Psychopharmaka-Verordnungen: Ergebnisse und Kommentare zum Arzneiverordnungsreport 2008*


Jürgen Fritze, Pulheim

Auch der jüngste Arzneiverordnungsreport kann von einem fundamentalistischen Angriff gegen die Psychopharmaka nicht lassen: „Die Beurteilung der Effektivität der Behandlung mit Psychopharmaka ist nach wie vor problematisch. Die Überlegenheit von Psychopharmaka gegenüber Plazebo wurde 4,9fach häufiger in industriegesponsorten klinischen Studien dargelegt, bei denen mindestens ein Autor einen ‚financial conflict of interest’ angegeben hatte. Daher sind Studien mit Psychopharmaka mit Vorsicht und bezüglich ihrer Validität für die therapeutische Praxis kritisch zu interpretieren” – so der Report erneut unter Berufung auf Perlis et al. (2005). Das suggeriert unverändert einen Generalverdacht, der psychopharmakologischen Evidenz (und den Zulassungsentscheidungen der Behörden) sei besonderes Misstrauen entgegen zu bringen. Perlis et al. betonten, dass sie einen für die gesamte medizinische Literatur bekannten Befund replizierten. Zweifellos bedarf jede Studie der sorgfältigen, kritischen Interpretation. Indem aber jede Zulassungsstudie zwangsläufig industriegesponsort ist, stellt der Arzneiverordnungsreport das gesamte Zulassungsverfahren jedweder Arzneimittel in Frage.
Schlüsselwörter: Psychopharmaka, Pharmakoepidemiologie
Psychopharmakotherapie 2009;16:121–33.

Damit reiht sich auch dieser Report ein in eine allgemeine Stimmung, den von der pharmazeutischen Industrie generierten Daten nicht zu trauen und an der klinischen Relevanz des Zusatznutzens moderner Psychopharmaka zu zweifeln. Dass man damit, das „Glas lieber als halb leer denn als halb voll” wahrzunehmen, Schlagzeilen ernten kann, hat die Debatte über die Wirksamkeit der Antidepressiva erneut offenbart. Wem ein halb gefülltes Glas nicht wert erscheint, der kann nicht sehr durstig sein. Ob das die betroffenen Kranken auch so sehen?

Bedenklicher stimmt, wie häufig (15%) Studienergebnisse – hier zu Antidepressiva – günstiger publiziert wurden, als es den der Zulassungsbehörde vorgelegten Originaldaten entspricht [21], oder gar nicht publiziert werden (31%). Nachdem bereits ein umfangreiches Qualitätssicherungssystem für die Studiendurchführung (Monitoring, Auditing) existiert, ist es an der Zeit, weltweit durch Studienregister die Publikation auch negativer Ergebnisse zu erzwingen und eine Qualitätssicherung des traditionellen Peer-Review-Verfahrens im Publikationswesen einzuführen.

Der Arzneimittelumsatz der GKV ist 2007 gegenüber 2006 um 6,7% auf 27,8 Mrd. Euro gestiegen. Die Psychopharmaka (denen – abweichend vom Report – hier nicht nur Neuroleptika, Lithiumsalze, Antidepressiva und Anxiolytika zugeordnet werden, sondern auch Hypnotika und Antidementiva) liegen mit einem Umsatzanteil von 7,5% an Rang 1 der am häufigsten verordneten Arzneimittelgruppen.

Der Anteil der von Nervenärzten verordneten Tagesdosen ist diskret auf 2,78% gestiegen, womit sie einen – wachsenden – Umsatzanteil von inzwischen 8,8% (2,2 Mrd. Euro, Vorjahr 1,99 Mrd. Euro) beisteuern und damit an 3. Stelle nach Allgemeinärzten (42,3%) und Internisten (25,2%) stehen. Das Verordnungsspektrum von Nervenärzten ist also eher hochpreisig. 33% der von Nervenärzten verordneten Tagesdosen (57% des Umsatzes) entfallen auf neurologische (u.a. nichtpsychiatrische) Indikationen. Psychoanaleptika (Antidepressiva, Psychostimulanzien, Antidementiva) machen – mit steigendem Trend – 45% der von Nervenärzten verordneten Tagesdosen und 22% des Umsatzes aus, Psycholeptika (Antipsychotika, Lithiumsalze, Anxiolytika, Hypnotika) wie im Vorjahr 22% bzw. 21%. Wegen der 2007 erfolgten Umstellung der Berichterstattung auf ATC-Codes sind andere Differenzierungen innerhalb psychiatrischer Indikationen nicht mehr möglich.

Nervenärzte verordneten im Jahr 2007 39% (Vorjahr 38%) der definierten Tagesdosen (DDD) von Psychoanaleptika (Allgemeinärzte 39%, Internisten 10%) und 34% (Vorjahr 33%) der Psycholeptika (Allgemeinärzte 40%, Internisten 11%). 57% (Vorjahr 61%) der DDD von Parkinsonmitteln wurden von Nervenärzten verordnet, immerhin 29% (Vorjahr 32%) von Allgemeinärzten. Nervenärzte verordneten 32% (Vorjahr 30%) der Muskelrelaxanzien (Allgemeinärzte 33%, Vorjahr 37%). Unverändert nur 1% der DDD von Antithrombotika wurden nervenärztlich verordnet (Allgemeinärzte 66%, Internisten 30%), was nahe legt, dass sich Patienten nach ischämischem Hirninfarkt überwiegend nicht in andauernder nervenärztlicher Behandlung befinden.

