Christoph Born, Thomas C. Baghai, Rainer Rupprecht und Hans-Jürgen Möller, München
In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die ersten antidepressiv wirksamen Medikamente eingeführt. Hierbei handelte es sich zunächst um trizyklische Antidepressiva (TZA) und Monoaminoxidase-Hemmer (MAOI). Die zweite Generation der Antidepressiva nahm ihren Anfang mit der Entwicklung der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), deren erster Vertreter, Fluvoxamin, in den 1980er Jahren entwickelt und wenig später eingeführt wurde. Seit der Einführung von Escitalopram sind insgesamt sechs SSRI verfügbar.
Zur zweiten Generation der Antidepressiva zählen eine Reihe weiterer Substanzen mit jeweils unterschiedlichen molekularen Wirkungen auf Serotonin und Noradrenalin, aber auch Dopamin. War die Entwicklung neuer Antidepressiva zunächst in Richtung eines gegenüber den TZA selektiveren molekularen Wirkungsmechanismus gegangen, was zu einer Verbesserung hinsichtlich unerwünschter Wirkungen führte, wurden in der Folge auch dual wirksame Substanzen eingeführt. So handelt es sich bei Bupropion um einen Dopamin- und Nordrenalin-Wiederaufnahmehemmer (DNRI), derzeit die einzige Substanz mit diesem Wirkungsmechanismus. Ein Alpha2-Rezeptor-blockierendes tetrazyklisches Antidepressivum (Noradrenergic and specific serotonergic antidepressant; NaSSA) ist Mirtazapin. Venlafaxin, Desvenlafaxin, Duloxetin und das in einigen europäischen Ländern zugelassene Milnacipran sind Substanzen mit Wirkung durch kombinierte selektive Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin- und Noradrenalin (SNRI). Ein selektiver Nordrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) ist Reboxetin (zur detaillierten Übersicht siehe auch [60]).
Die Antidepressiva der zweiten Generation sind hinsichtlich ihrer antidepressiven Wirksamkeit vielfach untersucht worden, auch gegenüber den TZA, und unterscheiden sich hierin nicht wesentlich. Unterschiede finden sich insbesondere im Profil der antidepressiven Wirkung und unerwünschten Wirkungen sowie der Pharmakokinetik. Es sollen die jüngsten Entwicklungen in dieser Gruppe der Medikamente kurz erwähnt werden.
Unter den SSRI kommt dem zuletzt entwickelten Escitalopram eine besondere Stellung zu, da es sich um das pharmakologisch wirksame S-Enantiomer von Citalopram handelt und so eine innerhalb dieser Gruppe bereits neue Behandlungsstrategie auch hinsichtlich der Wirksamkeit darstellt, wie in klinischen Studien gezeigt werden konnte [13, 15, 39]. Escitalopram war bis 2004 in 37 Ländern registriert.
Bupropion ist der derzeit einzige verfügbare selektive Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer [21] und war 2005 eines der am häufigsten verschriebenen Antidepressiva in den USA [64]. 2007 wurde es auch in Deutschland zur Behandlung von Depressionen zugelassen, während zuvor lediglich eine Zulassung zur Nicotinentwöhnung vorlag.
Abkürzungen
CRH: Corticotropin-releasing Hormon, Corticoliberin
DHEA: Dehydroepiandrosteron
DNRI: Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
FDA: U.S. Food and Drug Administration
EMEA: European Medicines Agency
5-HT: Serotonin
MAOI: Monoaminoxidase-Hemmer
MAOBI: Monoaminoxidase-B-Hemmer
MT1/MT2: Melatonin-1- und Melatonin-2-Agonist und 5-HT2C-Antagonist
NaSSA: noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva
NARI: selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
NMDA: N-Methyl-D-aspartat
SNRI: selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
TZA: trizyklische Antidepressiva
Inzwischen wurde auch Desvenlafaxin, ein selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, von der FDA im Februar 2008 zugelassen. Dabei handelt es sich um einen Metaboliten von Venlafaxin. In einer gepoolten Analyse von fünf Studien zu Desvenlafaxin konnte eine statistisch signifikante Überlegenheit gegenüber Plazebo bestätigt werden [66]. In einer weiteren Analyse von vier dieser Studien konnte gezeigt werden, dass Desvenlafaxin, dessen Zulassungsantrag bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA jedoch 2008 zurückgezogen wurde, auch positive Auswirkungen auf die Lebensqualität hat [61].
