Venlafaxin

Ist der Austausch von Venlafaxin-haltigen Retardarzneimitteln kritisch?


Dr. Tanja Saußele, Stuttgart

Nach der Einführung generischer Venlafaxin-Retardpräparate auf dem deutschen Markt sind viele Ärzte und Apotheker darüber verunsichert, ob ein Austausch der Präparate, auch im Hinblick auf bestehende Rabattvertäge, problematisch sein kann. Verschiedene Aspekte wie die biopharmazeutischen Eigenschaften oder die Bioäquivalenz von Venlafaxin-Retardpräparaten wurden im Rahmen eines Expertentreffens am 9. März 2009 in Oberursel von der Firma Socratec CSC in Zusammenarbeit mit medpharm forum, Stuttgart, diskutiert.

Seit dem 8. Dezember 2008 sind verschiedene Venlafaxin-Generika als Retardpräparate auf dem deutschen Markt. Derzeit ist das Venlafaxin-Retardpräparat des Originalanbieters Trevilor® retard für fünf verschiedene Indikationen zugelassen:

  • Depressive Erkrankung einschließlich Depressionen mit begleitenden Angstzuständen
  • Rezidivprophylaxe initialer depressiver Episoden oder neuer Episoden
  • Behandlung von mittelschweren bis schweren Angstzuständen
  • Soziale Phobie
  • Behandlung der Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie

Die verschiedenen Venlafaxin-Retardpräparate umfassen verschiedene Darreichungsformen wie Multiple-Unit-Systeme (z.B. Pellets) oder Unit-Dose-Systeme (z.B. Matrixtabletten).

Immer wieder stellt sich bei Ärzten und Apothekern die Frage, ob es kritisch sein könnte, auch in Anbetracht der bestehenden Rabattverträge, solche Präparate vom Erstanbieter zu einem Generikum oder auch unter Generika auszutauschen.

Bioäquivalenz

In der Leitlinie „Gute Substitutionspraxis“ (GSP) der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) werden Antidepressiva und auch Retardarzneimittel als Arzneimittelgruppen bzw. Darreichungsformen eingestuft, bei denen eine Substitution kritisch sein kann. Die Depression ist eine Erkrankung, bei der eine sorgfältige Einstellung des Patienten sowie die Überwachung für den Behandlungserfolg als auch für die Vermeidung oder Verringerung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb darf eine Substitution nur dann erfolgen, wenn zuverlässige Bioäquivalenzdaten für das zu substituierende Arzneimittel vorliegen.

Ein Generikum muss solchen Bioäquivalenz-Kriterien entsprechen. Das bedeutet, dass das 90%ige Konfidenzintervall für die AUC(Area under the curve)- als auch für die cmax-Werte in Europa innerhalb von 80 bis 125% der Werte des Originalpräparats liegen muss.

Bei Wirkstoffen mit enger therapeutischer Breite wird jedem Arzt und Apotheker sofort klar sein, dass eine Substitution bei einem gut eingestellten Patienten aus biopharmazeutischer Sicht kritisch sein kann.

Handelt es sich bei Venlafaxin unter diesem Aspekt um einen Wirkstoff, der nicht substituiert werden sollte? Aus pharmakokinetischer Sicht ist Venlafaxin kein „kritischer“ Arzneistoff. Venlafaxin ist sehr hydrophil und kann unabhängig von der Nahrung eingenommen werden. Die zugelassenen Indikationen stellen keine vitalen Indikationen dar und auch die therapeutische Breite ist nicht eng.

In einer kanadischen Studie mit 24 gesunden Männern wurden die unerwünschten Arzneimittelwirkungen Übelkeit und Erbrechen mit einem Venlafaxin-Generikum jedoch häufiger beobachtet als mit dem Originalpräparat. Der cmax-Wert des Generikums lag bei 124,5% des Originalpräparats.

In Kanada gelten jedoch andere Bestimmungen. Dort muss nicht, wie in Europa, das 90%ige Konfidenzintervall für die AUC- und cmax-Werte innerhalb von 80 bis 125% liegen, sondern lediglich die Punktschätzer müssen innerhalb dieser Grenzen liegen. Das bedeutet, dass ein solches Präparat mit einem 90%igen Konfidenzintervall von 115,62–134% nach den EU-Kriterien in Deutschland keine Zulassung erlangt hätte.

Therapeutische Äquivalenz

Derzeit müssen Bioäquivalenzdaten in den Fachinformationen nicht veröffentlicht werden. Leider geben nur einige Firmen Informationen zur Bioverfügbarkeit an, was zu einer mangelnden Transparenz zwischen den Unterschieden der verschiedenen Präparate führt.

Weitere Studien, in denen nicht nur die Bioäquivalenz, sondern auch eine therapeutische Äquivalenz zwischen dem Originalpräparat und einem Generikum verglichen wurde, sind nicht veröffentlicht. Durch die unterschiedlichen Darreichungsformen können die Wirkstoffkonzentrationen, wenn auch innerhalb des zugelassenen Schwankungsbereichs, variieren.

Derzeit treffen beispielsweise bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker monatlich zwei bis drei Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen wegen eines Präparateaustauschs aufgrund eines Rabattvertrags ein. Konsequente Meldungen können eine aussagekräftige Analyse ermöglichen. So müssen bei Biosimilars Nebenwirkungen im Rahmen eines Risk-Management-Plans gemeldet werden. Eine systematische Erfassung solcher Daten auch bei Generika wäre wünschenswert.

Fazit

Aus biopharmazeutischer Sicht steht einem Austausch von Venlafaxin-haltigen Retardpräparaten nichts entgegen. Grundsätzlich sollte bei der Pharmakotherapie jedoch beachtet werden, dass kein zu häufiger Wechsel stattfinden sollte, dass therapeutisch gleichwertige Präparate verwendet werden und dass natürlich auch die Compliance des Patienten berücksichtigt wird, insbesondere bei depressiven Patienten, die einer Psychopharmaka-Therapie per se kritisch gegenüber stehen.

Quelle

Prof. Dr. Ion-George Anghelescu, Berlin, Dr. Jürgen Bausch, Bad Soden, Gerald Beuerle, Ulm, Prof. Dr. Christoph Gleiter, Tübingen, Priv.-Doz. Dr. Peter Andreas Löschmann, Münster, Dr. Katja Renner, Wassenberg, Prof. Dr. Hans-Peter Volz, Werneck, Markus Wiedmann, Holzkirchen, Prof. Dr. Werner Weitschies Greifswald, Dr. Petra Zagermann-Munke, Eschborn. Expertengespräch „Austauschbarkeit von Venlafaxin-Retardarzneimitteln“, veranstaltet von Socratec CSC in Zusammenarbeit mit medpharm forum, Stuttgart, 9. März 2009, Oberursel.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(04)