Neue Neuropsychopharmaka

Unter den 31 im Jahre 2007 neu zugelassenen Wirkstoffen („Fricke-Liste”) finden sich als Neuropsychopharmaka Paliperidon (Invega®) mit der Indikation Schizophrenie, Tetrabenazin (Nitoman®) gegen die Hyper-/Dyskinesien bei Chorea Huntington und Spätdyskinesien sowie Vareniclin (Champix®) zur Raucherentwöhnung. Paliperidon wird als „Analogpräparat mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten“ (Bewertung C) klassifiziert, weil es aktiver Hauptmetabolit von Risperidon ist und nur gegen Plazebo und – was der Arzneiverordnungsreport ignoriert – als aktive Kontrolle in drei Studien gegen Olanzapin (10 mg/Tag) –, nicht aber gegen andere Antipsychotika und insbesondere Risperidon geprüft wurde. Solche Studien wären wirklich wünschenswert. Ohne solche Studien ist gar nicht beurteilbar, inwieweit Paliperidon eine Innovation darstellt. Der Cochrane-Review von Nussbaum und Stroup (2008) fand keine relevanten Unterschiede der Wirksamkeit von Paliperidon gegenüber Olanzapin. Eine 6-Wochen-Studie zum Vergleich von Paliperidon (9/12 mg/Tag) mit Quetiapin (600/800 mg/Tag) zeigte signifikante Überlegenheit von Paliperidon, wurde bisher aber nur auf verschiedenen Kongressen als Poster vorgestellt (z. B. Canuso et al., 20th Annual US Psychiatric and Mental Health Congress 2007; Alphs et al., CINP 2008), was eine belastbare Bewertung ausschließt.

Tetrabenazin wird als „innovative Struktur bzw. neuartiges Wirkprinzip mit therapeutischer Relevanz“ (Bewertung A) anerkannt und gleichzeitig als „Analogpräparat mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten“ (C). Tetrabenazin ist seit den 50er Jahren bekannt. Es entleert wie Reserpin die synaptischen Vesikeln monoaminerger, insbesondere dopaminerger Neuronen mit – im Unterschied zu Reserpin – gewisser Präferenz für das Gehirn. Angesichts der Alternativlosigkeit (Reserpin ist in der Praxis keine Alternative) darf die Bewertung A/C – die ohnehin semantisch hohe Ansprüche stellt – besonders verblüffen.

Auch Vareniclin wird als „innovative Struktur bzw. neuartiges Wirkprinzip mit therapeutischer Relevanz“ (Bewertung A) anerkannt und gleichzeitig als „Analogpräparat mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten“ (C). Die Gründe für die diskrepante Bewertung können nur erahnt werden; vermutlich weil die Überlegenheit von Vareniclin gegenüber Bupropion nach 52 Wochen nicht mehr signifikant war und Studien zum Vergleich mit Nicotinersatzpräparaten fehlen. Sozialrechtlich fällt Vareniclin unter die nach §34 SGB V ausgeschlossenen Arzneimittel.

Generika

Inzwischen haben Generika im Gesamtmarkt einen Verordnungsanteil von 65,4% (Vorjahr 60%) und einen Umsatzanteil von 36,5% (Vorjahr 35,9%). Im generikafähigen Markt ist der Verordnungsanteil der Generika auf 82,3% (Vorjahr 76,7%) gestiegen, der Umsatzanteil auf 75,4% (Vorjahr 74%). Wie hoch der Generika-Anteil im generikafähigen Psychopharmaka-Markt ist, lässt sich dem Arzneiverordnungsreport bezüglich der verordneten Tagesdosen nicht direkt entnehmen. Für einige Wirkstoffe enthält der Report bezüglich der verordneten Tagesdosen (DDD) nicht alle generischen Fertigarzneimittel, weshalb dann in Tabelle 1 nur der dem AVR zu entnehmende Umsatzanteil der Generika angegeben ist. Soweit aus den Daten ableitbar, liegen die Anteile hoch und steigen über die Jahre. Beachtenswert ist, dass manche generischen Produkte mit höheren Tagestherapiekosten als die Originalprodukte verbunden sind, so dass die Anteile am Umsatz höher als die an den Verordnungen liegen. Generika sind also nicht immer kostengünstiger, was Zielvereinbarungen ignorieren.

Tab. 1. Anteile generischer Fertigarzneimittel einiger antidepressiver und neuroleptischer Wirkstoffe an den Gesamtverordnungen und Umsätze

Verordnung (DDD)

Umsätze (Euro)

Wirkstoffe

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Antidepressiva

Imipramin

81%

81%

83%

83%

74%

75%

78%

77%

Amitriptylin

62%

66%

76%

80%

80%

81%

84%

56%

62%

75%

84%

84%

85%

87%

Amitriptylinoxid

50%

54%

56%

56%

58%

61%

46%

50%

54%

54%

57%

60%

Doxepin

74%

74%

79%

81%

83%

87%

91%

65%

66%

74%

76%

78%

81%

85%

Trimipramin

46%

49%

57%

62%

69%

78%

40%

46%

51%

54%

60%

67%

Clomipramin

15%

20%

41%

45%

46%

47%

13%

18%

39%

43%

47%

46%

Opipramol

75%

64%

Maprotilin

51%

62%

74%

69%

71%

78%

48%

61%

74%

69%

71%

72%

Fluoxetin

77%

90%

93%

93%

94%

96%

66%

76%

82%

82%

87%

94%

Paroxetin

57%

77%

84%

86%

89%

95%

52%

74%

82%

84%

86%

88%

Citalopram

68%

80%

83%

88%

93%

58%

72%

76%

79%

83%

Sertralin

49%

74%

34%

54%

Mirtazapin

26%

63%

80%

88%

22%

52%

67%

74%

Mianserin

79%

75%

100%

k.A.

