S3-Leitlinie Unipolare Depression: eine Verbesserung der nationalen Versorgung?


Prof. Dr. Gerd Laux, Wasserburg am Inn

Das vorliegende Heft der PPT widmet sich nach zwei Schwerpunktheften zur Gerontopsychiatrie als erstes von zwei Schwerpunktheften der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Kinder- und Jugendpsychiater-Kollege J. Fegert stellt als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats in seiner nachfolgenden Übersicht und Einführung die einzelnen Beiträge zu diesem Thema vor.

Unter den weiteren Beiträgen hervorzuheben ist die Zusammenfassung der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“. Nach einem jahrelangen, aufwendigen und mühsamen Konsentierungsprozess mit der Beteiligung von insgesamt 31 Fachgesellschaften und Verbänden liegt diese als Meilenstein apostrophierte Versorgungsleitlinie nun auf 263 Seiten vor. Hehres Ziel war, eine Einigung der Experten des breiten Spektrums vor allem verschiedenster psychotherapeutischer Gesellschaften und Organisationen im Sinne eines „gemeinsamen Produktes“ zu schaffen und so Empfehlungen auf Basis der bestverfügbaren Evidenz und im Konsens aller an der Erstellung Beteiligter zu formulieren. Wie angesichts der zahlreichen Psychotherapiegesellschaften bei der Mitwirkung wohl nicht anders zu erwarten, zeichnet sich das Werk durch eine Betonung der Psychotherapie aus. Die vorsichtig zurückhaltende Empfehlungsdiktion hinsichtlich der Pharmakotherapie überrascht dann doch angesichts der immensen kontrollierten Studienlage im Sinne der evidenzbasierten Medizin zur Pharmakotherapie versus – in Anbetracht der bekannten methodischen Probleme – vergleichsweise minimaler empirischer Datenlage zur Psychotherapie. Antidepressiva-Studienergebnisse werden methodisch sehr kritisch reflektiert – über die referierten Effektstärken der Psychopharmakotherapie wären die Internisten hoch erfreut. Quantitativ wird die Pharmakotherapie auf 22 Seiten dargestellt, die Psychotherapie auf 24 Seiten. Zu Letzteren wird darauf hingewiesen, dass keine Einigung erzielt werden konnte, ob randomisierte kontrollierte Studien für Psychotherapieverfahren bedeutsam sind. Als der am besten abgesicherte Wirkfaktor von Psychotherapie wird die „therapeutische Beziehung“ aufgeführt. Bemerkenswert scheint, dass trotz sehr unterschiedlicher empirischer Datenlage nicht innerhalb der störungsspezifischen Psychotherapieverfahren differenziert wird. Zu den Antidepressiva werden auch sehr seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen ausführlich abgehandelt; Risiken, Kontraindikationen und „Nebenwirkungen“ von Psychotherapie fehlen demgegenüber vollständig. Auch in der aktuellen Version vom Dezember 2009 ist das neue Antidepressivum Agomelatin nicht enthalten, Studien zur vergleichenden Wirksamkeit verschiedener Antidepressiva wie die Metaanalyse von Cipriani et al. (Lancet 2009) sind nicht aufgeführt. Bei leichtgradigen Depressionen wird von einer Pharmakotherapie mangels Wirksamkeit abgeraten und eine aktiv abwartende Begleitung („watchful waiting“) empfohlen. Hierzu nimmt Kollege U. Hegerl in seinem Kommentar treffend Stellung.

Gewünscht hätte man sich statt sehr pauschaler undifferenzierter Aussagen zum Beispiel Äußerungen zu den Wirkprofilen einzelner Antidepressiva oder auch zu facharzttypischen Fragestellungen, zum Beispiel wie die Antidepressiva-Empfehlungen für Schwangere oder in der Stillzeit lauten.

Der Leitlinien-Weg zu einem klinischen Entscheidungskorridor für Klinik und Praxis mittels breitestem Konsentierungsprozess ist steil und kurvenreich – die notwendigen Aktualisierungen stellen eine große Herausforderung dar!

Psychopharmakotherapie 2010; 17(03)