Abdol A. Ameri, Weidenstetten
Wenngleich die schubförmige multiple Sklerose (MS) mit den seit vielen Jahren etablierten immunmodulatorischen Basistherapeutika (Interferon beta, Glatirameracetat) bei vielen Patienten über lange Zeit gut kontrolliert werden kann, sind die langfristigen Therapieerfolge mit diesen Wirkstoffen nicht optimal: die Schubrate wird durch die Standardtherapeutika nur um durchschnittlich etwa 30% gesenkt und die Interferon-Präparate verursachen bei bis zu 75% der Patienten grippeähnliche Symptome, die die Lebensqualität beeinträchtigen [1].
Natalizumab (Tysabri®) kann bei Patienten mit anhaltend hoher Krankheitsaktivität unter einer Basistherapie als Therapieeskalation eingesetzt werden. Der Antikörper verhindert die transendotheliale Migration von Entzündungszellen durch die Blut-Hirn-Schranke und somit die Entstehung von Entzündungsherden und Demyelinisierungen im zentralen Nervensystem.
In der Plazebo-kontrollierten, randomisierten AFFIRM-Studie (Natalizumab safety and efficacy in relapsing remitting multiple sclerosis trial) war die jährliche Schubrate in den ersten beiden Jahren der Behandlung unter Natalizumab signifikant um 68% niedriger als unter Plazebo (p<0,001). Je höher die jährliche Schubrate zu Studienbeginn war, desto stärker war die Wirksamkeit von Natalizumab auf die Schubrate. Auch das Risiko für eine anhaltende Behinderungsprogression wurde durch Natalizumab gegenüber Plazebo signifikant gesenkt. Unter Natalizumab waren insgesamt 36,7% der Patienten frei von jeglicher Krankheitsaktivität, sie hatten also weder eine klinische noch eine radiologische Krankheitsaktivität [2, 3].
Risikomanagement
Bisher wurden weltweit fast 80000 Patienten mit Natalizumab behandelt. Bis zum 1. April 2011 wurden 111 Fälle einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) unter der Therapie mit Natalizumab gemeldet. Die Letalität dieser Viruserkrankung liegt bei 20% [4].
Eine genaue Analyse bisheriger PML-Fälle ergab, dass eine vorherige Anwendung von Immunsuppressiva das Risiko für eine PML unter Natalizumab erhöht: 46% der Patienten, die unter Natalizumab eine PML entwickeln, wurden zuvor mit Immunsuppressiva behandelt. Bei Patienten, die nicht mit Immunsuppressiva vorbehandelt waren und Natalizumab seit weniger als zwei Jahren erhielten, war die Inzidenz der PML mit 0,19 Fällen pro 1000 Patienten am niedrigsten. Bei längerer Behandlung stieg das Risiko für diese Infektion auf 0,96 Fälle pro 1000 Patienten. Besonders gefährdet sind immunsuppressiv vortherapierte Patienten, die länger als zwei Jahre mit Natalizumab behandelt werden: bei ihnen liegt die Inzidenz bei 4,9 Fällen pro 1000 Patienten [5].
Um diese seltene Nebenwirkung feststellen und den Nutzen der Therapie beurteilen zu können, müssen die Patienten sorgfältig überwacht werden: während der gesamten Therapiedauer, besonders aber nach mehr als 24 Monaten einer Natalizumab-Therapie sollten die Patienten regelmäßig klinisch sowie mittels Bildgebung untersucht werden. Bei Verdacht auf eine PML muss eine Liquoranalyse durchgeführt werden.
Quellen
1. Prof. Dr. med. Hayrettin Tumani, Ulm, Dr. med. Michael Lang, Ulm. Forum „Multiple Sklerose – Moderne MS-Therapie“, Ulm, 11. Dezember 2010, veranstaltet von Biogen Idec.
2. Polman CH, et al. A randomized, placebo-controlled trial of natalizumab for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2006;354:889–910.
3. Havrdova E, et al. Effect of natalizumab on clinical and radiological disease activity in multiple sclerosis: a retrospective analysis of Natalizumab Safety and Efficacy in Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis (AFFIRM) study. Lancet Neurol 2009;8:254–60.
4. Biogen Idec. PML Inzidenz unter http://tysabri.de/index.php?inhalt=tysabri.pmlinzidenz (Zugriff am 26.4.2011).
5. Bozic C, et al. Utilization and safety of natalizumab in patients with relapsing multiple sclerosis. Poster P893 ECTRIMS 2010; Göteborg, Schweden.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(03)