Trotz der vielfältigen Möglichkeiten zur Behandlung von Depressionen ergibt sich häufig, dass Patienten nach einer ersten Behandlung keine oder nur ungenügende Besserung der depressiven Symptomatik erleben. So betrug die Rate der Remissionen der ambulanten Patienten in STAR*D (Sequenced treatment alternatives to relieve depression) nach dem ersten Behandlungsversuch nur 36,8% der Patienten [59]. Allerdings finden sich in Studien bei ambulanten Patienten häufig niedrigere Responseraten als bei stationären. Ebenso ist anzumerken, dass als primäres Outcome-Kriterium ein Selbstbeurteilungsfragebogen benutzt wurde (QIDS-SR) und keine Verblindung stattgefunden hat. Bei stationär behandelten Patienten, wie in einer weiteren Studie untersucht, mag die Remissionsrate höher liegen, doch ist sie mit 57,9% der Patienten nach durchschnittlich 11,8 Behandlungswochen in der MARS (Munich antidepressant response signature) nicht zufriedenstellend [25].
Neben den bereits etablierten und zugelassenen Antidepressiva und ihren Wirkprinzipien zur pharmakologischen Behandlung von Depressionen werden in den letzten Jahren noch andere Substanzen bzw. Strategien zur Augmentation antidepressiver Behandlung intensiv untersucht. Die Kombination verschiedener Wirkungsmechanismen/Antidepressiva oder auch die Erweiterung der Behandlung durch ein zusätzliches Antipsychotikum sowie die Melatoninagonisten und selektiv serotoninantagonistischen Antidepressiva (MT1/MT2) sind Gegenstand von Studien. Agomelatin zeigte bisher gute Ergebnisse, ist seit Februar 2009 in Europa zugelassen und seit Anfang April erhältlich. Seit längerem liegen bereits positive Ergebnisse zu Hypericum perforatum bei der Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen vor. Weitere derzeit noch in Entwicklung befindliche Ansätze der medikamentösen Behandlung sind Antagonisten des CRH1-Rezeptors, Inhibitoren der Steroidsynthese, Antagonisten des Glucocorticoid-Rezeptors und nikotinerge Antagonisten sowie Modulatoren des GABA- und Glutamat-Systems bei der Depression. Daneben werden verschiedene Strategien zur Augmentation der Behandlung mit den etablierten Antidepressiva untersucht.
Im Folgenden soll auf die Entwicklungen dieser Behandlungsansätze in den letzten Jahren und Augmentationsstrategien eingegangen werden.
Erweiterung und Augmentation der pharmakologischen antidepressiven Behandlung
Inhibitoren der Monoaminoxidase (MAOI)
Aufgrund der positiven Ergebnisse einer Studie zur Hochdosistherapie mit Tranylcypromin [2, 3] sowie einiger Fallberichte wird auch diese Form der Behandlung derzeit zunehmend eingesetzt. Allerdings handelt es sich um eine Studie mit sehr geringer Fallzahl (n=7 bzw. n=14), so dass dieses Ergebnis in weiteren, größeren Studien untersucht werden sollte [1].
Zum Revival der MAOI hat wohl auch die generell gute Verträglichkeit von Moclobemid beigetragen. Außerdem ist der MAO-B-Hemmer Selegilin inzwischen das einzige transdermal zu applizierende Antidepressivum und bisher allein in dieser Anwendung in den USA zugelassen. Es zeigen sich meist moderate antidepressive Effekte [4, 12].
Kombination der Wirkungsmechanismen
In den letzten Jahren werden zunehmend Kombinationen der genannten Wirkungsmechanismen beziehungsweise Arzneistoffe untersucht.
