Antidepressiva bei bipolarer Depression

Frühe klinische Anzeichen für Switch in die Manie


Priv.-Doz. Dr. Dieter Angersbach, Wolfratshausen

Für Patienten mit bipolarer Depression, die neben einem Stimmungsstabilisierer ein Antidepressivum einnehmen, ist ein Switch in die Manie eher zu erwarten, wenn sie zu Behandlungsbeginn eine erhöhte motorische Aktivität, erhöhten Rededrang und gestörte Gedankeninhalte aufweisen, wie die hier referierte Studie zeigt.

Antidepressiva können bei Patienten mit einer bipolaren Depression wirksam sein, sie können jedoch einen Stimmungsumschwung von der Depression in die Manie herbeiführen. Als Risikofaktoren gelten unter anderen die Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva, Fehlen eines Stimmungsstabilisierers, Rapid-Cycling (≥4 Episoden in den letzten 12 Monaten), häufige manische Phasen oder gemischte depressive Symptome.

In der vorliegenden Studie wurden klinische Anzeichen für das Auftreten einer Manie unter einer antidepressiven Behandlung bei Patienten untersucht, die am Bipolar Collaborative Network teilnahmen.

Eingeschlossen wurden depressive Patienten mit einer Bipolar-I- oder -II-Störung, die auf einen Stimmungsstabilisierer eingestellt waren. Diese Patienten (n=176) wurden randomisiert drei Behandlungsgruppen zugewiesen und erhielten doppelblind über 10 Wochen zusätzlich Sertralin (mittlere Dosis 192 mg/Tag), Venlafaxin (195 mg/Tag) oder Bupropion (286 mg/Tag).

Die klinische Beurteilung wurde mit dem Inventory of Depressive Symptomatolgy (IDS), der Young Mania Rating Scale (YMRS) und der Clinical Global Impression Scale, Version bipolare Störungen (CGI-BP), vorgenommen. Beurteilungszeitpunkte waren Einschluss und Wochen 1, 2, 4, 6, 8 und 10. Am Ende der Studie wurden die Patienten je nach Behandlungsergebnis in drei Gruppen eingeteilt:

  • Responder (Patienten, die sich nach CGI stark oder sehr stark gebessert hatten, n=85)
  • Nonresponder (Patienten, die nach CGI noch mäßig krank und schlechter waren; n=45)
  • Patienten, die unter der Behandlung einen Switch in die Manie/Hypomanie erlitten hatten (nach CGI mindestens mäßig schwere manische Symptome bzw. starke oder sehr starke Verschlechterung des Zustands; n=46).

Ein Vergleich der klinischen Symptome der drei Gruppen bei Einschluss zeigte:

  • Bei den Nonrespondern waren die depressiven Symptome bei Einschluss schwerwiegender als in den beiden anderen Gruppen.
  • Bei den Patienten, die einen Stimmungsumschwung in die Manie erfahren hatten, waren der YMRS-Score und der CGI-Manie-Score bei Einschluss signifikant höher als in den anderen Gruppen. Eine Faktorenanalyse der YMRS-Items zeigte, dass die Scores der Items 2 (erhöhte motorische Aktivität/Energie), 6 (erhöhte Sprechrate und -dauer) und 8 (gestörte Gedankeninhalte) signifikant höher waren als in den anderen Gruppen.

Die Autoren stellen fest, dass eine sorgfältige Überprüfung dieser Symptome erforderlich ist, bevor bei Patienten mit einer bipolaren Depression eine Therapie mit einem Antidepressivum begonnen wird, da diese Therapie bei Vorliegen manischer Symptome zu einem schlechten Ergebnis führen könnte.

Kommentar

Die Forderung der Autoren nach einer Untersuchung manischer Symptome gilt also auch bei einem Einsatz neuerer Antidepressiva, die bekanntlich mit einem geringeren Switch-Risiko behaftet sein sollen als die älteren Trizyklika. Die Studie zeigt, dass das Auftreten solcher Symptome bei einer bipolaren Depression relativ häufig ist, häufiger als bei der unipolaren Depression. Es ist aber naheliegend, dass eine sorgfältige Untersuchung auf manische Begleitsymptome nicht nur bei einer bipolaren Depression sinnvoll ist, sondern auch bei unsicherer Diagnose einer Major Depression, also bei Patienten mit unklarer Vorgeschichte, wenn beispielsweise eine frühere Hypomanie/Manie nicht ausgeschlossen werden kann.

Quelle

Frye MA, et al. Correlates of treatment-emergent mania associated with antidepressant treatment in bipolar depression. Am J Psychiatry 2009;166:164–72.

Psychopharmakotherapie 2010; 17(01)