Arzneimittelsicherheit

Suizidrisiko bei Einnahme von Antiepileptika


Bettina Christine Martini, Legau

Im Jahr 2008 hatte bereits eine Metaanalyse ein erhöhtes Suizidrisiko für Patienten, die Antiepileptika einnehmen, ergeben. Das Risiko konnte dabei aber nicht in Abhängigkeit vom individuellen Wirkstoff klassifiziert werden. Nun legt eine aktuelle Kohorten-Studie mit fast 300000 Patienten nahe, dass es Unterschiede zwischen den Substanzen gibt. In der Studie erhöhten Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Tiagabin und Valproinsäure das Suizidrisiko im Vergleich zu Topiramat.

Antiepileptika sind die Basis in der Therapie der Epilepsie; aber auch bei bipolaren Störungen, Manie, neuropathischen Schmerzen oder Migräne werden Antiepileptika eingesetzt. Dieses sehr breite Einsatzgebiet erfordert ein besonders hohes Maß an Therapiesicherheit.

Im Jahr 2008 erwirkte die FDA, dass in allen Fachinformationen von Antiepileptika ein Warnhinweis auf ein erhöhtes Suizidrisiko und suizidale Gedanken aufgenommen werden muss. Grund dafür war das Ergebnis einer Metaanalyse von 199 Plazebo-kontrollierten Studien mit 43000 Teilnehmern, in der das relative Risiko für Suizidgedanken oder Suizidverhalten bei Einnahme von Antiepileptika annähernd verdoppelt wurde (Odds-Ratio 1,80; 95%-Konfidenzintervall: 1,23–2,66). Um jedoch das Risiko einzelner Wirkstoffe beurteilen zu können, war die Studie zu klein. In der nun vorliegenden Datenbankanalyse wurde das Suizidrisiko verschiedener Antiepileptika verglichen.

Studiendesign

Die Datenbasis lieferte die US-amerikanische Datenbank „HealthCore Integrated Research Database“. Analysiert wurden die Daten von Patienten, die neu auf ein Antiepileptikum eingestellt wurden und mindestens 15 Jahre alt waren. Insgesamt wurden 297620 Patienten erfasst. Verglichen wurde das Suizidrisiko (Suizidversuch oder Suizid) bei Einnahme verschiedener Antiepileptika gegenüber Topiramat oder Carbamazepin. Verschiedene andere Risikofaktoren für Suizid wie Alter, Geschlecht und Grunderkrankung wurden soweit möglich bei der Analyse adjustiert.

Ergebnisse

In der medianen Beobachtungszeit von 60 Tagen nach Therapiebeginn kamen 801 Suizidversuche und 26 Suizide sowie 41 gewaltsame Todesfälle vor. Im Vergleich mit Topiramat war das Suizidrisiko signifikant erhöht bei Gabapentin (Hazard-Ratio [HR] 1,42), Lamotrigin (HR 1,84), Oxcarbazepin (HR 2,07), Tiagabin (HR 2,41) und Valproinsäure (HR 1,65, Tab. 1). Bei Einschluss gewaltsamer Todesfalle ergaben sich ähnliche Ergebnisse.

Tab. 1. Ergebnisse einer Datenbankanalyse: Risiko für Suizid oder Suizidversuch bei Einnahme verschiedener Antiepileptika im Vergleich zu Topiramat

Wirkstoff

Hazard-Ratio (95%-Konfidenzintervall)

Anteil Patienten, die diese
Substanz einnahmen
(Topiramat: 19,4%, n=57853)

Erhöhtes Risiko

Gabapentin

1,42 (1,11–1,80)

48,0%

(n=142865)

Lamotrigin

1,84 (1,43–2,37)

7,5%

(n=22256)

Oxcarbazepin

2,07 (1,52–2,80)

2,9%

(n=8579)

Tiagabin

2,41 (1,65–3,52)

1,9%

(n=5497)

Valproinsäure

1,65 (1,25–2,19)

6,2%

(n=18295)

Nicht signifikant erhöhtes Risiko

Carbamazepin

1,24 (0,77–1,99)

3,3%

(n=9859)

Levetiracetam

1,63 (0,84–3,16)

1,3%

(n=3975)

Phenobarbital

0,99 (0,36–2,72)

0,7%

(n=2130)

Phenytoin

1,25 (0,73–2,15)

3,5%

(n=10531)

Pregabalin

1,18 (0,59–2,37)

3,1%

(n=9086)

Primidon

1,15 (0,35–3,78)

1,0%

(n=3104)

Zonisamid

1,25 (0,58–2,69)

1,2%

(n=3528)

Schlussfolgerung und Diskussion

Diese große Kohortenstudie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Metaanalyse der FDA im Jahr 2008, wobei die nun vorliegende Studie eine Differenzierung zwischen verschiedenen Antiepileptika zum Ziel hatte und ein erhöhtes Risiko für Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Tiagabin und Valproinsäure im Vergleich zu Topiramat nahelegt.

Bisher ist nicht klar, welcher Mechanismus zu vermehrtem suizidalen Verhalten unter der Einnahme von Antiepileptika führen könnte, wenn auch psychotrope Nebenwirkungen, einschließlich Stimmungs- und Verhaltensänderungen beschrieben werden. Die Risikoerhöhung tritt bereits in den ersten 14 Tagen nach Therapiebeginn auf, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die volle therapeutische Wirkung möglicherweise noch nicht erreicht ist.

In der Analyse wurden verschiedene statistische Mittel angewendet, um das Risiko einer Verzerrung der Ergebnisse durch Begleitfaktoren zu minimieren. Allerdings lässt sich eine solche Verzerrung nur schwer ausschließen. Denn das Ausmaß, in dem die Grunderkrankung das Suizidrisiko beeinflusst, ist nur schwer abschätzbar. So waren die Patienten, die Topiramat verordnet bekamen, häufiger weiblich, bekamen Topiramat häufiger aufgrund von Migräne oder Kopfschmerzen verordnet oder wurden ausschließlich ambulant behandelt. Dagegen waren weniger Epilepsie-Patienten unter denjenigen, die Topiramat einnahmen. Andere Antiepileptika wurden dagegen überproportional häufig in anderen Indikationen eingesetzt. Zum Beispiel Carbamazepin, Gabapentin und Pregabalin bei neuropathischen Schmerzen sowie Lamotrigin, Oxcarbazepin, Valproinsäure und Tiagabin bei depressiven, manisch-depressiven und Angststörungen. Auch wenn eine Verzerrung der Ergebnisse aufgrund der Komplexität des Themas nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, trägt die Studie dazu bei, die Zusammenhänge weiter aufzuklären.

Quelle

Patorno E, et al. Anticonvulsant medications and the risk of suicide, attempted suicide, or violent death. JAMA 2010;30:1401–9.

Psychopharmakotherapie 2010; 17(05)