75%

71%

100%

100%

Verordnungen (DDD)

Umsätze (Euro)

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Neuroleptika

Haloperidol

43%

41%

41%

44%

42%

45%

50%

31%

31%

42%

39%

42%

42%

Benperidol

59%

61%

60%

63%

67%

55%

58%

57%

57%

64%

Pipamperon

22%

29%

32%

38%

44%

21%

27%

31%

38%

43%

Sulpirid

85%

89%

88%

87%

87%

93%

82%

85%

88%

86%

86%

92%

Amisulprid

43%

???

40%

69%

Melperon

78%

83%

85%

86%

89%

93%

73%

81%

82%

83%

86%

90%

Promethazin

68%

69%

69%

72%

75%

62%

61%

60%

63%

76%

Fluphenazin

47%

50%

51%

???

34%

37%

38%

39%

Perazin

57%

60%

64%

66%

67%

71%

74%

56%

59%

62%

62%

67%

70%

Levomepromazin

54%

57%

59%

63%

62%

68%

73%

54%

55%

58%

57%

63%

64%

Thioridazin

22%

21%

41%

44%

50%

29%

28%

30%

34%

39%

Chlorprothixen

45%

49%

50%

54%

58%

41%

44%

46%

50%

53%

Clozapin

61%

65%

68%

69%

72%

73%

54%

58%

60%

60%

64%

64%

Die Rahmenvorgaben Arzneimittel 2009 (gemäß §84 SGB V) der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für die auf Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen zu schließenden Zielvereinbarungen sehen – ohne Evidenzbewertung – für die selektiv-serotonergen Antidepressiva, die bis auf Escitalopram (Cipralex®) generisch verfügbar sind, Mindestquoten der sogenannten Leitsubstanz Citalopram (nicht mehr auch Fluoxetin) bundeseinheitlich in Höhe von 50% vor (mit der Möglichkeit höherer Quoten im einzelnen Bundesland). Neu ist die Vorgabe einer Mindestquote von Amitriptylin in Höhe von 32% der Gruppe der nichtselektiven Monoamin-Wiederaufnahmehemmer. Die Vorgabe von Quoten bedeutet, dass formal der Anspruch des einzelnen Patienten auf Therapie gemäß des anerkannten Standes der Wissenschaft grundsätzlich nicht eingeschränkt wird. Darüber hinaus empfehlen die Rahmenvorgaben, auf regionaler Ebene für Generika Mindestquoten (und sogenannte Analogpräparate Maximalquoten) zu vereinbaren, so dass der Verordner bei denselben Arzneimittelgruppen zwei Mindestquoten (neben Richtgrößen und aut idem im Zusammenhang mit Rabattverträgen) zu berücksichtigen hat.

Verordnungsspektren

Antidepressiva

Die Anzahl verordneter Tagesdosen (DDD) von Antidepressiva hat von 2006 auf 2007 erneut – um 12% – zugenommen bei im Wesentlichen gleichbleibenden Umsätzen (+0,7%). Die Zunahme weicht vom allgemeinen Trend des Gesamtmarktes (Verordnungen +1,5%, DDD +5,5%, Umsatz 4,8%) ab (Abb. 1), was auf einen weiteren Rückgang der Unterbehandlung hinweist. Da dem Report kein Indikationsbezug möglich ist und der Umfang des Off-Label-Use unbekannt ist, sind Schlussfolgerungen bezüglich einzelner der zahlreichen gesicherten Indikationen (Übersicht bei [1]) der Antidepressiva unmöglich. Zum weiteren Wachstum können Indikationserweiterungen (bzgl. Angstkrankheiten) beigetragen haben. Seit 1994 haben die verordneten Tagesdosen (DDD) der chemisch definierten Antidepressiva rund 3,3-fach zugenommen. Eine eigentlich zu erwartende Sättigungstendenz zeichnet sich nicht ab.

