Zu Recht wurde in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass Patienten, die über Schmerzen klagen, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. In diesem Zusammenhang wurde auch auf eine Unterversorgung von Schmerzpatienten hingewiesen. Es sollten Schmerzzentren in Deutschland entstehen und es wurden 1500 solcher Zentren gefordert (Huber), die mit Ärzten für Schmerztherapie besetzt werden sollten, so dass kein unter Schmerzen Leidender unzureichend behandelt wird. So jedenfalls lautet die Parole.
Andererseits wird wegen der sehr unterschiedlichen Schmerzformen und Schmerzpatienten gefordert, dass keine vernünftige Behandlung chronischer Schmerzzustände ohne eine psychiatrische, nervenärztliche Beteiligung möglich sein soll. Letzteres wird meiner Ansicht nach immer wichtiger.
Dass es Patienten gibt, die Schmerzmittel fordern, ohne einen entsprechenden körperlichen Befund zu haben, ist bekannt. Es ist darauf hinzuweisen, dass es Schmerzmittelabhängigkeit nach wie vor gibt, die besonders dort auftritt, wo sich Nichtpsychiater alleine um Schmerzpatienten kümmern. Schmerzmittelabhängigkeit war und ist ein bekanntes Krankheitsbild, es wird aber – allem Anschein nach – immer weniger diagnostiziert, vermutlich weil sich zu viele „Fachfremde“ der Schmerztherapie annehmen. Schmerztherapeuten sind vermutlich vorwiegend Anästhesisten, die zwar mit Schmerzmitteln umgehen können, aber unter Umständen das süchtige Verhalten bei ihren Patienten übersehen.
Aus meiner Beobachtung seit 1996 in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis und einer Tätigkeit in einer Privatklinik seit über 12 Jahren sieht es beispielsweise folgendermaßen aus:
- Von 46 Patienten mit der führenden Diagnose „Schmerz“ wurden 12 Patienten vorher mit Schmerzmitteln so „versorgt“, dass man als Psychiater eine Schmerzmittelabhängigkeit diagnostizieren musste.
- Bei diesen 12 Patienten handelt es sich um Kranke, die, wie sich zeigte, auf dem üblichen Schmerztherapieweg von oralen Medikamenten über Pflaster schließlich bei Opiat-Injektionen landeten. Es wurde also keine Behandlung lege artis durchgeführt, sondern eine nicht indizierte Verordnung von Schmerzmitteln, die schließlich zu einem gravierenden Abhängigkeitssyndrom geführt hat.
Dieses Problem wird besonders deutlich, wenn man beispielsweise die schmerztherapeutische Behandlung der Fibromyalgie betrachtet („Das Fibromyalgie-Syndrom – Dilemma zwischen Leitlinie und Versorgungsrealität“, Ursula Marschall und Andreas Wohlig in: Barmer GEK-Gesundheitswesen aktuell 2010, herausgegeben von Uwe Reppschläger et al. Wuppertal 2010, S. 212–38). Danach erhielten 48% der Patienten Antirheumatika, 11% starke Opiate, entgegen der ausdrücklichen Leitlinienempfehlung.
Hier ist meiner Ansicht nach Gefahr im Verzuge. Studien wie die eben genannte sollten an anderer Stelle nachgemacht werden.
Prof. Dr. med. Fritz Reimer, Nervenarzt, Psychotherapeut, Bahnhofstraße 10, 74189 Weinsberg
Psychopharmakotherapie 2011; 18(04)