So werden die Kombinationen von SSRI und Mirtazapin sowie Venlafaxin und Mirtazapin bei therapieresistenten depressiven Syndromen verwendet. Hierbei wird das Risiko des Auftretens eines Serotoninsyndroms diskutiert. Hannan et al. berichteten von einer 50%igen Response nach acht Wochen nach einer kombinierten Behandlung mit Mirtazapin und Venlafaxin [24]. Kürzlich konnten erste Ergebnisse einer Studie zur Augmentation mit Bupropion SR bei inkompletter Response auf eine Behandlung mit Mirtazapin vorgestellt werden [69]. Die Autoren berichteten von einer signifikanten Besserung im Sinne einer Reduktion des Scores der Hamilton-Depressionsskala (HAM-D) nach vierwöchiger Behandlung.
Atypische Antipsychotika
Neben der Augmentation mit Lithium und mit Schilddrüsenhormonen stellt die Augmentation der Behandlung mit etablierten Antidepressiva durch atypische Antipsychotika eine bedeutende Strategie dar. Insbesondere wird die Augmentation mit Amisulprid, Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon in dieser Indikation untersucht. Dabei ist bemerkenswert, dass allein Aripiprazol in den Studien im Bereich antipsychotischer Wirksamkeit wie zur Behandlung der Schizophrenie dosiert wurde.
In einer kleinen offenen Studie konnte kürzlich gezeigt werden, dass die Erweiterung der antidepressiven Behandlung mit Amisulprid in Dosierungen von 25 bis 100 mg/Tag zu einem Rückgang der depressiven Symptomatik führt [14].
In einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie konnten 191 Patienten mit einer ungenügenden Response nach einer Behandlung mit SSRI mit Aripiprazol bis 20 mg/Tag behandelt werden [47]. Die Autoren beobachteten eine signifikant höhere Rate von Remissionen nach sechs Wochen in der Gruppe mit Aripiprazol. In einer Fallserie wurden vier Patienten, die keine hinreichende Besserung nach einer Behandlung mit Bupropion zeigten, mit Aripiprazol zur Augmentation behandelt. Der Autor berichtete von einer raschen Besserung der depressiven Symptomatik bei allen vier Patienten [62].
Thase et al. führten zwei Studien mit Parallelgruppen durch, um die antidepressive Wirksamkeit einer Augmentation von Olanzapin bei Behandlung mit Fluoxetin bei therapieresistenter Depression zu untersuchen. Nach Augmentation mit Olanzapin zeigte sich eine statistisch signifikante Besserung gegenüber der Fluoxetin-Monotherapie [65].
Eine Studie mit Quetiapin XR (Retardpräparat) in Dosierungen von 150 und 300 mg/Tag zeigte eine Verbesserung in den Scores von HAM-D und CGI [16]. In einer weiteren Studie konnte dies bei 723 randomisierten Patienten auch für die Monotherapie mit Quetiapin XR (bis 300 mg/Tag) gezeigt werden [70]. Hingegen ergab eine randomisierte, doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie, in der Patienten mit Fluoxetin allein oder in Kombination mit Quetiapin sowie Plazebo behandelt wurden, dass es in der Gruppe mit Quetiapin nur zu einer Verbesserung des Schlafs in den ersten Wochen kam [23]. Allerdings wurde Quetiapin nur bis maximal 100 mg/Tag aufdosiert.
Nach einem 4-wöchigen Zeitraum konventioneller antidepressiver Behandlung wurden insgesamt 274 Patienten mit ungenügender Response in einer randomisierten, doppelblinden und Plazebo-kontrollierten Studie augmentativ mit Risperidon behandelt [45]. Nach sechs Wochen wurde eine signifikant höhere Rate der Remissionen in der zusätzlich mit Risperidon behandelten Patientengruppe beobachtet. Keitner et al. führten eine doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie mit Risperidon bei 97 Patienten mit einer therapieresistenten Depression oder nach Teilremission durch [32]. Nach 4-wöchiger Behandlung wurde eine Remissionsrate von 52% bei Patienten mit Augmentation von Risperidon beobachtet, was einem signifikanten Unterschied zur Plazebo-Gruppe entsprach.