Abb. 1. Arzneiverordnungen und -umsätze zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Die modernen Antidepressiva haben inzwischen einen Anteil von 64,6% (2006: 61,4%) der gesamten (ohne niedrig dosierte Neuroleptika und Johanniskraut-Extrakte) Antidepressiva-Verordnungen (DDD; Abb. 2) und 75,4% (2006: 73,2%) am Umsatz (Abb. 3). Wie anderenorts [4] beschrieben, wäre nach medizinischen Kriterien zu erwarten, dass der Verordnungsanteil (DDD) der modernen Antidepressiva an den Antidepressiva-Gesamtverordnungen bei annähernd 50% läge. Der Report legt – unter Berufung unter anderem auf die Metaanalyse von Kirsch et al. [15] – die Einschränkung der Verordnung von Antidepressiva bei leichter bis mittelschwerer Depression nahe, weil hier „der Plazeboanteil der Gesamtwirkung im Vordergrund“ stehe. Die Metaanalyse von Kirsch et al. wurde anderenorts von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) – insbesondere bezüglich der begrenzten Zahl berücksichtigter Wirkstoffe und Studien sowie des Ignorierens der Remission als Patienten-relevanter Endpunkt – kritisch kommentiert [6]. Auch unter ethischer Perspektive gilt es – trotz beschränkter Evidenz wegen weniger Studien – zu berücksichtigen, dass leichte Depression eine künftige schwere Depression prädiziert [16], grundsätzlich wie schwere Depression mit erhöhtem Suizidrisiko assoziiert ist [13] und dass eine lange Latenz bis zum Beginn einer wirksamen Therapie die Remission gefährden kann [11, 22]. Dies sollte im Einzelfall in die Therapieentscheidung einbezogen werden vor dem Hintergrund, dass die Evidenz für den Nutzen von Antidepressiva mager ist und auch bezüglich des Nutzens der Frühintervention erheblicher Forschungsbedarf besteht [10]. Erkennbare Risikofaktoren wie frühere Episoden einer schweren Depression, frühere Suizidversuche, familiäre Belastung mit affektiven Störungen, Anhalten der leichten Depression über mehrere (z.B. 8) Wochen sprechen für den Einsatz von Antidepressiva.

Abb. 2. Verteilung der Antidepressiva-Verordnungen (DDD) zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Abb. 3. Verteilung der Antidepressiva-Umsätze zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Eindrücklich ist der Effekt gesetzgeberischer Interventionen zu verzeichnen: Die Vorgabe von Citalopram und Fluoxetin als Leitsubstanzen in den Rahmenvorgaben 2008 der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben eine Zunahme der verordneten Tagesdosen (DDD) um 27,2% bzw. 24,3% bewirkt. Angesichts der – vom Report zu Recht als unakzeptabel bezeichneten – Nachteile von Fluoxetin bezüglich Interaktionspotenzial und langer Eliminationshalbwertszeit ist zu begrüßen, dass die Rahmenvorgaben 2009 nur Citalopram als Leitsubstanz nennen.

Der Report bestätigt die Einordnung von Escitalopram als Analogpräparat (im Jahr 2004), auch diesmal ohne sich mit neuer Evidenz auseinanderzusetzen. Escitalopram erwies sich als metaanalytisch signifikant dem (razemischen) Citalopram überlegen mit einer Number needed to treat (NNT) von 10 [12]. Dies wird mit einer antagonistischen Wirkung des R-Enantiomers erklärt. Escitalopram war in den beiden bisher durchgeführten Studien dem Venlafaxin zumindest ebenbürtig [12].

Als neuen Beleg für die begrenzte Wirksamkeit zitiert der Report unter anderem die – auf den ersten Blick tatsächlich ernüchternden – Ergebnisse ([20] und weitere Publikationen) des STAR*D-Projekts (Sequenced treatment alternatives to relieve depression) des National Institute of Mental Health (NIMH), die wegen der Praxisnähe („real world“ unter anderem durch Einbezug auch chronisch depressiv Kranker und Kranker mit somatischen Komorbiditäten, Remission Outcome) besonders relevant seien. Das ist die größte (4041 bzw. nach Einschlusskriterien 2876 ambulante Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren) und teuerste (35 Mio. US-Dollar) jemals durchgeführte Depressionsstudie. Nur 27,5% erreichten unter der initialen, offenen Therapiebedingung mit Citalopram (10 bis 60 mg, am Ende im Mittel 41,8 mg/Tag) eine Remission (Level 1). Nach randomisiertem Switching remittierten 21,3% unter Bupropion-SR, 18,1% unter Sertralin und 24,4% unter Venlafaxin-XR (Level 2) bzw. unter randomisierter Augmentation von Citalopram mit Bupropion-SR 29,7% und mit Buspiron 30,2% (Level 2). Nach erneut randomisiertem Switching der Nonresponder remittierten 12,3% unter Mirtazapin und 19,8% unter Nortriptylin (Level 3), schließlich jeweils etwa 10% nach randomisiertem Switch auf Tranylcypromin oder Mirtazapin plus Venlafaxin-XR (Level 4), so dass am Ende der rund sechs Monate immer noch etwa ein Drittel keine Remission erzielt hatte. Diese Remissionsrate über den gesamten Studienverlauf liegt in der Größenordnung der Spontanremissionsrate.

Die STAR*D-Autoren begrüßten die Remissionsraten als eher hoch, was sie tatsächlich sein können, wenn man die Baseline-Bedingungen der Patienten berücksichtigt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob STAR*D methodisch tatsächlich geeignet ist, Aussagen zur Wirksamkeit der Antidepressiva zu treffen. Eigentlich zielte STAR*D nur auf die Prüfung, welche Strategien wie Erfolg versprechend sind, wenn die vorherige Therapie versagte. Plazebo- oder Nichtbehandlungs-Arme fehlen. Eingangskriterium war, dass die Patienten überhaupt eine Präferenz für Pharmakotherapie äußerten, was ein Bias in Richtung artifiziell hoher Remissionsraten hätte sein können. Andererseits begünstigte das sequenzielle Design „Non-Response“, weil Symptompersistenz mit fortgesetzter kostenloser Therapie „belohnt“ wurde. Die Zuordnung der Patienten zu Switching oder Augmentation erfolgte nach Patientenpräferenz, so dass diese Bedingungen nicht verglichen werden können. Eine leichte Depression (HAMD17-Score ≥14) reichte für den Einschluss aus, im Mittel betrug der HAMD-Score bei Einschluss nur 20. Die Patienten hatten zuvor bereits fünf depressive Episoden bei einer Krankheitsdauer von 20 Jahren erlitten, die aktuelle Episode hatte bereits zwei Jahre bestanden. 75% hatten zumindest eine psychische Komorbidität.

