Dr. med. Mirjam Tessmer, Stuttgart
Hintergrund
Weltweit werden Millionen Patienten mit Antipsychotika behandelt. Wie die Langzeittherapie die Mortalität beeinflusst, war jedoch bislang nicht bekannt. Ein Bericht der National Association of State Mental Health Program Directors aus dem Jahr 2006 zeigte, dass Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen im Schnitt 25 Jahre früher sterben als die Normalbevölkerung, zu 30 bis 40% bedingt durch Suizid und andere unnatürliche Todesursachen und zu ungefähr 60% durch medizinische Ursachen wie kardiovaskuläre, pulmonale und infektiöse Erkrankungen.
Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Patienten mit Schizophrenie und der Allgemeinbevölkerung hatte sich zwischen den 70er und den 90er Jahren vergrößert. Die kardiovaskuläre Mortalität nahm bei Schizophrenie-Patienten seit Mitte der 70er Jahre zu – den größten Anstieg gab es zwischen 1991 und 1995. Die Ursachen der erhöhten kardiovaskulären Mortalität sind vielfältig und schließen unter anderem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höhere Raten an modifizierbaren Faktoren wie Rauchen und Übergewicht ein.
Da Antipsychotika der 2. Generation die Entwicklung kardiovaskulärer Risikofaktoren (z. B. Gewichtszunahme, verminderte Glukosetoleranz, Störungen des Lipidstoffwechsels) fördern können, existierte bislang die Befürchtung, dass die Einführung der atypischen Neuroleptika in den 1990er Jahren einen gro-ßen Anteil am Anstieg der Mortalität bei Schizophrenie hatte. In einer großen finnischen Kohortenstudie wurde nun der Einfluss verschiedener Antipsychotika auf die Sterblichkeit von Patienten mit Schizophrenie untersucht.
Studiendesign
Aus verschiedenen finnischen Registern wurden die zwischen 1996 und 2006 erfassten Daten von insgesamt 66881 Patienten mit Schizophrenie analysiert (Gesamtbevölkerung: 5,2 Millionen). Die Patienten wurden in Abhängigkeit von der Medikamenteneinnahme einer Perphenazin-, Thioridazin-, Haloperidol-, Clozapin-, Olanzapin-, Risperidon- oder Quetiapin-Gruppe zugeteilt. In zwei weitere Gruppen wurden Patienten eingeordnet, die entweder mehrere oder seltener verordnete Antipsychotika eingenommen hatten.
Primäre Studienendpunkte waren
● Mortalität aufgrund aller Ursachen bei ambulant behandelten Patienten mit Schizophrenie während der gegenwärtigen und in Abhängigkeit von der langfristigen (kumulativen) Einnahme von Antipsychotika im Vergleich zu keiner Medikamenteneinnahme
● Mortalität aufgrund aller Ursachen bei ambulant behandelten Schizophrenie-Patienten in Abhängigkeit von der gegenwärtigen oder kumulativen Einnahme eines der am häufigsten angewendeten Antipsychotika (Thioridazin, Haloperidol, Clozapin, Olanzapin, Risperidon und Quetiapin) im Vergleich zu Perphenazin.
Ergebnisse
Während 1996 die Lebenserwartung eines 20 Jahre alten Patienten mit Schizophrenie 25 Jahre geringer war als die der Allgemeinbevölkerung, waren es im Jahr 2006 22,5 Jahre (Tab. 1). Bei den 40-Jährigen reduzierte sich die Differenz während des Untersuchungszeitraums von 18,5 auf 17 Jahre. Bei einer insgesamt weiter steigenden Lebenserwartung nahm – anders als in den vorangegangenen Jahren – der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Patienten mit Schizophrenie und der Allgemeinbevölkerung während des Untersuchungszeitraums also nicht weiter zu, obwohl die Einnahme von Antipsychotika der 2. Generation während dieses Zeitraums von 13 auf 64% anstieg.