Die Ergebnisse einer offenen Pilotstudie, in der die Wirksamkeit von Ziprasidon 80 mg/Tag als Augmentation zu SSRI oder Mirtazapin untersucht wurde, konnten kürzlich vorgestellt werden [18]. Die Autoren berichteten von einer deutlichen Besserung nach sechs Wochen Behandlung bei 10 von 14 Patienten. Dunner et al. schlossen 64 Patienten, die mit Sertralin behandelt worden waren und ungenügend respondierten, in eine Studie ein und gaben Ziprasidon 80 mg/Tag und 160 mg/Tag. Sie berichteten, dass eine deutliche Besserung in den beiden Gruppen mit Ziprasidon gegenüber der Monotherapie mit Sertralin zu beobachten war, aber kein statistisch signifikanter Effekt gefunden wurde [20].
Aripiprazol wurde 2008 von der FDA in der Indikation Augmentation bei unipolarer Depression bereits zugelassen. Aripiprazol und Risperidon sind nach Studienlage für eine augmentative Behandlung unipolarer Depression bislang am besten geeignet [55].
Melatoninagonist und selektiver Serotonin2c-Antagonist (MT1/MT2)
Die Sekretion von Melatonin unterliegt einem streng zirkadianen Rhythmus [40]. Agomelatin ist ein starker synthetischer Agonist an MT1- und MT2-Rezeptoren [77] mit antagonistischen Eigenschaften für den Serotonin2C- (5-HT2C-)Rezeptor [48].
Die antidepressiven Eigenschaften und das gute Verträglichkeitsprofil von Agomelatin, insbesondere bei einer Dosierung von 25 bis 50 mg/Tag, sind in verschiedenen randomisierten kontrollierten klinischen Studien, auch im Vergleich zu Venlafaxin gezeigt worden [33, 38, 43, 44, 54]. Die Überlegenheit von Agomelatin gegenüber Plazebo in diesen Studien konnte auch nach Stratifizierung der Patienten für alle Schweregrade der Depression bestätigt werden [49]. Erste Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Studie, in der die Unterstützung des Ruhe-Aktivitäts-Zyklus sowie die Wirkung auf Angstsymptomatik im Vergleich zu Sertralin untersucht wurden, zeigten eine statistisch signifikante Überlegenheit von Agomelatin [31]. In allen bis dato veröffentlichten klinischen Studien hatte Agomelatin ein besseres Profil der Sicherheit und Verträglichkeit als etablierte Antidepressiva. Unerwünschte Ereignisse wie Benommenheit, Juckreiz, Nasopharyngitis und Influenza der Patienten traten in einer Studie bei der Behandlung mit Agomelatin im Vergleich zu Plazebo etwas häufiger auf [33].
Pflanzliche Antidepressiva – Hypericum perforatum
Die meisten Untersuchungen von pflanzlichen Antidepressiva existieren zur Behandlung mit Johanniskraut (Hypericum perforatum). Serotonerge Mechanismen und eine Inhibition der MAO wurden als antidepressive Wirkungsmechanismen diskutiert [17].
Die ersten Studien ergaben, dass Hypericum geeignet sei für die Behandlung von milden bis mittelschweren depressiven Syndromen [29, 30, 37, 68, 74], wenn die Präparationen genügend hohe Konzentrationen von Hypericin beinhalten. In einigen Ländern ist es in dieser Indikation bereits zugelassen.
In randomisierten, kontrollierten Studien war kein signifikanter Unterschied zwischen Hypericum und den SSRI Fluoxetin, Paroxetin und Sertralin zu beobachten. Allerdings waren die Raten der Remissionen bei mit SSRI behandelten Patienten höher [11]. Im Vergleich mit Imipramin wurden in der Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit gezeigt [56, 71]. Eine Metaanalyse ergab 2005, dass die Daten zu Hypericum inkonsistent seien [41]. In einem kürzlich veröffentlichten Update schlossen die Autoren, dass Hypericum eine vergleichbare Wirksamkeit besitzt wie synthetische Antidepressiva, jedoch weniger Nebenwirkungen aufweist [42]. In einer Umfrage bei 725 Patienten ergab sich auch eine gute Wirkung auf somatoforme Symptomatik [5].