Ein Drittel der Patienten war arbeitslos, ein Drittel verfügte über keine Krankenversicherung (die Patienten erhielten im Kontext von STAR*D kostenlose Therapie). Längere Indexepisode, psychische und somatische Komorbidität, Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen, niedriger Ausbildungsstand und männliches Geschlecht waren mit ausbleibender Remission assoziiert. Insgesamt weist STAR*D also eine Reihe von Besonderheiten auf, die die Validität, die eigentlich angestrebt wurde, relativieren. Auch die Idee, als NIMH-Studie komme STAR*D als Industrie-unabhängiger Studie eine besondere Objektivität zu, relativiert sich, wenn man bedenkt, dass eine Reihe der Autoren über enge Beziehungen zu einigen der einschlägigen pharmazeutischen Unternehmen verfügen und die Unternehmen die Prüfmedikation kostenfrei bereitgestellt hatten (könnte dies eine Erklärung sein, warum auf einen Studienarm mit Lithiumaugmentation, deren Wirksamkeit am besten untersucht ist, verzichtet wurde?).

Der Report widmet sich erneut – ausgewogen – dem Problem der Häufigkeit suizidaler Phänomene unter Antidepressiva; auf den Kommentar zum Arzneiverordnungsreport 2007 [8] sei verwiesen. Dasselbe gilt für das im Jahr 2004 gegenüber der Firma Wyeth verhängte – vom Report unscharf wiedergegebene – Verbot durch die FDA, mit der Behauptung einer Überlegenheit von Venlafaxin gegenüber SSRI zu werben. Inzwischen ist der sogenannte Vorbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur Nutzenbewertung von Venlafaxin und Duloxetin erschienen, der einen Zusatznutzen von Venlafaxin gegenüber SSRI in der Akuttherapie insbesondere bezüglich der Responseraten (bei den Remissionsraten wurde Signifikanz knapp verfehlt, wozu der Ausschluss einiger Studien beigetragen haben mag) sowie eine bessere Verträglichkeit im Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva und Duloxetin feststellt; für Details sei auf den Vorbericht (bei www.iqwig.dewww.iqwig.de) und den Fragenkatalog (bei www.dgppn.dewww.dgppn.de/de_stellungnahmen-2009_207.html) im Rahmen des Anhörungsverfahrens zum Vorbericht verwiesen.

Neuroleptika

Die Verordnung von Neuroleptika ist gestiegen, soweit sich über die Jahre ändernde Definitionen der DDD (+3%) für Neuroleptika durch die WHO eine Beurteilung erlauben. Die Umsatzsteigerung (+5,5%, Vorjahr +13%) ist am ehesten dem weiter gestiegenen Anteil moderner Antipsychotika auch infolge Indikationserweiterungen auf bipolare Störungen und Off-Label-Use zuzuschreiben.

Die modernen Antipsychotika können nicht als einheitliche Gruppe aufgefasst werden. Die atypischen Neuroleptika (Abb. 4) im engeren Sinne haben mit einem Anteil von 42% gegenüber 2006 (41%) bei den verordneten Tagesdosen erneut um 1 Prozentpunkt gewonnen (ca. 83% des Umsatzes (2006 81%, Abb. 5). Bezieht man Sulpirid, Zotepin und Melperon in diese Gruppe mit ein, so liegt der Anteil der DDD bei 49% mit 87% des Umsatzes. Zu Fragen Anlass gibt, dass die Verordnung von Amisulprid rückläufig (inzwischen fast halbiert) ist, seit es 2006 den Patentschutz verlor.

Abb. 4. Verteilung der Neuroleptika-Verordnungen (DDD) zu Lasten der GKV (AVR 1995–2008; Veränderungen über die Zeit z.T. bedingt durch Änderungen der DDD-Definition)

Abb. 5. Verteilung der Neuroleptika-Umsätze zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Die atypischen Neuroleptika setzen sich trotz Kostendrucks, der Debatte über Analogpräparate und der damit verbundenen persönlichen Risiken für den Arzt weiter durch. Die Zielvereinbarungen nach §84 SGB V, die ursprünglich auf Basis der Bewertung neuer Arzneimittel im jährlichen Arzneiverordnungsreport sogenannte Analogpräparate identifizierten und hier eine umsatzbezogene Maximalquote vorschreiben, scheinen sich auch im Jahr 2007 nicht bedeutsam ausgewirkt zu haben. Wie anderenorts [4] beschrieben, wäre nach medizinischen Kriterien für die Schizophrenien zu erwarten, dass der Anteil der verordneten Tagesdosen der atypischen Antipsychotika an den Neuroleptika-Gesamtverordnungen bei annähernd 25% läge. Damit überschreitet der Anteil seit dem Jahr 2002 diesen Schätzwert. Diese Schätzung ging davon aus, dass Patienten, die mit konventionellen Neuroleptika gut eingestellt sind, nicht auf atypische Neuroleptika umgestellt werden. Dies entsprach der dann 2002 vom National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) ausgesprochenen Empfehlung.

