Fibromyalgiesyndrom

Helfen Antidepressiva bei Fibromyalgie?


Dr. Birgit Schindler, Freiburg

Ein systematischer Review mit Metaanalyse hatte das Ziel, die Ergebnisse von kontrollierten Studien mit Antidepressiva bei Fibromyalgie zusammenzufassen. Für niedrig dosierte trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin) wurden dabei die größten positiven Effekte festgestellt, gefolgt von Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (Duloxetin). Für SSRI und für MAO-Hemmer waren die Effekte wesentlich kleiner.

Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist ein chronisches Schmerzsyndrom, von dem überwiegend Frauen betroffen sind. Die Betroffenen klagen über chronische, nicht-entzündlich bedingte Schmerzen des Bewegungsapparats und der Weichteile mit oft wechselnder Lokalisation, auslösbar durch Drücken von Schmerzpunkten an insgesamt 18 Stellen des Körpers. Für die Diagnose „Fibromyalgie“ müssen nach den Kriterien des US-amerikanischen Kollegiums für Rheumatologie (ACR) mindestens elf dieser als „Tenderpoints“ bezeichneten Stellen schmerzhaft auf Fingerdruck reagieren. Häufig kommen vegetative Funktionsstörungen, beispielsweise Müdigkeit, Schlafstörungen, Reizdarm, sowie psychische Auffälligkeiten wie depressive Verstimmungen, Kontaktstörungen oder Antriebsschwäche hinzu. Die Prävalenz des FMS in der europäischen Bevölkerung wird auf 0,5 bis 5,8% geschätzt.

Die Betroffenen nehmen vermehrt medizinische Leistungen in Anspruch. Es ist jedoch unklar, wie diese Krankheit effektiv behandelt werden kann. Bisher gibt es für FMS kein von der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA zugelassenes Medikament. Von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA wurden Pregabalin und der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin für die Indikation Fibromyalgie zugelassen.

Metaanalyse

Da Antidepressiva verschiedener Klassen häufig zur Therapie bei Fibromyalgie eingesetzt werden, hatte ein systematischer Review mit Metaanalyse das Ziel, die Ergebnisse von kontrollierten Studien mit Antidepressiva bei Fibromyalgie zusammenzufassen. Dafür wurden vier verschiedene Datenbanken (MEDLINE, PsycINFO, Scopus und Cochrane Library) bis einschließlich August 2008 nach relevanten Studien durchsucht. Eingeschlossen wurden randomisierte, Plazebo-kontrollierte Studien, die anerkannte Kriterien für die Diagnose des FMS verwendeten und in denen ein Antidepressivum als Monotherapie eingesetzt wurde. Als Endpunkte wurden die Symptome Schmerz, Erschöpfung, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und gesundheitsbezogene Lebensqualität gewählt. Zur Beurteilung der Relevanz der festgestellten Behandlungseffekte wurden drei Kategorien (kleiner, mittlerer oder großer Effekt) nach einer von Cohen entwickelten Methode gebildet.

Ergebnisse

In die Metaanalyse wurden 18 Studien mit 1427 Patienten, die die Behandlung beendeten, eingeschlossen. Das mediane Alter der Studienteilnehmer lag bei 47 Jahren. 98% der untersuchten Patienten waren Frauen. Die mediane Studiendauer betrug 8 Wochen.

Niedrig dosierte Trizyklika (Amitriptylin, Nortriptylin) reduzierten die Symptome Schmerz, Erschöpfung und Schlafstörungen signifikant (Tab. 1). Die Relevanz dieses Behandlungseffekts wird von den Autoren als „groß“ kategorisiert. Dabei wurde das Symptom „Schmerz“ verbessert, ohne dass sich depressive Verstimmungen besserten, das Schmerzempfinden wurde also nicht durch eine bessere Stimmung beeinflusst (die Wirkstoffe waren niedriger dosiert als bei der Indikation Depression üblich). Trizyklika waren zudem die einzige Wirkstoffgruppe, die das Symptom „Erschöpfung“ positiv beeinflussen konnten.

Tab. 1. Effektgrößen (95%-Konfidenzintervall) der verschiedenen Substanzklassen bei einzelnen Fibromyalgie-Symptomen im Vergleich zu Plazebo

Trizyklische Antidepressiva

SSRI

SNRI

MAO-Hemmer

Schmerz

Effektgröße

p-Wert

6 Studien:

–1,64 (–2,57; –0,71)

<0,001

6 Studien:

–0,39 (–0,77; –0,01)

0,04

3 Studien:

–0,36 (–0,46; –0,25)

<0,001

3 Studien:

–0,54 (–1,02; –0,07)

0,03

Erschöpfung

Effektgröße

p-Wert

4 Studien:

–1,12 (–1,87; –0,38)

0,003

5 Studien:

–0,17 (–0,47; 0,12)

0,25

1 Studie:

–0,08 (–0,20; 0,05)

0,23

1 Studie:

0,30 (–1,04; 1,64)

0,66

Schlafstörungen

Effektgröße

p-Wert

5 Studien:

–1,84 (–2,62; –1,06)

<0,001

4 Studien:

–0,23 (–0,56; 0,10)

0,18

2 Studien:

–0,31 (–0,47; –0,14)

<0,001

1 Studie

1,00 (–0,49; 2,49)

0,19

Depressive Sympt.