Tab. 1. Lebenserwartung im Alter von 20 Jahren bei Schizophrenie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (Angaben in Jahren)
Jahr |
Patient mit Schizophrenie |
Allgemeinbevölkerung |
Differenz |
1996 |
32,5 |
57,5 |
25,0 |
2006 |
37,4 |
59,9 |
22,5 |
Bei Patienten, die über einen Zeitraum von 7–11 Jahren Antipsychotika eingenommen hatten, war die Gesamtsterblichkeit niedriger als bei denjenigen, die keine Antipsychotika eingenommen hatten (Hazard-Ratio [HR] 0,81; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,77–0,84; p<0,0001). Auch die gegenwärtige Einnahme von Antipsychotika ging mit einer niedrigeren Gesamtsterblichkeit einher als eine fehlende Einnahme (HR 0,68; 95%-KI 0,65–0,71; p<0,0001).
Die Analyse der Gesamtsterblichkeit während der gegenwärtigen Einnahme einer antipsychotischen Monotherapie ergab für Clozapin das im Vergleich zu Perphenazin geringste Sterblichkeitsrisiko (HR [adjustiert] 0,74; 95%-KI 0,6–0,91; p=0,0045) und für Quetiapin das höchste Risiko (HR [adjustiert] 1,41; 95%-KI 1,09–1,82). Auch die Einnahme von Haloperidol oder Risperidon ging mit einer im Vergleich zu Perphenazin erhöhten Mortalität einher (+37% bzw. +34%).
Patienten, die Clozapin einnahmen, hatten ein geringeres Suizidrisiko als diejenigen, die einen der anderen untersuchten Arzneistoffe einnahmen.
Nach einer kumulativen Antipsychotika-Einnahmedauer von 7–11 Jahren konnte keine Anstieg des Sterblichkeitsrisikos aufgrund kardiovaskulärer Ursachen festgestellt werden.
Zusammenfassung und Diskussion
Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Patienten mit Schizophrenie und der Allgemeinbevölkerung hatte sich während des Untersuchungszeitraums nicht weiter vergrößert, obwohl die Einnahme atypischer Antipsychotika während dieser Zeit deutlich gestiegen war.
Sowohl unter Langzeitanwendung als auch bei gegenwärtiger Einnahme von Antipsychotika war die Gesamtsterblichkeit geringer als ohne medikamentöse Therapie.
Dass Clozapin unter den sieben am häufigsten eingenommen Antipsychotika mit dem niedrigsten Sterblichkeitsrisiko einherging, überrascht insofern, als die Anwendung von Clozapin aufgrund des erhöhten Agranulozytose-Risikos mit deutlichen Einschränkungen versehen wurde und es lediglich als Reservemedikament zugelassen ist. Für die Autoren stellt sich in Anbetracht des Ergebnisses die Frage, ob Clozapin nicht doch (häufiger) als Erstlinien-Medikament eingesetzt werden sollte – insbesondere da sie die Notwendigkeit der Anwendungsbeschränkung als nicht ausreichend belegt sehen. Die Verschreibung alternativer, mit einer höheren Mortalität einhergehender Antipsychotika könne bereits zahlreiche Todesfälle zur Folge gehabt haben.
Da infolge der Sicherheitsrestriktionen gerade Patienten mit schwerem Verlauf Clozapin erhalten hatten, schließen die Autoren aus, dass die geringe Mortalität durch einen vermehrten Einsatz bei Patienten mit milder Symptomatik, geringem Suizidrisiko und daher von vornherein besserer Prognose zustande kam.
Auch in der bei Clozapin-Einnahme erforderlichen engmaschigen Therapie- überwachung sehen die Autoren nicht den Hauptgrund für die im Vergleich zu den anderen untersuchten Antipsychotika geringere Mortalität. Dass unter Clozapin die wenigsten Therapieabbrüche zu verzeichnen waren, spricht dafür, dass die häufigen Blutbildkontrollen offenbar keinen allzu negativen Einfluss auf die Compliance der Patienten haben.
Quelle
Tiihonen J, et al. 11-year follow-up of mortality in patients with schizophrenia: a population-based cohort study (FIN11 study). www.thelancet.com, published online, July 13, 2009 DOI:10.1016/S0140-6736(09)60742-X
Psychopharmakotherapie 2009; 16(05)