Hochdosiertes Capsaicin-Pflaster in der Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen


Ein Erfahrungsbericht mit 58 Patienten

Uwe Kern, Wiesbaden

In Deutschland leiden etwa 8 von 100 Menschen unter neuropathischen Schmerzen, die auf eine primäre Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems zurückzuführen sind. Die Behandlung dieser Schmerzen stellt oftmals eine Herausforderung dar, da Nutzen und Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Seit 2010 ist ein 8%iges Capsaicin-Pflaster zur Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen bei nichtdiabetischen Erwachsenen in der EU zugelassen. Als topische Therapie wirkt das Capsaicin direkt am Entstehungsort des Schmerzes und bewirkt dort letztlich eine reversible Defunktionalisierung der intraepidermalen Schmerzfasern. Dies führt nach einmaliger Anwendung des Pflasters für 30 bis 60 Minuten zu einer bis zu drei Monate anhaltenden signifikanten Schmerzlinderung. Im klinischen Alltag berichten Patienten von einer deutlichen Linderung ihrer Schmerzen und oftmals ist es möglich, die Dosis der bestehenden Schmerztherapie zu reduzieren, was zu verminderten Nebenwirkungen führt. Der Patient nimmt die Reduktion von Schmerz und Nebenwirkungen aber vor allem als deutliche Verbesserung der Lebensqualität wahr, was ihm das Erreichen persönlicher Ziele, wie die Wiederaufnahme eines familiären und sozialen Lebens, ermöglicht.
Schlüsselwörter: Hochdosiertes Capsaicin-Pflaster, neuropathische Schmerzen, topische Therapie, klinische Erfahrung
Psychopharmakotherapie 2012;19: 72–5.

In Deutschland leiden schätzungsweise 8 von 100 Menschen unter chronischen neuropathischen Schmerzen [8], einem Krankheitsbild, das durch brennende, stechende, einschießende oder elektrisierende Schmerzen sowie das häufige Auftreten von Allodynie oder anderen Missempfindungen gekennzeichnet ist. Nach Treede et al. (2008) entstehen neuropathische Schmerzen als direkte Konsequenz aus einer primären Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems entweder auf peripherer oder zentraler Ebene [10].

Die Behandlung von chronischen neuropathischen Schmerzen ist eine Herausforderung für den behandelnden Arzt, da der Einsatz der zur Verfügung stehenden Arzneimittel wie verschiedener Antiepileptika, Antidepressiva und Opioide durch das Auftreten von Neben- oder Wechselwirkungen eingeschränkt sein kann und die tägliche Einnahme von Tabletten eine Herausforderung für die Compliance des Patienten darstellen kann. Zwei Drittel der Patienten geben an, dass kein befriedigendes Therapieziel erreicht wurde [4]. Zudem sind chronische Schmerzpatienten durch das ständige Vorhandensein der körperlichen Pein starken psychischen Belastungen ausgesetzt. Alltägliche Dinge wie Waschen, Sitzen oder Gehen können zur Qual werden. Viele Patienten leiden aufgrund der massiven Schmerzbelastung unter Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit und Erschöpfung. Schmerzpatienten können oft ihren Beruf nicht mehr ausüben und fühlen sich in ihrer Existenz bedroht. All dies schränkt die Lebensqualität erheblich ein und kann zu Depressionen und Ängsten führen. Die Prävalenzrate für depressive Störungen bei chronischen Schmerzpatienten liegt bei etwa 40 bis 50% [6].

In der Behandlung von chronischen neuropathischen Schmerzen ist daher besonders wichtig, auf die persönlichen Therapiewünsche der Patienten einzugehen. Meist steht gar nicht die völlige Schmerzfreiheit, sondern die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund, die dadurch erreicht wird, dass ein Patient beispielsweise durchschlafen oder wieder am sozialen Leben teilhaben kann.

Hochselektiver TRPV1-Agonist wirkt direkt

Seit über einem Jahr ist in der EU ein hochdosiertes kutanes Capsaicin-Pflaster (8%) als neuartiges topisches Therapiekonzept in der Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen (pNP) bei nichtdiabetischen Erwachsenen zugelassen, entweder als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Analgetika. In einem umfassenden klinischen Studienprogramm mit mehr als 2000 Patienten wurden die signifikante Wirksamkeit und gute Verträglichkeit des hochdosierten Capsaicin-Pflaster nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund wurde es in den aktuellen Leitlinien der European Federation of Neurological Societies (EFNS) in die höchste Evidenzklasse A in der Behandlung von postzosterischer Neuralgie sowie der HIV-assoziierten Neuropathie eingestuft [1].

