Simone Reisdorf, Erfurt
Nur etwa jeder zweite Epilepsiepatient erreicht unter der ersten Monotherapie mit einem Antiepileptikum (antiepileptic drug, AED) vollständige Anfallsfreiheit. Ist dies nicht der Fall, soll zunächst vorzugsweise eine alternative Einfachbehandlung mit einem anderen Wirkstoff versucht werden, so die aktuelle DGN-Leitlinie [1].
Studiendaten geben aber durchaus Hinweise darauf, dass eine Zweifachtherapie bereits nach inkomplettem Ansprechen auf die erste Monotherapie sinnvoll sein kann.
Kombiniert behandeln schon nach der ersten erfolglosen Monotherapie?
Interessante Erkenntnisse dazu bietet beispielsweise eine Interimsanalyse von Daten der VITOBA(Vimpat added to one baseline AED)-Studie. In die nichtinterventionelle Studie sollen bis zu 600 Epilepsiepatienten mit fokal beginnenden Anfällen eingeschlossen werden, die unter einer antiepileptischen Monotherapie nicht völlig anfallsfrei geworden sind und deshalb nun nach Ermessen ihres Arztes Lacosamid (Vimpat®) als Zusatztherapie erhalten. Bei der unzureichend wirksamen Basistherapie kann es sich um das erste diesem Patienten jemals verordnete Antiepileptikum oder um ein später im Therapieverlauf verordnetes Antiepileptikum handeln. Gemessen wird die Anfallsrate in den Monaten vier bis sechs seit Studieneinschluss/Beginn der Lacosamid-Gabe, verglichen mit der Anfallsrate in den letzten drei Monaten vor Studieneinschluss („Baseline“).
Nach Einschluss von 109 Patienten und Auswertung der Daten von 99 Patienten wurden nun neben der Drop-out-Rate – dem primären Endpunkt der vorgeplanten Interimsanalyse – auch erste Daten zur Wirksamkeit der Kombinationstherapie mit Lacosamid ermittelt und bekannt gegeben. Demnach wurden 43,4% der Patienten unter der Zweifachkombination mit Lacosamid anfallsfrei. Die am häufigsten eingesetzten Antiepileptika waren Levetiracetam, Valproinsäure, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Carbamazepin und Topiramat. Unter der Zweifachkombination zeigten 64,6% eine mindestens 75%ige Reduktion und 77,8% eine mindestens 50%ige Reduktion der Anfallsrate im Vergleich zum Ausgangswert am Studienbeginn. Besonders hohe Erfolgsraten wurden bei denjenigen Patienten (n=30) erzielt, bei denen Lacosamid zur initialen Monotherapie hinzugegeben wurde: In dieser Subgruppe wurden zwei Drittel (66,7%) der Patienten anfallsfrei; 80,0 bzw. 86,7% erreichten eine mindestens 75%ige bzw. 50%ige Anfallsreduktion.
Die häufigsten unerwünschten Ereignisse in der Studie waren bisher Mattigkeit (11,9%), Schwindel (8,3%) und Übelkeit (4,6%) [2].
Zweierkombination unverträglich? Basismedikation austauschen oder reduzieren
Führt auch eine Kombinationstherapie nicht zum Erfolg, weil sie noch immer unzureichend wirkt oder in einer wirksamen Dosierung nicht verträglich ist, so wird häufig das zuletzt gegebene Zusatzmedikament wieder abgesetzt. Dass stattdessen auch einmal die Wahl des Basismedikaments hinterfragt werden sollte, weil dieses eine wichtige Rolle spielt, legen gepoolte Daten einer retrospektiven Analyse der Zulassungsstudien von Vimpat® nahe.
Hier wurden die Basismedikamente, zu denen Lacosamid hinzugegeben wurde, nachträglich daraufhin eingruppiert, ob sie klassische Natriumkanalblocker (Carbamazepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin, Phenytoin) sind oder nicht. Lacosamid selbst verstärkt selektiv die langsame, nicht jedoch die schnelle Inaktivierung von Natriumkanälen, ist also kein klassischer Natriumkanalblocker.
In der retrospektiven Auswertung zeigte sich unter Lacosamid in der Dosis von 400 mg/Tag sowohl in Kombination mit klassischen Natriumkanalblockern als mit Antiepileptika, die keine Natriumkanäle blockieren, eine signifikante Zusatzwirkung im Vergleich mit Plazebo (p<0,0001). Diese Wirkung kam jedoch deutlicher zum Tragen, wenn die Patienten neben Lacosamid ausschließlich Nicht-Natriumkanalblocker (etwa Valproinsäure, Topiramat, Levetiracetam) erhalten hatten: Dann erreichten 62,3% der Patienten ein 50%iges Ansprechen, verglichen mit 39,9% in der Gruppe mit den klassischen Natriumkanalblockern als Basistherapie. Die Verträglichkeit war in beiden Gruppen ähnlich; mit einer Tendenz zugunsten der Nicht-Natriumkanalblocker, wenn man Therapieabbrüche aufgrund unerwünschter Wirkungen betrachtet [3].
Vor diesem Hintergrund kann bei suboptimal wirkenden Kombinationstherapien mit Lacosamid der Austausch klassischer Natriumkanalblocker gegen Nicht-Natriumkanalblocker als Basistherapie sinnvoll sein. Dazu sollte die „alte“ Basistherapie schrittweise bis auf null reduziert und parallel die „neue“ langsam auftitriert werden (Kreuztitration).
Daneben haben sich in der Praxis weitere Vorgehensweisen zur Therapieumstellung bewährt. Dazu gehört etwa die „1½-Methode“, die Reduktion des Basismedikaments (und eben nicht der Zusatztherapie) auf die halbe Dosis. So lassen sich unerwünschte Wirkungen wie Schwindel oder Kopfschmerz oft reduzieren oder verhindern. Zudem kann durch parallel erfolgende Höherdosierung des Zusatzmedikaments dessen Wirkungspotenzial oft besser ausgeschöpft werden.
Quelle
Prof. Dr. Bernhard Steinhoff, Kehl, Dr. Stephan Arnold, München. Symposium „Neue Leitlinien Epilepsie – Praxisrelevanz in Fallbeispielen“, veranstaltet von UCB Pharma GmbH im Rahmen des DGN-Kongresses, Hamburg, 27. September 2012.
Literatur
1. S1-Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter. In: Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Online-Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie 2012. www.dgn.org/leitlinien-online-2012.html (Zugriff am 10.01.2013).
2. Noack-Rink M, Arnold S, et al. 65. Jahrestagung der American Epilepsy Society (AES), 2. bis 6.12.2011, Baltimore, USA.
3. Sake JK, et al. A pooled analysis of lacosamide clinical trial data grouped by mechanism of action of concomitant antiepileptic drugs. CNS Drugs 2010;24:1055–68.
Psychopharmakotherapie 2013; 20(01)