Der Report stellt erneut die – zweifellos heterogenen – Vorteile der modernen Antipsychotika in Frage unter Berufung unter anderem auf die Studien CATIE und CutLASS, was anderenorts hinterfragt wurde [2, 5], so dass es sich nicht lohnt, die Debatte hier wieder aufzunehmen. Zur Substitution patentgeschützter, moderner, sogenannter atypischer Neuroleptika schlägt der Report Risperdal® (und nicht den Wirkstoff Risperidon, das seit 2008 keinen Patentschutz mehr hat) vor. Diese Empfehlung ist schwer vereinbar mit den vom Report zitierten Ergebnissen der Studie des Kompetenznetzes Schizophrenie [9], wonach sich Risperidon gegenüber Haloperidol in vergleichbaren, angemessen niedrigen Dosen (2–3 mg/Tag) in der extrapyramidal-motorischen Verträglichkeit nur wenig abgrenzt.

Antidementiva/Nootropika

Von 2003 auf 2004 kam es – bei seit Jahren rückläufigen Verordnungen (Abb. 1) – zu einem 50%igen Einbruch der verordneten DDD (Umsatz –31%), der einem 85%igen Rückgang der Verordnungen (und Umsätze) von Ginkgo biloba infolge des grundsätzlichen gesetzlichen Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zuzuschreiben war, wenn auch Ginkgo in der Indikation Demenz vom Gemeinsamen Bundesausschuss in die OTC-Ausnahmeliste aufgenommen worden war. 2007 schrumpfte die Verordnung von Ginkgo biloba erneut um 13%, während die verordneten DDD der Antidementiva erstmals dezent (+1%) stiegen bei ausgeprägterer Umsatzsteigerung (+9%), weil die Cholinesterasehemmer (+13%) und Memantin (+7%) bei den verordneten DDD absolut gewachsen sind, verbunden mit einer Umsatzsteigerung von 15% bzw. 9%. Der jüngste Gesundheitsreport der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) lässt an die Möglichkeit denken, dass die zwar rückläufige, aber immer noch prominente Verordnung von Piracetam teilweise nicht den Demenzen gilt, sondern einem „Hirndoping“.

Trotz der Zunahme ihrer Verordnungen haben die Cholinesterasehemmer und Memantin die Kranken nicht sachgerecht erreicht: Donepezil, Rivastigmin und Galantamin hatten im Jahre 2007 einen Anteil von 39% (2006: 35%) an den Verordnungen (DDD; Abb. 6), aber von 60% (2006: 56%) am Umsatz (Abb. 7). Memantin verzeichnet einen Anteil von 23% (2006: 22%) an den Tagesdosen und 32% (2006: 32%) an den Umsätzen. Geht man von aktuell 650000 Alzheimer-Kranken aus und postuliert (realitätsfern) eine – wie eigentlich geboten – kontinuierliche Behandlung, so können diese Therapieoptionen bisher nominal etwa 22,4% der Betroffenen nutzen. Höhere Inanspruchnahme bedürfte erheblicher (nominal ca. 750 Mio. Euro) zusätzlicher Ressourcen [4].

Abb. 6. Verteilung der Verordnungen (DDD) von Nootropika/Antidementiva zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Abb. 7. Verteilung der Umsätze von Nootropika/Antidementiva zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Der Report würdigt diesmal auch den Abschlussbericht (2007) des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), der den Nutzen der drei Cholinesterasehemmer bezüglich der kognitiven Funktionen, der Aktivitäten des täglichen Lebens und des klinischen Globalurteils bestätigte; die eigentlich vom Gesetz geforderte Empfehlung (§35b(2) SGB V) an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Es ist weiterhin unklar, welche Schlussfolgerungen der G-BA ziehen wird. Zu Memantin wurde der IQWiG-Vorbericht veröffentlicht, der im Wesentlichen unzureichenden Zugriff auf grundsätzlich verfügbare Daten präsentierte; es darf gehofft werden, dass diese Probleme für den Endbericht behoben werden.

Entwöhnungsmittel

Bereits vielfach wurde in den Kommentaren zum Arzneiverordnungsreport auf die Widersprüchlichkeit des Ausschlusses von Mitteln zur Raucherentwöhnung (Buproprion [Zyban®]; Nicotin, Vareniclin [Champix®]) aus dem Leistungskatalog der GKV (§34 SGB V) hingewiesen: Der Ausschluss ist angesichts der Bedeutung des Rauchens als Risikofaktor für die führenden Todesursachen (u.a. Herzinfarkt und Malignome) medizinisch unplausibel. Er ist angesichts des Bekenntnisses auch der Bundesregierung zur Prävention, hier ein rauchfreies (Raucher-freies) Land zu realisieren (das Bundes-Nichtraucherschutzgesetz ist seit 01.09.2007 in Kraft), wenig plausibel: Der Ausschluss bleibt unlogisch. Der Gemeinsame Bundesausschuss prüft derzeit, ob im Rahmen von Disease-Management-Programmen (DMP) vom Ausschluss abgewichen werden kann.

Acamprosat wird in Anlage 4 der AMR ausdrücklich als bei Alkoholkrankheit verordnungsfähig genannt, wobei „zur Vermeidung eines nicht sachgerechten Einsatzes auf die bestimmungsgemäße Anwendung von Acamprosat ausschließlich als Zusatztherapeutikum im Rahmen einer psychosozial betreuten Abstinenzbehandlung“ hingewiesen wird. Die Verordnungen von Acamprosat (Abb. 8) sind von 2006 auf 2007 erneut gesunken (–5%). Allenfalls 5% der geeigneten Patienten werden erreicht, es bleiben also therapeutische Chancen ungenutzt. Dem leistet der Report Vorschub, indem er immer wieder die Datenlage unvollständig wiedergibt.