Der Wirkstoff Capsaicin ist ein hochselektiver Agonist am TRPV1-Kanal (TRP: transient receptor potential, Vanilloidrezeptortyp, Subtyp 1), der auf freien nozizeptiven Nervenendigungen vorkommt und bei neuropathischem Schmerz überexprimiert ist [9]. Die topische Applikation ermöglicht ein rasches Eindringen des Capsaicins in die Epidermis zu den schmerzauslösenden Nervenendigungen. Nach einer anfänglichen Aktivierung mit nachfolgender Desensibilisierung der TRPV1-Kanäle kommt es dadurch letztendlich zu einer reversiblen Defunktionalisierung der intraepidermalen Schmerzfasern [5]. Anhand immunfluoreszenzmikroskopischer Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass eine einmalige 60-minütige Applikation des hochdosierten Capsaicin-Pflasters eine Woche nach Exposition eine 80%ige Reduktion der epidermalen Nervenfaserdichte im Vergleich zur Kontrolle bewirkte [7]. Nach 12 Wochen waren die Nervenfasern zu 80% regeneriert, nach 24 Wochen war die Regeneration fast vollständig [5].

Der Vorteil der topischen Anwendung liegt in der Vermeidung von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und dem Ausbleiben systemischer Nebenwirkungen, da fast kein Capsaicin in die Blutbahn gelangt. In klinischen Studien lag nur bei 6% aller Plasmaproben eine nachweisbare Capsaicin-Konzentration von mehr als 0,5 ng/ml vor [2]. Eine populationspharmakokinetische Analyse ergab geometrische Mittelwerte der maximalen Plasmakonzentration Cmax von Capsaicin nach 60-minütiger Pflasterapplikation von 1,38 ng/ml nach 1,46 Stunden [2], wohingegen bei oraler Aufnahme von 26,6 mg Capsaicin die Cmax 2,47 ng/ml betrug und bereits nach 47 Minuten erreicht wurde [3].

Patienten und Anwendung

Die Anwendung des 8%-Capsaicin-Pflasters ist einfach zu erlernen. Sie wird durch einen Arzt oder durch das Pflegepersonal unter Aufsicht eines Arztes durchgeführt. Das Pflaster darf nur auf unversehrter Haut angewendet werden.

Zunächst wird die schmerzhafte Stelle auf der Haut markiert und mit einem topischen Lokalanästhetikum vorbehandelt. Das Pflaster wird auf die benötigte Größe zurechtgeschnitten und dann appliziert. Die Anwendungsdauer beträgt 30 Minuten an den Füßen und 60 Minuten auf den restlichen Körperarealen (Abb. 1). Danach wird das Pflaster entfernt und die Haut mit dem mitgelieferten speziellen Reinigungsgel gesäubert. Bei der Applikation und Entfernung des Pflasters sollen zum Schutz vor dem hautreizenden Wirkstoff Nitrilhandschuhe getragen werden. Alle gebrauchten Utensilien sollten verpackt als medizinischer Abfall entsorgt werden.

Abb. 1. Die Anwendung des hochdosierten Capsaicin-Pflasters

Falls behandlungsbedingte Schmerzen an der Applikationsstelle auftreten, können diese meist durch örtliche Kühlung beherrscht werden. Bestehen weiterhin Schmerzen, können diese mit oraler Gabe eines rasch wirksamen Analgetikums behandelt werden. Bei Bedarf kann die Anwendung des hochdosierten Capsaicin-Pflasters alle 90 Tage wiederholt werden.

Der Autor berichtet hier von seinen klinischen Erfahrungen mit 58 Patienten mit chronischen neuropathischen Schmerzen unterschiedlicher Ursachen (Tab. 1), die mit dem hochdosierten Capsaicin-Pflaster ein- oder mehrmals behandelt wurden (Tab. 2). Die Schmerzerfassung und -dokumentation umfasste unter anderem die visuelle Analogskala (VAS), einen Schmerzfragebogen (DGS), eine Untersuchung auf mechanisch-dynamische Allodynie und Pin-prick-Allodynie, die Erfragung von Kälte- und Wärme-Allodynie und die anamnestische Erhebung des Schmerzcharakters. Im Rahmen dieses Erfahrungsberichts beschränken die Ausführungen zu Schmerzstärke und Verlauf sich auf die VAS-Dokumentation.