Die Studien zeigten eine signifikant bessere Verträglichkeit im Vergleich mit SSRI und TZA. Insbesondere war die Behandlung mit Hypericum ohne anticholinerge Nebenwirkungen, Sedierung, gastrointestinale Störungen und sexuelle Dysfunktion [67]. Allerdings sollte auf das Risiko der Photosensibilisierung [30] und pharmakokinetische Interaktionen achtgegeben werden. Da Hypericum an serotonergen Mechanismen und der Inhibition der Monoaminoxidase beteiligt ist, sollte der gleichzeitige Gebrauch von einem SSRI oder MAOI vermieden werden [17]. Auch andere Interaktionen von Medikament und pflanzlichen Stoffen sind möglich, etwa eine Interaktion von Hypericumextrakt und Digoxin [28] oder Auswirkungen auf die Plasmaspiegel anderer Substanzen wie Cyclosporinen oder Kontrazeptiva, speziell im Falle einer niedrig dosierten oralen Kontrazeption [51].
Experimentelle Entwicklungen
Tachykinin-Rezeptor-Antagonisten
Die Peptidfamilie der Tachykinine [63], insbesondere Substanz P (SP), hat Aufmerksamkeit auf sich gezogen anlässlich einer weiteren Entwicklung innerhalb der antidepressiven Pharmakotherapie [35, 63]. Rezeptor für SP ist der Tachykinin-Rezeptor NK1 [63].
Obwohl verschiedene synthetische Antagonisten für den NK1-Rezeptor verfügbar sind [63], wurden allein die Ergebnisse der klinischen Studien mit zwei Substanzen veröffentlicht. In einer ersten doppelblinden randomisierten Pilotstudie zeigten sowohl der NK1-Antagonist MK869 (Aprepitant) als auch Paroxetin eine signifikant bessere Wirksamkeit als eine Plazebo-Behandlung [35]. In einer weiteren Studie konnte jedoch keine Überlegenheit von Aprepitant über Plazebo gezeigt werden. Eine Nachfolgesubstanz zeigte eine signifikante, aber relativ geringe Überlegenheit bei der Reduktion des Scores der HAM-D im Vergleich zu Plazebo. Zusätzlich bestätigte eine folgende Studie die antidepressiven Eigenschaften eines weiteren NK1-Antagonisten [36], aber die ersten vielversprechenden Ergebnisse konnten in den folgenden Studien nicht bestätigt werden.
Typische milde und vorübergehende unerwünschte Wirkungen der Behandlung mit NK1-Antagonisten waren Kopfschmerz, Benommenheit, Schwindel, Kraftlosigkeit und Müdigkeit [35]. Trotz der zunächst vielversprechenden Studienergebnisse ist derzeit keine Zulassung einer Substanz dieser Wirkstoffgruppe für die Depressionsbehandlung absehbar.
Nikotinerge Antagonisten
Erst kürzlich wurde eine Plazebo-kontrollierte Studie vorgestellt, in der 192 Patienten, die nach Monotherapie mit Citalopram eine unzureichende Besserung zeigten, randomisiert mit Mecamylamin behandelt wurden [19]. Es ergab sich ein statistisch signifikanter positiver Effekt für die Gruppe der mit Mecamylamin behandelten Patienten. Der Autor berichtete, dass die Substanz zur Augmentation bei Patienten, die ungenügende Response auf die Behandlung mit Citalopram zeigten, durchaus Erfolg versprechend sei.
NMDA-Antagonisten
Berman et al. berichteten von einer Studie mit dem NMDA-Antagonisten Ketamin bei sieben depressiven Patienten, die über zwei Tage mit Verum oder Plazebo behandelt wurden [8]. Sie beobachteten eine deutliche Besserung der depressiven Symptomatik nach intravenöser Gabe von Ketamin innerhalb von 72 Stunden und schlossen daraus, dass NMDA-Antagonisten eine potenzielle Bedeutung in der Behandlung von Depressionen haben.
