Epilepsie bei Kindern

Weniger als die Hälfte der Kinder nehmen ihre Antiepileptika vorschriftsmäßig ein


Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

In einer amerikanischen Beobachtungsstudie wurde die Arzneimittel-Adhärenz bei 124 Kindern mit einer neu diagnostizierten Epilepsie untersucht. Das Ergebnis ist erschreckend: nur 42% der Kinder nahmen ihre Arzneimittel nahezu perfekt ein. 13% der Kinder nahmen bereits nach wenigen Wochen praktisch keine Antiepileptika mehr ein. Einziger statistisch signifikanter Prädiktor für eine schlechte Adhärenz war ein niedriger sozioökonomischer Status, andere Faktoren wie die Anfallshäufigkeit oder die Verträglichkeit der Arzneimittel hatten dagegen keinen signifikanten Einfluss. Gezielte Schulungen, die sich an den Adhärenzmustern orientieren, könnten helfen, die Adhärenz zu verbessern.

Wenn Patienten mit Epilepsie ihre Arzneimittel nicht jeden Tag korrekt einnehmen (Non-Adhärenz), sei es in Bezug auf die verordnete Dosis oder die Einnahmefrequenz, drohen ernste Komplikationen wie ein vermehrtes Auftreten von Anfällen und eine erhöhte Sterblichkeit. Bei erwachsenen Epileptikern wurden die Ursachen, Prädiktoren und Verhaltensmuster der Non-Adhärenz bereits gut untersucht. Darüber, wie Kinder mit einer neu diagnostizierten Epilepsie ihre Arzneimittel einnehmen, ist dagegen noch wenig bekannt. Bei ihnen müssen altersspezifische Faktoren, die mit dem Entwicklungsprozess zusammenhängen (z.B. Trotzphase, Pubertät), und der Einfluss von Eltern und Geschwistern berücksichtigt werden. Sollte es gelingen, herauszufinden, welche Kinder besonders anfällig für eine Non-Adhärenz sind, könnte man rechtzeitig gezielt intervenieren.

In einer prospektiven, longitudinalen monozentrischen Beobachtungsstudie wurde daher die Adhärenz bei Kindern genauer untersucht: analysiert wurde, welche Verläufe (Adhärenzmuster) auftreten und durch welche soziodemografischen und krankheitsspezifischen Prädiktoren die Adhärenz beeinflusst wird.

Methodik

Einbezogen wurde eine konsekutive Kohorte von 124 Kindern im Alter zwischen 2 und 12 Jahren, bei denen in einem Kinderkrankenhaus im Bundesstaat Ohio (USA) eine Epilepsie neu diagnostiziert wurde. Kindern mit einer fokalen Epilepsie wurde Carbamazepin verordnet, Kinder mit allen anderen Formen einer Epilepsie erhielten Valproinsäure. Beide Medikamente sollten zweimal täglich eingenommen werden. Die Arzneimittel wurden in speziellen Behältern abgegeben, mithilfe derer die Adhärenz elektronisch überwacht werden konnte: durch einen mikroelektronischen Schaltkreis im Deckel der Arzneimittelflaschen wurde erfasst, wann die Flaschen geöffnet und wieder verschlossen wurden. Den Patienten wurde versichert, dass die Überwachung ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken diene und dass die Daten vertraulich behandelt würden, der behandelnde Arzt erfuhr sie nicht. Der Beobachtungszeitraum betrug sechs Monate.

Ergebnisse

Unter den verschiedenen anzunehmenden Verlaufsmustern der Adhärenz konnten fünf Muster verifiziert werden: eine fast perfekte Adhärenz, eine leichte Non-Adhärenz, eine mäßige Non-Adhärenz, eine schwere verzögert einsetzende Non-Adhärenz und eine schwere früh einsetzende Non-Adhärenz (Abb. 1).

Abb. 1. Verschiedene Adhärenzmuster: eine fast perfekte Adhärenz (a), eine leichte Non-Adhärenz (b), eine mäßige Non-Adhärenz (c), eine schwere verzögert einsetzende Non-Adhärenz (d) und eine schwere früh einsetzende Non-Adhärenz (e) [Modi et al.]

In den ersten sechs Behandlungsmonaten zeigten nur 42% der Patienten eine fast perfekte Adhärenz (Tab. 1). Bis zum Ende des Beobachtungszeitraums waren also bereits 58% der Patienten nicht mehr adhärent. Das patiententypische Adhärenzmuster war bei den meisten Patienten bereits nach rund einem Monat der Behandlung zu erkennen.

Tab. 1. Häufigkeit des Auftretens verschiedener Adhärenzmuster

Adhärenzmuster

Häufigkeit [%] (95%-Konfidenzintervall)

Fast perfekte Adhärenz

42 (33–50)

Leichte Non-Adhärenz

26 (19–34)

Mäßige Non-Adhärenz

13 (8–20)

Schwere verzögert einsetzende Non-Adhärenz

7 (3–12)

Schwere früh einsetzende Non-Adhärenz

13 (8–20)

Der einzige Prädiktor, der mit der Zuordnung eines Patienten zu einem der fünf Muster assoziiert war, war der sozioökonomische Status, wobei ein niedriger sozioökonomischer Status mit einem höheren Grad der Non-Adhärenz assoziiert war. Dagegen hatten krankheitsspezifische Variablen (z.B. Epilepsieform, Anfallshäufigkeit) oder Nebenwirkungen der Antiepileptika keinen Einfluss auf die Adhärenz.