Tab. 1. Verteilung der Diagnosen bei den 58 Patienten mit peripherer Neuropathie

Diagnose

n (%)

Postzosterische Neuralgie (PZN)

25 (43 %)

Mononeuropathie

10 (20 %)

Postoperativ/posttraumatisch

9 (16 %)

Polyneuropathie (PNP)

4 (7 %)

Postdiskotomie-Syndrom/FBSS

4 (7 %)

Andere

6 (10 %)

FBSS: Failed back surgery syndrome

Tab. 2. Häufigkeit der Anwendung des hochdosierten Capsaicin-Pflasters

Behandlungshäufigkeit

n (%)

1-fach

42 (72 %)

2-fach

11 (19 %)

3-fach

4 (7 %)

4-fach

1 (2 %)

Ergebnisse

Wirksamkeit

24 Stunden nach Applikation des Capsaicin-Pflasters wurde eine signifikante durchschnittliche Schmerzreduktion gegenüber Baseline auf der visuellen Analogskala (VAS) beobachtet, die auch weiterhin bis Tag 30 und 90 bestand. Ein Follow-up war bei 48 der 58 Patienten möglich. 30 Tage nach Pflasterapplikation ergab sich eine durchschnittliche signifikante Schmerzreduktion, gemessen anhand der visuellen Analogskala, um 19,8% (p<0,001) gegenüber Baseline. 29,2% der Patienten berichteten über eine Schmerzreduktion um mindestens 30%.

Vor der Behandlung mit dem Capsaicin-Pflaster erhielten 56,9% der Patienten Opioide, 43,1% Antikonvulsiva und 10,3% Antidepressiva zur Schmerzbehandlung. Durch das gute Ansprechen auf die topische Therapie konnte 30 Tage nach Applikation bei 32% der Patienten, die Opioide und bei 16% der Patienten, die Antikonvulsiva erhielten, die Dosis dieser Analgetika reduziert oder sogar ganz auf deren Gabe verzichtet werden. 90 Tage nach Applikation lagen diese Werte bei 32% bzw. 6%. Lediglich bei einem Patienten musste die Dosis der zusätzlichen Analgetika während der Studiendauer erhöht werden.

Verträglichkeit

Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren behandlungsbedingtes Erythem und Brennschmerzen an der Applikationsstelle. 60 Minuten nach Applikation zeigte sich bei 13 Patienten keine Veränderung oder sogar schon eine Verbesserung auf der visuellen Analogskala, während bei den restlichen Patienten ein Anstieg zwischen 1 und 9 Punkten beobachtet wurde. 31 Patienten erhielten zur Behandlung dieser Schmerzen Metamizol 1 bis 2 g und 12 Patienten wurden mit Piritramid 3,75 bis 15 mg behandelt. Mit zunehmender Behandlererfahrung konnte jedoch erreicht werden, dass mittlerweile weniger als 5% der Patienten eine Schmerzbehandlung mit Piritramid benötigen.

Die Rötungen und Schmerzen waren jedoch nur vorübergehend. Sechs Stunden nach Applikation erreichten die VAS-Werte wieder Baseline-Niveau.

Patientenzufriedenheit

Die Patienten wurden 30 bzw. 90 Tage nach der Behandlung mit dem hochdosierten Capsaicin-Pflaster nach ihrer Zufriedenheit befragt (Schulnoten 1 bis 6). Dabei gaben mehr als 60% aller Patienten an, dass sie die Behandlung bei Bedarf wieder wählen würden. Bei den Patienten, die durch die Behandlung eine Reduktion ihrer Schmerzen von ≥30% auf der visuellen Analogskala erfahren hatten, waren es 80% (Abb. 2).

Abb. 2. Patienten, die die Behandlung mit dem hochdosierten Capsaicin-Pflaster bei Bedarf wieder wählen würden; VAS: visuelle Analogskala

Für viele der Patienten war es besonders eindrucksvoll, dass mit einer einmaligen Behandlung sowohl die Schmerzen als auch die Dosis ihrer bestehenden Medikation reduziert werden konnten, was in manchen Fällen zusätzlich in einer Abnahme der Nebenwirkungen der bestehenden Medikation resultierte. Durch die Schmerzlinderung sowie das Zurückgehen von Nebenwirkungen wurde die Lebensqualität verbessert.