In einer weiteren Studie wurden 19 Patienten mit therapieresistenter Depression mit Riluzol behandelt. Riluzol blockiert Glutamat, wobei noch unklar ist, an welchen Rezeptor es bindet. Die Remissionsrate nach sechs Wochen wurde mit 21% angegeben, während die Responserate 46% betrug [75].
Memantin ist ein nichtkompetitiver NMDA-Rezeptorantagonist mit niedriger bis mittlerer Affinität. Es ist zugelassen zur Behandlung der Alzheimer-Demenz. In einer doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie wurden 32 Patienten mit einer Depression mit Memantin behandelt [76]. Allerdings konnten die Autoren keinen antidepressiven Effekt beobachten.
Behandlungsstrategien mit Beeinflussung des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems (HPA)
Insgesamt neun randomisierte kontrollierte Studien, in denen die antiglucocorticoide Behandlung bei Patienten mit unipolarer Depression (5 Studien), unipolarer Depression mit psychotischen Merkmalen (3 Studien) und bipolarer affektiver Störung (1 Studie) untersucht wurde, wurden in einen systematischen Review eingeschlossen [22]. Die Patienten wurden mit Mifepriston, Ketoconazol, Metyrapon und Dehydroepiandrosteron (DHEA) behandelt. Die Analyse ergab eine signifikante Differenz im Summenscore der HAM-D für nichtpsychotische Depression (unipolar und bipolar), während sich kein signifikanter Effekt bei psychotischer Depression zeigte.
Antagonisten des CRH1-Rezeptors
Der CRH1-Rezeptor ist einer von zwei beschriebenen Rezeptoren für das Corticotropin-releasing Hormon (Corticoliberin, CRH). Ein CRH1-Rezeptorantagonist wurde bei depressiven Patienten in einer kleinen, offenen Studie untersucht, welche eine deutliche Reduktion des HAM-D- und HAM-A-Scores während einer 4-wöchigen Behandlung zeigte. Die Aktivität des HPA-Systems wurde nicht verändert nach Gabe des CRH1-Rezeptorantagonisten [78]. Dies zeigt, dass die Substanz selektiv den CRH1-Rezeptor blockiert, während das HPA-System auch unter der Kontrolle des CRH2-Rezeptors ist. Die Substanz wurde, nachdem eine Erhöhung der Leberenzyme im Laborscreening gefunden wurde, nicht weiterentwickelt.
In eine 6-wöchige randomisierte, Plazebo-kontrollierte Studie mit einem selektiven CRH1-Antagonisten (CP-316,311) wurden kürzlich 123 Patienten mit einer Major Depression eingeschlossen und mit dem CRH1-Antagonisten, Sertralin oder Plazebo behandelt. Allerdings zeigte die Interimsanalyse, dass hinsichtlich des HAM-D-Scores der CRH1-Antagonist ähnlich wie Plazebo Sertralin signifikant unterlegen war. Die Studie wurde daher beendet [9].
Inhibitoren der Steroidsynthese
In Fallserien und offenen Studien wurden antidepressive Wirkungen des Antimykotikums Ketoconazol berichtet. In einer Plazebo-kontrollierten Studie wurden Hinweise auf eine mutmaßliche antidepressive Wirksamkeit von Ketoconazol nur bei hypercortisolämischen, aber nicht normocortisolämischen Patienten gefunden [72]. Eine andere Plazebo-kontrollierte, doppelblinde Studie bei therapieresistenten Patienten zeigte keine hinreichende antidepressive Wirksamkeit [46].
Ähnliche antidepressive Wirksamkeit wurde auch für Metyrapon in Fallserien und offenen Studien gezeigt. In einer Plazebo-kontrollierten, doppelblinden Studie bei acht Patienten wurde eine Reduktion des Scores der MADRS von mehr als 50% innerhalb von zwei Wochen Behandlung beschrieben [53]. Beim Vergleich von Metyrapon mit Plazebo zusätzlich zu einer serotonergen antidepressiven Behandlung konnte eine signifikante Steigerung der antidepressiven Wirksamkeit beobachtet werden [27]. Gleichwohl fehlt eine definitive Prüfung der antidepressiven Eigenschaften von Ketoconazol und Metyrapon.
