Prof. Dr. Gerd Laux, Wasserburg a. Inn
Der diesjährige APA-Kongress verlangte den Teilnehmern eine weite Anreise ab. Das Meeting umfasste ein wie immer umfangreiches Programm bestehend aus 96 Symposien, 122 Workshops, 53 Kursen, 25 Lectures und 17 Seminaren. Geboten wurde ein bunter Themenstrauß, vor allem zu den Themen Health Services, Psychotherapie, Abusus, posttraumatische Belastungsstörung, transkulturelle Psychiatrie, forensische Psychiatrie, Sozial- und Gemeindepsychiatrie, Neuroethik, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD), Plazebo-Problematik, Teaching Residents, therapieresistente Depression, bipolare Störungen, Supervision und DSM-5. Hervorzuheben ist der neue Akzent der Militär-Psychiatrie: mehr als 200 Psychiater in der US-Armee „play a critical role in keeping soldiers in their families healthy and resilient“, ergänzt durch Hunderte von „contract psychiatrists working in army treatment facilities“. Zu den interessantesten Veranstaltungen gehörten das Symposion über „Benefits and risks of broadening the concept of bipolar disorder“ sowie die Lecture von Nancy Andreasen „A journey into chaos: Creativity and the unconscious“. Unübersehbar war ein Wiedererstarken der psychodynamischen Psychotherapie im Zeitalter von Neuroscience. In einem diesbezüglichen Symposion wurde überraschenderweise als einziger empirischer Beleg die (methodisch fragwürdige) deutsche Studie von Leichsenring (da amerikanisch publiziert [Am J Psychiatry 2009;166:875–81] angeführt.
Breit wurden die Klassifikationen von Persönlichkeitsstörungen in DSM-5 diskutiert. Zu den emotional-kulturellen Höhepunkten zählte die Gastlecture von Bischof Tutu.
Waren die früheren APA-Kongresse mit über 20000 Teilnehmern eine Großveranstaltung, so war die diesjährige Teilnehmerzahl im großen Hawaii Convention Center überschaubar – in großen Vortragssälen fanden sich bei einigen Symposien nur wenige Teilnehmer. Posterpräsentationen fanden nur marginal statt, das APA-Daily-Bulletin bestand aus jeweils 8 Seiten, davon 6 Seiten Pharma-Werbung.
[Foto: G. Laux]
Aufgrund der neuen Regularien waren in einem separaten Raum nur zwei Satelliten-Symposien der pharmazeutischen Industrie zugelassen – sie mussten wegen Überfüllung geschlossen werden. Ein bemerkenswertes Symposion befasste sich mit dem Rückgang der Entwicklung von Psychopharmaka: Etliche pharmazeutische Unternehmen haben ihre Psychopharmakaentwicklung zugunsten der Entwicklung von Medikamenten anderer Medizindisziplinen aufgegeben.
In der überschaubaren Ausstellungshalle wurden fünf neue Psychopharmaka vorgestellt:
- Lurasidon (Latuda®), ein atpyisches Neuroleptikum mit D2/5-HT2A-Antagonismus,
- die Antidepressiva Desvenlafaxin (Pristiq®) und Vilazodon (Viibryd®) – alle mit nichtinnovativen, bekannten Wirkungsmechanismen,
- das monatlich zu applizierende Naltrexon-Depot (Vivitrol®) zur Rückfallprophylaxe der Opioid-Abhängigkeit (zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit ist es in den USA bereits seit 2006 zugelassen) sowie
- das jetzt auch in Deutschland zugelassene Antimanikum Asenapin, das in den USA als atypisches Antipsychotikum auch zur Schizophrenietherapie zugelassen ist (Saphris®).
Perspektivisch zeichnet sich somit ein Wandel der APA-Kongressthemenschwerpunkte ab in Richtung Versorgung und Mental Health/Sozialpsychiatrie; Themenschwerpunkt des Kongresses 2012 in Philadelphia wird „ Integrated Care“ sein. Es scheint, dass Europa die „neue Welt“ psychiatrisch eingeholt hat.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(04)