Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen
In klinischen Studien wurde beobachtet, dass das atypische Antipsychotikum Sertindol (Serdolect®) das QT-Intervall stärker verlängert als andere Neuroleptika. Die Substanz kann Störungen der Erregungsleitung am Herzen verursachen und daher das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien und plötzlichen Herztod erhöhen. Verursacht wird die Verlängerung des Aktionspotenzials durch eine Hemmung des repolarisierenden Kalium-Einstroms in die Kardiomyozyten. In einer Studie wurde unter 20 mg/Tag Sertindol eine QT-Streckenverlängerung von im Mittel 20 ms gefunden.
Die European Medicines Agency (EMA) verlangte 1998 die Marktrücknahme von Sertindol, da vermehrt plötzliche oder unerklärliche Todesfälle gemeldet worden waren. In Marktstudien wurden jedoch keine Anzeichen einer überhöhten Mortalität gefunden und es wurde vermutet, dass die vermehrten Meldungen mit einem systematischen Berichtsfehler zusammenhängen könnten. Nach einem formalen Anhörungsverfahren wurde die Marktlizenz wieder erteilt, allerdings unter der Voraussetzung, dass eine Sicherheitsstudie unter praxisnahen Bedingungen durchgeführt wird. Daraufhin wurde die Sicherheit von Sertindol prospektiv mit der von Risperidon (z.B. Risperdal®) verglichen; Risperidon wird häufig eingesetzt und hat nur einen geringen Einfluss auf das QT-Intervall.
Ein primärer Endpunkt dieser Studie war ein Vergleich der Häufigkeit von Todesfällen jeglicher Ursache. Dieser Endpunkt wurde gewählt, weil er nicht durch einen systematischen Beobachtungsfehler beeinflusst werden kann. Ein weiterer primärer Endpunkt war der Vergleich kardialer Ereignisse, die eine Einweisung in eine Klinik erforderten. Als sekundäre Endpunkte wurden die Häufigkeiten von ursachenspezifischen Todesfällen (kardiale, suizidale und andere Todesfälle) und nichtpsychiatrischen Krankenhauseinweisungen sowie die Behandlungsdauer verglichen.
Studiendesign
Die Studie war eine multinationale, randomisierte, offene Parallelgruppenstudie mit verblindeter Beurteilung der Ergebnisse. Eingeschlossen wurden erwachsene Patienten (≥18 Jahre) mit einer Schizophrenie. Sie wurden von Psychiatern in Europa und Asien in der Zeit von Juli 2002 bis Februar 2008 betreut. Es musste eine Indikation zur Monotherapie mit einer neuen Substanz vorliegen und der Einschluss durfte nur nach den Kriterien der jeweiligen Fachinformation (Summary of product characteristics, SPC) erfolgen. Danach sollten die Patienten nur dann mit Sertindol behandelt werden, wenn sie ein anderes Antipsychotikum nicht vertragen hatten. Kontraindikationen für eine Behandlung mit Sertindol sind unter anderen: klinisch relevante Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bradykardie (<50 Schläge/Minute), QT-Streckenverlängerung und die Kombination mit Substanzen, die ebenfalls eine QT-Streckenverlängerung verursachen können, und mit Substanzen, die den Metabolismus von Sertindol hemmen (Inhibitoren des Cytochrom P450-3A).
Die Behandlung wurde mit 4 mg/Tag Sertindol und 0,5 bis 2 mg/Tag Risperidon begonnen. Die Erhaltungsdosen waren 12 bis 20 mg/Tag Sertindol und 4 bis 6 mg/Tag Risperidon. Bei unzureichender Wirksamkeit der Behandlung war es den Studienärzten erlaubt, ein weiteres Antipsychotikum zu verschreiben.
Bei allen Patienten, die mit Sertindol behandelt wurden, wurde ein Elektrokardiogramm (EKG) vor Beginn der Behandlung, nach einer Dosiserhöhung, nach Erreichen des Steady State (nach drei Wochen) und nach einer Behandlungszeit von drei Monaten abgeleitet. Patienten mit einem QT-Intervall von mehr als 500 ms wurden aus der Studie genommen.
Ein unabhängiges Sicherheitsgremium überprüfte und klassifizierte alle unerwünschten Ereignisse, die zum Tod oder zur Krankenhauseinweisung geführt hatten oder möglicherweise Suizidversuche waren. Die Daten waren verblindet, das heißt, die Art der Behandlung war dem Gremium nicht bekannt. Es wurden alle Ereignisse erfasst, die während und bis zu 30 Tagen nach Beendigung der Behandlung auftraten. Beurteilungen wurden in den ersten drei Behandlungsmonaten monatlich, danach vierteljährlich vorgenommen.
Ergebnisse
In 609 Zentren in 38 Ländern wurden insgesamt 9858 Patienten randomisiert. Von ihnen erhielten 9809 wenigstens eine Dosis Sertindol (n=4905) oder Risperidon (n=4904). Die mediane Dosis lag innerhalb des ersten Behandlungsjahres bei 12 mg/Tag Sertindol bzw. 4 mg/Tag Risperidon.
