Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
Demenzen nehmen mit zunehmender Alterung der Bevölkerung zu. Neben der Alzheimer-Demenz spielt die vaskuläre Demenz hier die wichtigste Rolle. Substanzen, die das Renin-Angiotensin-System beeinflussen spielen eine immer wichtigere Rolle in der Behandlung der arteriellen Hypertonie. Es gibt auch Angiotensin-Rezeptoren im Gehirn, so dass immer wieder postuliert wurde, dass Angiotensin-Rezeptorblocker (Candesartan, Irbesartan, Losartan, Telmisartan, Valsartan) möglicherweise die Sekundärschäden bei der Entwicklung einer Demenz reduzieren könnten. Vor diesem Hintergrund wurde in einer Kohortenstudie der Zusammenhang zwischen der Art der antihypertensiven Medikation und dem Risiko für den Beginn einer Demenz untersucht.
Studiendesign
Die Studie stützt sich auf die Datenbasis der amerikanischen Veterans Affairs Administration aus den Jahren 2002 bis 2006. In der Datenbasis, die insgesamt 7,3 Millionen Personen umfasst, wurden 11500 Personen identifiziert, die bei Studienbeginn mindestens 65 Jahre (im Durchschnitt 74–75 Jahre) alt waren und eine der folgenden antihypertensiven Therapien erhielten:
- einen Angiotensin-Rezeptorblocker (rund 11500),
- den ACE-Hemmer Lisinopril (>91000),
- andere Antihypertensiva (Betablocker, Calciumkanalblocker; >696000).
Der primäre Endpunkt war die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz oder einer Demenz generell über einen Zeitraum von vier Jahren. Der primäre Endpunkt wurde für Alter, Diabetes mellitus, Schlaganfall oder kardiovaskuläre Endpunkte korrigiert. Ein weiterer Endpunkt war das Fortschreiten der Demenz, definiert als Unterbringung in einem Pflegeheim oder Tod, bei Patienten, die bereits bei Studienbeginn eine Demenz aufwiesen. Die Datenerhebung war prospektiv, die Datenanalyse retrospektiv.
Die Neudiagnose einer Demenz wurde im Beobachtungszeitraum bei 3,4% (Angiotensin-Rezeptorblocker), 4,1% (Lisinopril) und 5,8% (andere Antihypertensiva) der Patienten gestellt. Das Hazard-Ratio für die Entwicklung einer Demenz betrug in der Gruppe, die regelmäßig Angiotensin-Rezeptorblocker einnahm,
- 0,76 verglichen mit anderen Antihypertensiva und
- 0,81 verglichen mit Lisinopril (jeweils p<0,001).
Das Hazard-Ratio für die Neudiagnose einer Alzheimer-Demenz betrug 0,81 (p=0,016) beziehungsweise 0,84 (p=0,045).
Bei Patienten, die bereits eine Alzheimer-Demenz hatten, war das Risiko für ein Fortschreiten der Erkrankung mit Angiotensin-Rezeptorblockern gegenüber anderen Antihypertensiva verringert; bei vorbestehender Demenz allgemein war dies auch für Angiotensin-Rezeptorblocker im Vergleich mit Lisinopril der Fall (Tab. 1).
Tab. 1. Einfluss verschiedener antihypertensiver Therapien auf das Fortschreiten einer Demenz während der bis zu vierjährigen Beobachtung [Li et al.]
Antihypertensiva |
Unterbringung im Pflegeheim |
Tod |
||
Hazard-Ratio (95%-KI) |
p-Wert |
Hazard-Ratio (95%-KI) |
p-Wert |
|
Alzheimer-Demenz (n=12574) |
||||
Angiotensin-Rezeptorblocker vs. Lisinopril |
0,63 (0,44–0,90) |
0,0119 |
0,85 (0,72–1,00) |
0,054 |
Angiotensin-Rezeptorblocker vs. andere Antihypertensiva* |
0,51 (0,36–0,72) |
0,0001 |
0,83 (0,71–0,97) |
0,022 |
Demenz (n=44601) |
||||
Angiotensin-Rezeptorblocker vs. Lisinopril |
0,74 (0,62–0,87) |
0,0002 |
0,87 (0,80–0,95) |
0,001 |
Angiotensin-Rezeptorblocker vs. andere Antihypertensiva* |
0,61 (0,52–0,72) |
<0,001 |
0,89 (0,82–0,96) |
0,004 |
*Betablocker, Calciumkanalblocker
Bei Kombination eines Angiotensin-Rezeptorblockers mit ACE-Hemmern war gegenüber der alleinigen Gabe von ACE-Hemmern sowohl das Risiko für die Entwicklung einer Demenz als auch für die Aufnahme in einem Pflegeheim bei bestehender Demenz deutlich erniedrigt (Hazard-Ratio 0,54 bzw. 0,33).
Kommentar
Diese große Studie mit einer eindrucksvollen Patientenzahl legt nahe, dass Angiotensin-Rezeptorblocker besser wirksam sind als ACE-Hemmer und andere Antihypertensiva, um bei Patienten mit Hypertonie die Entwicklung einer Demenz zu verhindern oder das Fortschreiten einer Demenz zu verlangsamen. Die Stärke der hier durchgeführten Analyse liegt in der großen Patientenzahl und der relativ langen Beobachtungsdauer. Hauptnachteil ist die offene Zuordnung der Medikation und die retrospektive Auswertung. Die bisher durchgeführten großen Antihypertensiva-Studien mit Angiotensin-Rezeptorblockern konnten keinen positiven Effekt auf die Entwicklung einer Demenz nachweisen (Val-HeFT, CHARM, PRoFESS). Das kann allerdings an der im Vergleich zu der hier durchgeführten Untersuchung geringeren Patientenzahl und vor allem an der kürzeren Beobachtungsdauer liegen. Streng genommen kann aber die Frage, ob das hier beobachtete Phänomen wirklich existiert, nur durch eine große randomisierte Studie mit einer langen Beobachtungsdauer beantwortet werden.
Quelle
Li NC, et al. Use of angiotensin receptor blockers and risk of dementia in a predominantly male population: prospective cohort analysis. BMJ 2010;340:b5465.
Psychopharmakotherapie 2010; 17(05)