Diskussion

Periphere neuropathische Schmerzen sind in der Regel schwer zu kontrollieren. Basis einer erfolgreichen Behandlung sollte das Festlegen realistischer Therapieziele gemeinsam mit dem Patienten sein. Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) sind realistische Therapieziele bei neuropathischen Schmerzen neben einer Schmerzreduktion um >30 bis 50% vor allem die Verbesserung von Schlaf- und Lebensqualität sowie der Erhalt sozialer Aktivität und Arbeitsfähigkeit. Als neue topische Therapie steht seit 2010 ein hochdosiertes Capsaicin-Pflaster zur Verfügung, das nach einer einmaligen 30- bzw. 60-minütigen Anwendung eine dreimonatige Schmerzlinderung ermöglicht. Dadurch wird der Patient nicht zusätzlich durch die tägliche Einnahme eines weiteren Arzneimittels belastet, denn meist besteht die Therapie neuropathischer Schmerzen aus einer Kombination von mehreren Arzneimitteln. Im klinischen Alltag zeigt das hochdosierte Capsaicin-Pflaster seine Wirkung bei vielen Patienten, egal ob es als Monotherapie oder als Begleitmedikation eingesetzt wird, und kann so zum Erreichen der persönlichen Therapieziele und damit zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Einzelne Patienten profitierten sehr durch eine verbesserte körperliche Belastbarkeit (z.B. wieder mögliche Gartenarbeit) oder Reduktion der Schmerzauslösung durch Kleidungsstücke im Alltag. Auch durch möglich gewordene Dosisverringerungen der Begleitmedikation konnten Nebenwirkungen reduziert werden, was einen zusätzlichen Benefit darstellt.

Interessenkonflikterklärung

Der Autor hat Beraterfunktion bei den Firmen Astellas, Berlin Chemie, Boehringer Ingelheim, betapharm, Grünenthal, medi Bayreuth und Mundipharma

Literatur

1. Attal N, Cruccu G, Baron R, Haanpää M, et al. EFNS guidelines on the pharmacological treatment of neuropathic pain. 2010 revision. Eur J Neurol 2010,17:1113–23.

2. Babbar S. Pharmacokinetic analysis of capsaicin after topical administration of a high concentration capsaicin patch to patients with peripheral neuropathic pain. Ther Drug Monit 2009;31:502–10.

3. Derry S, Lloyd R, Moore RA, McQuay HJ. Topical capsaicin for chronic neuropathic pain in adults (review). Cochrane Database Sys Rev 2009;4:CD007393.

4. Jensen Troels S, Madsen Caspar S, et al. Pharmacology and treatment of neuropathic pains. Curr Opin Neurol 2009;22:467–74.

5. Kennedy WR, Vanhove GF, Lu S, Tobias J, et al. A randomized, controlled, open-label study of the long-term effects of NGX-4010, a high-concentration capsaicin patch, on epidermal nerve fiber density and sensory function in healthy volunteers. J Pain 2010,11: 579–87.

6. Manchikanti L, Fellows B, Singh V. Understanding psychological aspects of chronic pain in interventional pain management. Pain Physician 2002;5:57–82.

7. Miller MS, Buck SH, Sipes GI, Yamamura HI, et al. Regulation of substance P by nerve growth factor: Disruption by capsaicin. Brain Res 1982;250:193–6.

8. Neuropathic Pain Network. www.neuropathicpainnetwork.org/emglish/index. asp, Stand 23.10.2009.

9. Palazzzo E, Rossi F, Maione S. Role of TRPV1 receptors in descending modulation of pain. Mol Cell Endocrinol 2008;286S:S79–83.

10. Treede RD, Jensen TS, Campbell JN, Cruccu G, et al. Neuropathic pain – Redefinition and a grading system for clinical and research purposes. Neurology 2008;70:1630–5.

Dr. med. Uwe Kern, Schmerzzentrum Wiesbaden, Langenbeckplatz 2, 65189 Wiesbaden, E-Mail: u.kern@schmerzzentrum-wiesbaden.de

Treatment of peripheral neuropathic pain with capsaicin 8% patch

Eight out of 100 Germans are suffering from neuropathic pain, originating from a primary lesion or disease of the somato-sensoric system. Treatment of neuropathic pain is often challenging as benefit and side effects of a therapy have to be balanced. Since 2010, an 8% capsaicin dermal patch is approved in the EU for the treatment of peripheral neuropathic pain in non-diabetic adults. As a topical treatment the active substance capsaicin is acting directly at the origin of the pain. Capsaicin causes a reversible desensitation of the intradermal nerve fibres. Therefore, a single 30 to 60 min application of the patch provides rapid and sustained pain relief for up to three months.

In a daily clinical routine patients report of a significant pain relief and often it is possible to reduce the dose of the concomitant medication, resulting in reduced side effects as well as reduced drug costs. For the patient reduction in pain and side effects mainly means an improvement of quality of life which enables him to reach his personal therapeutic goals such as having a family life again.

Key words: Capsaicin dermal patch, neuropathic pain, topical treatment, clinical experience

Psychopharmakotherapie 2012; 19(02)