Effektgröße

p-Wert

1 Studie:

–0,60 (–4,53; 3,33)

0,76

5 Studien:

–0,37 (–0,66; –0,07)

0,02

2 Studien:

–0,26 (–0,42; –0,10)

0,001

1 Studie

0,18 (–2,16; 2,52)

0,88

Lebensqualität

Effektgröße

p-Wert

3 Studien:

–0,31 (–0,60; –0,01)

0,04

3 Studien:

–0,41 (–0,78; –0,05)

0,03

2 Studien:

–0,31 (–0,44; –0,17)

<0,001

k.A.

Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI; Duloxetin, Milnacipran) und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI; Fluoxetin, Citalopram, Paroxetin) wurden dagegen in den Studien in der bei Depressionen üblichen Dosierung angewendet. Dennoch war der Effekt auf das Symptom „depressive Verstimmung“ klein. Die Relevanz des Behandlungseffekts bei Schmerzen, Schlafstörungen und Lebensqualität wurde bei SNRI als „klein“ kategorisiert. Für SSRI wird keine Effektkategorie angegeben, was man so interpretieren kann, dass ein potenzieller therapeutischer Nutzen nach den Ergebnissen dieser Metaanalyse für diese Substanzen vernachlässigbar gering ist.

Auch für die Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer; Moclobemid, Pirlindol) wird keine Effektkategorie angegeben, so dass der geringfügig positive Effekt dieser Wirkstoffe auf das Symptom Schmerz von den Autoren wohl ebenfalls als therapeutisch nicht sehr relevant eingeschätzt wird.

Limitationen

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse sollten allerdings folgende Punkte bedacht werden:

  • Das Fibromyalgiesyndrom ist meist ein lebenslang bestehendes Beschwerdebild. Die Studiendauer der in dieser Metaanalyse eingeschlossenen Studien war mit durchschnittlich 8 Wochen eher kurz. Die langfristige Wirksamkeit der untersuchten Wirkstoffe ist damit ebenso ungeklärt wie die optimale Behandlungsdauer. Eine Nachuntersuchung nach Absetzen der Medikamente wurde in keiner Studie durchgeführt.
  • In keiner Studie wurde auf eine Komedikation mit Analgetika oder auf nichtpharmakologische Therapien adjustiert. Bei allen Studien war die zusätzliche Einnahme von Paracetamol erlaubt, bei 8 Studien durften zusätzlich auch nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder Codein eingenommen werden. Ob zusätzlich nichtpharmakologische Therapien angewendet wurden, wurde in keiner Studie detailliert beschrieben.
  • Leichte und mittlere psychische Störungen waren kein Ausschlusskriterium. Denkbar ist, dass Fibromyalgie-Patienten mit psychischer Komorbidität im Vergleich zu Patienten ohne diese psychischen Begleiterkrankungen überproportional stark von einer Behandlung mit Psychopharmaka profitieren.
  • Zwischen den eingeschlossenen Studien wurde bei der metaanalytischen Auswertung für die meisten Endpunkte eine signifikante Heterogenität festgestellt, so dass die neuen Schätzwerte mit Vorsicht zu genießen sind.

Fazit

Insgesamt gibt diese Veröffentlichung deutliche Hinweise auf eine im Vergleich zu anderen Antidepressiva –insbesondere im Vergleich zu SSRI – bessere Wirksamkeit niedrig dosierter Trizyklika bei Fibromyalgie. Würde man die Substanzklassen nach Gewinnern und Verlierern einteilen, was allerdings nach Ansicht der Autoren anhand ihrer Metaanalyse nicht erlaubt ist, müsste man den ersten Platz an Amitriptylin vergeben, den zweiten an Duloxetin. Verlierer wären die SSRI.

Quellen

Häuser W, et al. Treatment of fibromyalgia syndrome with antidepressants. A meta-analysis. JAMA 2009;301:198–209.

www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/041-004.htm. Interdisziplinäre S3-Leitlinie: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms, letzte Überarbeitung 07/2008.

Psychopharmakotherapie 2009; 16(03)