Neuroaktive Steroide
Neuroaktive Steroide modulieren Rezeptoren der Neurotransmitter [57] und zeigten antidepressive und anxiolytische Eigenschaften in Tierstudien [10, 34].
Dehydroepiandrosteron (DHEA) ist ein neuroaktives Steroid, welches antagonistische Eigenschaften an GABA-A-Rezeptoren und antiglucocorticoide Wirkungen aufweist [57, 58, 73]. Eine erste Plazebo-kontrollierte, doppelblinde Studie wurde mit DHEA als Add-on-Behandlung bei depressiven Patienten durchgeführt und zeigte eine signifikante Reduktion des HAM-D-Scores bei DHEA-behandelten Patienten [73]. Im Gegensatz hierzu wurde bei depressiven Patienten eine erhöhte Konzentration von DHEA im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden gefunden [26], was der Indikation von DHEA als eine Behandlungsoption bei depressiver Störung zu widersprechen scheint. In eine individuelle Nutzen-Risiko-Analyse dieser noch experimentellen Augmentationsstrategie muss vor allem bei Patientinnen ein möglicherweise erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und eine Risikoerhöhung für Neoplasien der Mamma miteinbezogen werden.
Antagonisten des Glucocorticoid-Rezeptors
Synthetische Antagonisten des Glucocorticoid-Rezeptors blockieren die Wirkungen von Cortisol am Glucocorticoid-Rezeptor. In ersten Fallstudien besserte der Antagonist des Glucocorticoid/Progesteron-Rezeptors Mifepriston – in manchen Ländern zur Beendigung der Schwangerschaft im ersten Trimester benutzt – die depressiven Symptome bei Antidepressiva-resistenten Patienten [50]. Eine offene Studie bei Patienten mit einer psychotischen Major Depression zeigte eine deutliche Reduktion im Score der Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS) bei der Mehrheit der Patienten [7]. Eine Plazebo-kontrollierte Fallserie bei fünf Patienten, die an einer psychotischen Depression litten, erbrachte eine Reduktion des Scores der HAM-D von bis zu 26% [6].
Von 2004 bis heute wurden mehrere Studien der Phase II und Phase III mit Mifepriston durchgeführt mit dem Ziel der Behandlung psychotischer Merkmale bei Major Depressionen und Alzheimer-Demenz. Teilweise verfehlten diese Studien ihren Endpunkt [52]. Aufgrund der antagonistischen Wirkungen von Mifepriston am Progesteron-Rezeptor scheint der Nutzen dieser Substanz als Antidepressivum begrenzt.
Schlussfolgerungen
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Möglichkeiten der antidepressiven Behandlung stetig erweitert. Einige der neuen Substanzen (Duloxetin, Escitalopram, Bupropion) sind bereits seit Längerem zugelassen, Agomelatin wurde von der EMEA Anfang 2009 zugelassen. Die sogenannten dual-wirksamen Antidepressiva, Duloxetin und Venlafaxin, zeigten auch gute Ergebnisse hinsichtlich der besonderen Wirksamkeit bei somatischen Symptomen der Depression und Duloxetin ist zudem bereits in der Indikation neuropathische Schmerzen zugelassen.
Der erste Inhibitor der Monoaminoxidase B, Selegilin, wurde in den USA als erstes transdermal anzuwendendes Antidepressivum zugelassen. Im Gegensatz zu den nichtselektiven und irreversiblen MAOI ist bei niedrigen Dosierungen keine tyraminarme Diät notwendig.
Die Kombination von selektiven Wirkungsmechanismen als Erweiterung der antidepressiven Behandlung wird in den letzten Jahren intensiv untersucht, wenn auch neben der synergistischen Wirkung in Bezug auf erwünschte Wirkungen vor der Addition unerwünschter Wirkungen gewarnt wird. Für die Augmentation der antidepressiven Behandlung mit Aripiprazol liegt bereits eine Zulassung der FDA vor und Quetiapin sowie Risperidon zeigen in den Untersuchungen vielversprechende Ergebnisse.