Abb. 8. Acamprosat Verordnungen und Umsatz (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Ein entsprechender Cochrane-Review ist noch nicht publiziert, nur das Protokoll (S Rösner, S Leucht, C Cook, P Loughlin, R Mangal 2003/2008) dazu. Die Promotionsarbeit [18], die Grundlage für den Cochrane-Review werden soll, ist aber bereits öffentlich zugänglich. Danach fanden sich 21 randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zu Acamprosat (und 20 RCTs zu Naltrexon). Von diesen 21 RCTs erwähnt der Report stereotyp nur 5. Die NNT für die Verhinderung eines Rückfalls in unkontrolliertes Trinken wurde für Acamprosat mit 9 ermittelt, für Naltrexon mit 17. Kiefer et al. [14] haben additive Effekte der Kombination von Acamprosat mit Naltrexon nachgewiesen: Die absolute Reduktion des Rückfallrisikos innerhalb 80 Tagen gegenüber Plazebo belief sich unter Acamprosat auf etwa 10%, Naltrexon 25%, Kombination 40% (extrahiert aus Abb. 2 bei [14]). Naltrexon ist in Deutschland – im Gegensatz zu den USA – unverändert in dieser Indikation nicht zugelassen.

Psychostimulanzien

Seit 1992 ist die Verordnung von Methylphenidat um den Faktor 65 gestiegen (Abb. 9). Der Report schreibt diese Zunahme dem Abbau der Unterversorgung von Patienten mit Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu. Ein Sättigungseffekt über die Zeit deutet sich bisher nicht an. Im Nordbaden-Projekt [19] ergab sich für das Jahr 2003 eine epidemiologisch nachvollziehbare Behandlungsprävalenz von 1,7% bzw. 0,6% für die Gruppe der 13- bis 19-Jährigen. Es fragt sich aber, ob die auffällige Konzentration der Behandlung mit einer gleichmäßigen, bedarfsgerechten (§70 SGB V) Versorgung vereinbar ist: 25% der Kinderärzte behandelten 79% aller von Kinderärzten gesehenen ADHS-Patienten, in der Gruppe der Kinder- und Jugendpsychiater betreuten 40% der Ärzte 86% aller von dieser Arztgruppe gesehenen ADHS-Patienten, während 20% dieser Ärzte keine einzige ADHS-Diagnose berichteten.

Abb. 9. Verordnungen und Umsätze von „Psychostimulanzien“ (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Unverändert ungelöst ist seit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. März 2002 das Problem des angeblichen Off-Label-Use bei Verordnung von Methylphenidat an Erwachsene mit ADHS [3]. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde das Expertengremium beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verankert. Dank einer Verordnung des Ministeriums für Gesundheit (BMG) im August 2005 widmet sich die Kommission nun auch der Psychopharmakologie. Die Kommission hat sich im Januar 2006 konstituiert. Da das BMG wegen vorläufiger Haushaltsführung Mittel nicht freigeben konnte, hat die Kommission ihre konkrete Arbeit erst 2007 aufnehmen können. Die Kommission kann nur Aufträge bearbeiten, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erteilt hat. Aus der Psychopharmakologie ist dies bisher allein ein Auftrag zur Frage der Vertretbarkeit des Off-Label-Use von Methylphenidat bei ADHS des Erwachsenen. Dieser Auftrag konnte bisher wegen laufender Zulassungsantragsverfahren nicht abschließend bearbeitet werden.

Antiepileptika

Die Verordnung von Antiepileptika hat über die Jahre massiv zugenommen (Abb. 10). Da der Report einen Indikationsbezug nicht ermöglicht, müssen Interpretationen vage bleiben. Die Prävalenz der Epilepsien dürfte sich nicht bedeutsam geändert haben, möglicherweise aber die Angemessenheit der Pharmakotherapie. Der Zuwachs ist im Wesentlichen der Einführung moderner Antiepileptika zu verdanken. Parallel haben einige Antiepileptika Indikationserweiterungen gewonnen, insbesondere den neuropathischen Schmerz, die bipolare Störung und die generalisierte Angststörung (nur Pregabalin). Eine Quantifizierung der Indikationsanteile ist anhand der Daten des Reports unmöglich (wenn auch den Krankenkassen grundsätzlich möglich), also auch eine Abschätzung des Versorgungsgrads.

Abb. 10. Verordnungsspektrum (DDD) von Antiepileptika im Verlauf zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Parkinsonmittel

Die Verordnungen (DDD) sowohl von Levodopa (nahezu ausschließlich in Kombination mit Decarboxylasehemmern) als auch Dopaminagonisten steigt grundsätzlich seit Jahren (Abb. 11). Nachdem für die Ergolinderivate Pergolid und Cabergolin ein deutlich erhöhtes Risiko u.a. für Herzfibrosen mit Valvulopathien erkannt wurde, ist deren Verordnung massiv zurückgegangen. Zu den Umsatzsteigerungen (Abb. 12) der letzten Jahre tragen ausschließlich die Dopaminagonisten und COMT-Inhibitoren bei.

