Schlaganfall

Citicolin ist beim akuten ischämischen Insult nicht wirksam


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Citicolin (CDP-Cholin) hatte bei der Behandlung des akuten ischämischen Insults in einer großen Plazebo-kontrollierten Studie mit fast 2300 Patienten keinen Einfluss auf die Regeneration der Patienten nach 90 Tagen.
Mit einem Autorenkommentar von Prof. H.-C. Diener

Es gibt inzwischen weit über 100 Studien zur neuroprotektiven Therapie des akuten ischämischen Insults, die fast alle negativ ausgegangen sind. Citicolin (CDP[Cytidin-5’-diphosphat]-Cholin) ist essenziell für die Biosynthese von Membranphospholipiden in Neuronen und wird daher als Neuroprotektivum angesehen. Es gibt eine Reihe von kleineren Studien, in denen eine Wirksamkeit von Citicolin nachgewiesen werden konnte. Eine Metaanalyse ergab sogar einen signifikanten Behandlungseffekt für orales Citicolin in Dosierungen zwischen 500 und 2000 mg/Tag bei Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall [1].

Die Wirksamkeit von Citicolin sollte daraufhin in einer großen, prospektiven Phase-III-Studie nachgewiesen werden [2]. Die randomisierte, Plazebo-kontrollierte Studie ICTUS (International citicoline trial on acute stroke) wurde in Deutschland, Portugal und Spanien durchgeführt. Eingeschlossen wurden Patienten mit akutem ischämischem Insult und mittelschweren Beschwerden. Der Symptombeginn durfte maximal 24 Stunden zurückliegen. Alle Patienten erhielten eine bestmögliche Schlaganfalltherapie entsprechend dem örtlichen Vorgehen – einschließlich einer Thrombolyse mit rekombinantem Gewebeplasminogenaktivator (rt-PA [Alteplase]), wenn indiziert. Zusätzlich erhielten sie randomisiert für sechs Wochen

  • Citicolin: in den ersten drei Tagen 1000 mg alle 12 Stunden als intravenöse Infusion, ab Tag 4 zweimal täglich 1000 mg oral (alle 12 Stunden) oder
  • Plazebo: zunächst Infusionen, anschließend Tabletten

Primärer Studienendpunkt war das Ausmaß der Regeneration nach 90 Tagen, ermittelt durch einen globalen Test, der sich aus folgenden drei Skalen zusammen setzte:

  • National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS; Skala zur Erfassung neurologischer Defizite): Score 1
  • Modifizierte Rankin-Skala (mRS; Skala zur Erfassung des Behinderungsgrads): Score 1
  • Barthel-Index (Skala zur Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit bei Aktivitäten des täglichen Lebens): Score 95

Die wichtigsten Sicherheitsendpunkte waren die Häufigkeit von symptomatischen intrakraniellen Blutungen bei Patienten, die mit rt-PA behandelt wurden, eine Verschlechterung des neurologischen Befunds und die Sterblichkeit.

Ergebnisse

Zwischen November 2006 und Oktober 2011 wurden 2298 Patienten in die Studie eingeschlossen, wobei 1148 Patienten der Citicolin-Gruppe und 1150 Patienten der Plazebo-Gruppe zugeteilt wurden. Die Probanden waren im Mittel 73 Jahre alt und hatten einen mittleren Ausgangswert auf der NIHSS-Skala von 15 Punkten. Von Beginn der Symptomatik bis zur Behandlung vergingen im Mittel 6,6 Stunden. 46% der Patienten wurden mit rt-PA behandelt.

Nach der dritten Interimsanalyse, basierend auf den Ergebnissen von 2078 Patienten, untersagte das Sicherheitskomittee eine weitere Rekrutierung von Patienten, da abzusehen war, dass die Studienmedikation erfolglos bleiben wird. Bei den bereits eingeschlossenen Patienten wurden die Behandlung und die Nachbeobachtung wie geplant zu Ende geführt. Anschließend wurden die Daten aller 2298 Patienten ausgewertet. Der primäre Endpunkt wurde in beiden Behandlungsgruppen gleich häufig erreicht. Dies galt auch, wenn eine Shift-Analyse durchgeführt wurde. Auch wenn die einzelnen Outcome-Parameter (modifizierte Rankin-Skala, NIHSS, Barthel-Skala) getrennt betrachtet wurden, ergaben sich keine Unterschiede zwischen den beiden Studiengruppen. Dies betraf sowohl die Intention-to-treat-Analyse als auch die Per-Protokoll-Analyse. Es ergaben sich aber auch keinerlei Unterschiede in den Nebenwirkungen.

Kommentar

Die Ergebnisse dieser großen randomisierten, Plazebo-kontrollierten Studie überraschen nicht. Wie alle anderen Studien zur neuroprotektiven Therapie des akuten ischämischen Insults ist auch diese Studie negativ ausgegangen. Das Ergebnis zeigt zum wiederholten Male, wie gefährlich es ist, basierend auf Phase-II-Studien mit relativ geringen Fallzahlen Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Therapie zu ziehen. Das Beispiel lehrt auch, dass selbst Metaanalysen von Phase-II-Studien mit positivem Ergebnis keinen Voraussagewert für eine große Phase-III-Studie mit ausreichender Probandenzahl haben.

Sehr erstaunlich ist aber die Tatsache, dass Citicolin basierend auf den Phase-II-Daten bereits in einigen Ländern (z.B. Spanien) zur Behandlung des akuten ischämischen Insults zugelassen war. Es steht zu erwarten, dass diese Zulassung jetzt zurückgezogen wird.

Quellen

1. Davalos A, et al. Oral citicoline in acute ischemic stroke: an individual patient data pooling analysis of clinical trials. Stroke 2002;33:2850–7.

2. Dávalos A, et al. Citicoline in the treatment of acute ischaemic stroke: an international, randomised, multicentre, placebo-controlled study (ICTUS trial). Lancet 2012;380:349–57.

Psychopharmakotherapie 2013; 20(01)