gesunden jedoch nicht [24]. Auch Hinweise auf eine zwangsassoziierte Beteiligung bestimmter Serotonin-(5-HT-)Rezeptoren sind inkonsistent. Die Rezeptoren 5-HT1B, 5-HT1D sowie 5-HT2A und 5-HT2C stehen besonders im Zentrum des Interesses.

Neben dem komplexen serotonergen System sind auch das dopaminerge und das glutamaterge System bei Zwangsstörungen verändert. In diesem Zusammenhang sei auch an die Verknüpfungen des serotonergen Systems mit dem dopaminergen erinnert.

Interessant ist, dass sich sowohl unter Psychotherapie wie unter Pharmakotherapie auf neurobiologischer Ebene eine „Normalisierung“ veränderter Strukturen und Funktionen zeigen ließ.

Zusammenfassung

Wir berichteten über das De-novo-Auftreten einer Zwangsstörung unter Trimipramin und sehen ausreichend Belege für einen wahrscheinlichen kausalen Zusammenhang.

Soweit uns bekannt, wurde bislang noch nicht über Zwangssymptome unter Trimipramin berichtet. Da Zwangssymptome vom Patienten häufig nicht berichtet oder vom Untersucher nicht eindeutig nachgefragt werden, könnte dies eine mögliche Erklärung sein für die bislang fehlenden Hinweise bei diesem seit langem eingeführten Medikament.

Zwangsstörungen sind heterogene Erkrankungen mit Beteiligung verschiedener Strukturen und unterschiedlichen biochemischen Veränderungsprozessen, vor allem der serotonergen, dopaminergen und wohl auch glutamatergen Transmittersysteme.

Für Antidepressiva und SGA sind Impulskontrollstörungen und Zwangsstörungen als UAW bekannt.

Trimipramin teilt mit den meisten SGA einschließlich Clozapin den Antagonismus an 5-HT2- und D2-Rezeptoren.

Für die Induktion von Zwangssymptomen scheint biochemisch ein komplexer Serotoninmechanismus mit Beteiligung weiterer Transmittersysteme insbesondere des Dopamins vorzuliegen.

Bei der Therapie mit Antidepressiva und SGA sollte auf neu aufgetretene Zwangssymptome geachtet werden und beim Auftreten von Zwangsstörungen auch an die mögliche Induktion durch die Psychopharmakotherapie gedacht werden, insbesondere bei geplanten Dosiserhöhungen.

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Ingo Haas, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Pfalzklinikum Rockenhausen, Krankenhausstraße 10, 67806 Rockenhausen, E-Mail: ingo.haas@pfalzklinikum.de

Dr. Renate Grohmann, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität, Nussbaumstraße 7, 80336 München

Prof. Dr. Eckart Rüther, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität, Nussbaumstraße 7, 80336 München und Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen, von-Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen

Dr. med. Detlef Degner, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen, von-Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen

Trimipramine-induced obsessive-compulsive disorder

A 21-year old female patient developed under the initial treatment with trimipramine four days after an increase to a daily dose of 50 mg de novo symptoms of a complex obsessive-compulsive disorder (OCD), which was initially not interpreted as an adverse drug reaction (ADR). After trimipramine was no longer administered, we observed the permanent cessation of OCD symptoms. The relief of symptoms was persistent, even after discontinuation of concomitant medication with sertraline, clomipramine and quetiapine.

The case was documented and discussed in the context of the pharmacovigilance project AMSP (drug safety in psychiatry). It represents, to the best of our knowledge, the first published case report of OCD as an ADR associated with trimipramine. We observed in more recent and also in older literature occasional reports of impulse control disorders in patients treated with other antidepressants. In treatment with atypical antipsychotics and clozapine in particular OCD symptoms are also known. Therapists should pay attention in pharmacotherapy with antidepressants on newly emerged OCD symptoms.

Key words: Trimipramine, obsessive-compulsive disorder, OCD, ADR, AMSP

Psychopharmakotherapie 2013; 20(02)