Abb. 11. Verordnungen (DDD) von Parkinsonmitteln zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Abb. 12. Umsätze für Parkinsonmittel zu Lasten der GKV (Arzneiverordnungsreport 1995–2008)

Regionale Verordnungsgewohnheiten

Die föderale Struktur Deutschlands bietet grundsätzlich die Möglichkeit des Benchmarkings der Versorgung – hier mit Arzneimitteln – als quasi ideales Instrument der Qualitätskontrolle. Solches Benchmarking ist auch geboten, um zu prüfen, inwieweit der gesetzliche Anspruch auf eine gleichmäßig bedarfsgerechte Versorgung (§70 SGB V) eingelöst wird. Die dem Arzneiverordnungsreport zugrunde liegenden Daten enthalten den regionalen Bezug, werden aber bisher vom Arzneiverordnungsreport nicht in diesem Sinne genutzt. Regionalen Bezug (auf jede Kassenärztliche Vereinigung) bieten nur die auf derselben Datenbasis erstellten monatlichen Berichte des GKV-Arzneimittel-Schnellinformationssystems (GAmSi) des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO). Diese berichten aber nur über die jeweils 30 umsatzstärksten Fertigarzneimittel, ansonsten nur aggregiert auf Ebene von Indikationsgruppen.

Das GAmSi gibt aggregierte Informationen zu „Psychopharmaka” und fasst unter diesem Begriff wie der Arzneiverordnungsreport Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquillanzien, Phasenprophylaktika (z.B. Lithium) und Psychostimulanzien zusammen. Danach gab es im Jahr 2007 und 2008 (kumuliert bis 11/2008) ein Süd-Nord-Gefälle (mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern) mit den höchsten Verordnungsraten in Rheinland-Pfalz und im Saarland (Abb. 13). Der Variationskoeffizient zwischen den Bundesländern erreicht jeweils rund 8%. Da Verteilung und Variabilität der Verordnung von Psychopharmaka im Wesentlichen derjenigen auch im Jahr 2003 entsprechen, dürfte es sich eher nicht um zufällige regionale Schwankungen handeln. Da das Verteilungsmuster der gesamten Arzneimittelverordnungen eher ein Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle aufweist, liegt wohl kein generell unterschiedliches Inanspruchnahmeverhalten für Arzneimittel zugrunde. Ohne Indikationen- und Wirkstoffbezug müssen tragfähige Deutungsversuche scheitern.

Abb. 13. Verordnungen (DDD) und Ausgaben (netto) je GKV-Versicherten nach Bundesländern (Stand 11/2008) von Psychopharmaka im Vergleich zu allen Arzneimitteln [GKV-Arzneimittel-Schnellinformation der GKV, GamSi]

Auch bei den Parkinsonmitteln zeigt sich eine erhebliche Variabilität der je GKV-Versicherten verordneten Tagesdosen zwischen den Bundesländern, wobei aber eine gute Übereinstimmung mit dem jeweiligen Anteil der über 65-Jährigen erkennbar ist (Abb. 14), so dass die Variabilität grundsätzlich medizinisch plausibel ist. Das davon abweichende Verteilungsmuster der damit verbundenen Ausgaben je GKV-Versicherten (Variationskoeffizient 18%) ist dagegen erklärungsbedürftig.

Abb. 14. Verordnungen (DDD) und Ausgaben (netto) je GKV-Versicherten nach Bundesländern (Stand 11/2008) von Parkinsonmitteln im Vergleich zum Anteil [%] der über 65-Jährigen (GKV-Arzneimittel-Schnellinformation der GKV, GamSi, bzw. statistisches Bundesamt)

Für die Variabilität der je GKV-Versicherten verordneten Tagesdosen von Antiepileptika und der dafür investierten Ausgaben (Abb. 15; Variationskoeffizient 13% bzw. 14%) ist Plausibilität nicht ohne weiteres zu erkennen.

Abb. 15. Verordnungen (DDD) und Ausgaben (netto) je GKV-Versicherten nach Bundesländern (Stand 11/2008) von Antiepileptika [GKV-Arzneimittel-Schnellinformation der GKV, GamSi]

Literatur

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*Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.). Arzneiverordnungsreport 2008. Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag, 2008

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze, Asternweg 65, 50259 Pulheim, E-Mail: juergen.fritze@dgn.de


Prescribing patterns of psychotropic drugs in Germany: Results and comments to the Drug Prescription Report 2008

The Drug Prescription Report 2008 again questions the validity of the evidence concerning antidepressants and neuroleptics as biased by industry sponsorship. The report also questions the adequacy of the considerable absolute increase of the prescription of modern antidepressants as well as the increasing share of modern antipsychotics. The STAR*D trial is cited as supporting a limited effectiveness of antidepressants while ignoring ist methodological limitations. The newly launched paliperidone, tetrabenazine, and vareniclin are classified as me-toos. Generic prescription (86%) and sales (77%) of antidepressants are high as are those (67% and 64%, respectively) of neuroleptics. Prescriptions (DDD) of total antidementia drugs has been rising for the first time since 15 years while the share of modern antidementia drugs is increasing dramatically but covering, however, only slightly more than 20% of those in need. The report ignores the majority of the evidence for acamprosate and thus contributes to the undertreatment where only 5% of those potentially profitting are reached. Methylphenidate is growing continuously but the concentration of prescriptions to a minority of physicians is suspect of inadequacy. The heterogeneity of prescribing patterns within Germany needs explanation.

Keywords: Psychotropic drugs, pharmacoepidemiology

Psychopharmakotherapie 2009; 16(03)