Adhärenzmuster

In der Gruppe mit der nahezu perfekten Adhärenz (Abb. 1a) wurden regelmäßige Einnahmequoten von 90% erreicht. Meist war die Einnahme der Antiepileptika in eine feste Familienroutine eingebunden, etwa nach dem Zähneputzen oder bei einer Mahlzeit.

Kinder mit leichter Non-Adhärenz (Abb. 1b) nahmen ihre Medikation an durchschnittlich 85% der vorgesehenen Zeitpunkte. Bisher ist nicht bekannt, ob eine solche Adhärenzquote ausreicht, um einen epileptischen Anfall zu verhindern. In der antihypertensiven Therapie kann das Therapieziel mit einer Adhärenz von 80% bereits voll erreicht werden, dagegen muss bei der antiretroviralen Therapie eines HIV-Infizierten eine Adhärenz von 95% erreicht werden, um die Wirkung der Virustatika aufrechtzuerhalten. Ob eine Adhärenz von 80% bei Epileptikern ausreicht, um Anfälle zu verhindern, dürfte von den Halbwertszeiten der eingesetzten Wirkstoffe und den interindividuellen Schwankungen der Serumspiegel abhängen. Daher sehen die Autoren der Studie auch in der leichten Non-Adhärenz einen Grund zur Intervention. Auch bei Epileptikern mit einer 85%igen Adhärenz sollte zumindest im Rahmen von Routineuntersuchungen auf die Wichtigkeit einer absolut regelmäßigen Einnahme der Medikamente hingewiesen werden.

In der Gruppe mit einer mäßigen Non-Adhärenz (Abb. 1c) ergab sich eine mittlere Adhärenzrate von 70%, die Einnahme der Medikation schwankte von Tag zu Tag unterschiedlich stark. Hier dürften Vergesslichkeit und Medikamentenpausen während des Urlaubs oder am Wochenende die wichtigste Rolle spielen. Eine Beratung bei solchen Adhärenzproblemen sollte in erster Linie darauf abzielen, Einnahmeroutinen einzuüben, die strikt durchgehalten werden müssen.

Bei Kindern mit einer schweren verzögert einsetzenden Non-Adhärenz (Abb. 1d) lag im ersten Monat noch eine gute Adhärenz (>90%) vor, sie ging dann aber sukzessive zurück und lag im sechsten Behandlungsmonat nur noch bei etwa 20%. In dieser Gruppe könnte zunächst eine versehentliche kurzfristige Non-Adhärenz vorgelegen haben (z.B. Vergessen einzelner Einnahmen); weil sich dadurch aber dennoch keine Anfälle ereigneten, sahen die Erziehungsberechtigten offenbar von einer weiteren Medikation ab.

Kinder mit einer schweren früh einsetzenden Non-Adhärenz (Abb. 1e) nahmen bereits im ersten Monat nur etwa 25 bis 50% der verordneten Arzneimittel und in den folgenden Monaten fast gar nichts mehr ein. Hier dürften sich vor allem die Eltern aktiv gegen die Medikation ausgesprochen haben, sei es, dass sie der Diagnose nicht trauten oder keinen Sinn oder Nachteile in der Medikation sahen. In beiden Gruppen mit einer schweren Non-Adhärenz sind Schulungen dringend erforderlich.

Diskussion

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Non-Adhärenz bei Kindern mit einer neu diagnostizierten Epilepsie ein größeres Problem ist als bisher angenommen. Frühere Studien, in denen die Adhärenz anhand der Selbstauskunft der Patienten ermittelt wurde, ergaben eine Non-Adhärenz bei 12 bis 35% der Kinder. In der vorliegenden Studie, die prospektiv mit einem elektronischen Messverfahren an einem homogenen Patientenkollektiv durchgeführt wurde, waren lediglich 42% der Patienten fast perfekt adhärent, während 58% der Patienten als non-adhärent galten. Das Ausmaß der Non-Adhärenz korrelierte mit dem sozioökonomischen Status – je niedriger dieser war, desto schlechter war die Adhärenz. Weder die Erkrankung noch die Verträglichkeit der Arzneimittel hatte einen Einfluss auf die Adhärenz. Nicht untersucht wurde der Einfluss psychosozialer Faktoren; hierzu zählen beispielsweise psychische Störungen (z.B. Angst, Depression, oppositionelles Verhalten, Aufmerksamkeitsdefizit), eine Stigmatisierung der Patienten aufgrund der Epilepsie und das Wissen über die Erkrankung.

Ein Zusammenhang zwischen dem Adhärenzmuster und dem Auftreten von epileptischen Anfällen konnte aufgrund der kurzen Studiendauer von sechs Monaten nicht ermittelt werden.

Quelle

Modi AC, et al. Patterns of nonadherence to antiepileptic drug therapy in children with newly diagnosed epilepsy. JAMA 2011;305:1669–76.

Psychopharmakotherapie 2011; 18(04)