Die Gesamtzeit der Behandlung war in der Sertindol-Gruppe kürzer als in der Risperidon-Gruppe (6575 versus 7572 Patientenjahre), hauptsächlich wegen der Unterschiede in der Abbruchrate innerhalb der ersten sechs Monate. Unerwünschte Ereignisse führten bei 10% der Patienten in der Sertindol-Gruppe und bei 5% der Patienten in der Risperidon-Gruppe zum Abbruch. Weniger als 8% der Patienten beider Gruppen beendeten die Studie wegen Unwirksamkeit. Am Ende der Studie nahmen noch 36% der Teilnehmer der Sertindol-Gruppe und 47% der Teilnehmer der Risperidon-Gruppe die zugeteilte Medikation ein.
Die Mortalität war etwa halb so hoch wie erwartet. Es gab 64 Todesfälle in der Sertindol-Gruppe und 61 Todesfälle in der Risperidon-Gruppe, das Risiko für Tod jeglicher Ursache unterschied sich nicht signifikant zwischen beiden Gruppen (Tab. 1). Auch die Anzahl der Todesfälle unter der Monotherapie von Sertindol oder Risperidon war nicht verschieden.
Tab. 1. Todesfälle und kardiale Ereignisse unter Sertindol und Risperidon [Thomas et al.]
Endpunkt |
Sertindol-Gruppe (n=4905, 6575 Patientenjahre) |
Risperidon-Gruppe (n=4904, 7572 Patientenjahre) |
Hazard-Ratio |
Alle Todesfälle (Gesamtmortalität) |
64 |
61 |
1,12 (90%-KI 0,83–1,50) |
Todesfälle unter Monotherapie |
40 |
44 |
0,89 (90%-KI 0,68–1,40) |
Todesfälle aufgrund eines kardialen Ereignisses* |
31 |
12 |
2,84 (95%-KI 1,45–5,55) |
Kardiale Ereignisse mit Klinikeinweisung |
10# |
6# |
1,73 (95%-KI 0,63–4,77) |
KI : Konfidenzintervall; * Beurteilung durch unabhängiges Gremium; # pro 100 Patientenjahre
Das Mortalitätsrisiko war möglicherweise altersabhängig: es war unter Sertindol im Vergleich zu Risperidon bei jüngeren Patienten erhöht und bei älteren Patienten erniedrigt (p=0,057).
Kardiale Ereignisse, die eine Einweisung in eine Klinik erforderten, gab es unter Sertindol bei 10 und unter Risperidon bei 6 Patienten pro 100 Patientenjahre (p=0,29). Signifikant mehr Sertindol- als Risperidon-behandelte Patienten starben an einem kardialen Ereignis (p=0,0022; Tab. 1).
Die Rate der Suizide und Suizidversuche unterschied sich nicht signifikant. Die Patienten der Sertindol-Gruppe beendeten die Therapie früher als die Patienten der Risperidon-Gruppe (p<0,0001).
Nach Ansicht der Autoren ist es aufgrund dieser Ergebnisse gerechtfertigt, Sertindol als eine Behandlung der Schizophrenie bei solchen Patienten in Betracht zu ziehen, die nicht an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden und die zumindest ein anderes Antipsychotikum nicht vertragen haben.
Kommentar
Obwohl die Mortalität jeglicher Ursache unter Sertindol nicht überhöht war, starben doch signifikant mehr Patienten unter Sertindol an kardialen Ereignissen als unter Risperidon. Der Bericht dieser Studie gibt aber keinen Aufschluss darüber, welche Todesursachen in der Risperidon-Gruppe häufiger waren als in der Sertindol-Gruppe.
Wesentlich für die Anwendung von Sertindol ist, dass die Kontraindikation „Herz-Kreislauf-Erkrankung“ unbedingt beachtet werden sollte.
Auffallend bei dieser Studie ist die hohe Abbruchrate in der Sertindol-Gruppe innerhalb der ersten sechs Monate. Als Ursache hierfür vermuten die Autoren die große Vorsicht der Studienärzte und ihre Unerfahrenheit in der Anwendung von Sertindol. Ein Grund für diese Vorsicht könnte eine deutliche Verlängerung der QT-Strecke sein, die bei der Einstellung auf Sertindol festgestellt wurde. Dies würde dafür sprechen, die Empfehlung des Herstellers strikt zu befolgen, nämlich nicht nur vor, sondern auch während der Behandlung EKG-Kontrollen durchzuführen.
Quellen
Thomas SHL, et al. Safety of sertindole versus risperidone in schizophrenia: principal results of the sertindole cohort prospective study (SCoP). Acta Psychiatr Scand 2010;122:345–55.
Fachinformation Serdolect®, Stand April 2010.
Psychopharmakotherapie 2011; 18(03)