Die Einführung von Agomelatin bedeutet, dass ein Antidepressivum mit einem neuen Wirkungsprinzip (agonistische Wirksamkeit auf Melatoninrezeptoren) erhältlich ist. Wenn auch in den ersten veröffentlichten Studien kein deutlicher Vorteil hinsichtlich der antidepressiven Wirksamkeit gegenüber anderen Antidepressiva gefunden werden konnte, könnte es doch eine dritte Generation der Antidepressiva begründen. Zumindest wäre es das erste nicht antihistaminerg wirkende und nicht direkt sedierende Antidepressivum mit polysomnographisch nachgewiesener schlaffördernder Wirkung.
Außerdem werden weitere auf nikotinerge und glutamaterge Rezeptoren antagonistisch wirkende Substanzen untersucht sowie solche, die das Glucocorticoid-System modulieren (Antagonisten des CRH1-Rezeptors, Inhibitoren der Steroidsynthese, Antagonisten des Glucocorticoid-Rezeptors).
Neben den psychopharmakologischen Ansätzen zur Behandlung von Major Depressionen stehen weiterhin obligatorisch psychotherapeutische (kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle Psychotherapie) sowie auch apparative etablierte Behandlungsmethoden, wie die Elektrokonvulsionstherapie, oder noch experimentelle Therapien wie die transkranielle Magnetstimulation, die in einigen Ländern bereits zur Behandlung depressiver Erkrankungen zugelassen ist, zur Verfügung.
In der nächsten Zeit wird es von großem Interesse sein, zu beobachten, ob die neu eingeführten Antidepressiva wie die bisherigen serotonergen, noradrenergen und dopaminergen Substanzen auch bei langfristiger Anwendung weiterhin Vorteile hinsichtlich einer besseren Verträglichkeit aufweisen und ob es gelingt, Substanzen zu entwickeln, mit welchen insbesondere die bisherigen Nachteile einer antidepressiven Pharmakotherapie, die zu niedrigen Responseraten und die zu lange Wirklatenz, überwunden werden können.
Schon heute ist es jedoch möglich, ein breites Repertoire pharmakotherapeutischer Möglichkeiten zu nutzen, die nicht nur immer verträglicher werden, sondern in zunehmendem Maße auch an Erfordernisse einzelner Patienten, beispielsweise hinsichtlich der Zielsymptomatik oder einer gleichzeitig vorhandenen somatischen Komorbidität, also individualisiert, angewendet werden können.
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(Das Literaturverzeichnis einschließlich der Titel der zitierten Artikel finden Sie im Internet unter www.ppt-online.de → Inhalt → Heft 4/2009.)
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Dr. med. Christoph Born, Priv.-Doz. Dr.med. Thomas C. Baghai, Prof. Dr. med. Rainer Rupprecht, Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig Maximilians-Universität, Nussbaumstraße 7, 80336 München, E-Mail:christoph.born@med.uni-muenchen.de
Antidepressive therapy – current developments
Since the development of the first tricyclic antidepressants and monoaminoxidase-inhibitors in the 50s of the last century much more approaches of pharmacological treatment of depression have been developed. After the first generation of antidepressants a second generation was established with the selective serotonin reuptake-inhibitors about twenty years ago. In the following years treatments were developed which provided also selective action, but combine serotonergic, noradrenergic and dopaminergic transmission – with the exception of reboxetin, which is acting selectively on noradrenergic transmission. In spite of these multiple approaches the percentage of patients who experience insufficient response to treatment is relatively high.
Looking for possibilities of antidepressant treatment more options were investigated in the past years. Metabolites of the established substances are investigated and strategies of augmentation, for instance with atypical antipsychotics, but also compounds targeting melatonergic mechanisms or cortisol secretion are of interest.
In this article we provide a summary of current developments.
Keywords: Major depression, antidepressants, pharmacological treatment, new developments
Psychopharmakotherapie 2009; 16(04)