Stefan Oetzel, Tübingen
Der Immunmodulator Glatirameracetat (Copaxone®) verringert bei Patienten, die unter einer schubförmig remittierenden MS leiden, auch langfristig die Schubrate und stabilisiert oder verbessert den klinischen Befund, wie die Daten einer offen geführten Langzeitstudie belegen [2].
Entscheidend für einen optimalen Therapieerfolg ist aber ein möglichst früher Beginn der Behandlung: So ist die Entzündungsaktivität im ZNS in den ersten Jahren der Krankheit besonders ausgeprägt. Gleichzeitig werden die Nervenzellen bereits sehr früh – teilweise in Abhängigkeit von der Entzündung – irreversibel geschädigt. Eine hohe Krankheitsaktivität in der Frühphase kann demnach die Langzeitprognose entscheidend verschlechtern. Der Vorsprung, der durch sofortige Behandlung gegenüber einem späteren Therapiebeginn gewonnen wird, ist somit nicht mehr aufzuholen.
PreCISe-Studie: So früh wie möglich behandeln!
Der Einsatz von Glatirameracetat ist also bereits beim ersten Auftreten von Symptomen einer möglichen MS – dem so genannten klinisch isolierten Syndrom (CIS) – angezeigt. Dies kann zwar ein einmaliges Ereignis bleiben, etwa 85 % der unbehandelten CIS-Patienten entwickeln jedoch innerhalb von zwei Jahren eine nach Mc-Donald-Kriterien definierte MS. Dass Patienten mit einem erstmaligen klinischen Ereignis von einer Therapie mit dem Immunmodulator profitieren, belegen die Ergebnisse der PreCISe-Studie [3]. In deren Rahmen erhielten 481 CIS-Patienten mit pathologischem MRT-Befund Glatirameracetat (20 mg/Tag, subkutan) oder Plazebo. Eine Zwischenanalyse brachte folgende Ergebnisse:
- Unter dem Immunmodulator verringerte sich das Risiko, einen zweiten Schub und damit eine klinisch gesicherte MS zu entwickeln, signifikant um 45%, wobei bereits nach einigen Monaten eine Wirkung sichtbar war. Die Zeit bis zum zweiten Schub verzögerte sich durch die Behandlung mit Glatirameracetat um 386 Tage, also um mehr als das Doppelte (Abb. 1).
- Die kernspintomographische Auswertung ergab zudem, dass sich in der Verum-Gruppe weniger T2-Läsionen und Kontrastmittel anreichernde T1-Läsionen neu gebildet hatten.
- Die Therapie mit Glatirameracetat war für die Patienten gut verträglich und sicher. Bei Laborwerten, klinischem Bild und EKG ergaben sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen.
Abb. 1. Ausbildung eines zweiten klinischen Schubs und damit Manifestierung einer MS bei CIS-Patienten unter Glatirameracetat (GA). Der Immunmodulator verringert das Risiko, eine klinisch manifestierte MS (CDMS) zu entwickeln, und verlängert die Zeit bis zu einem zweiten Schub um mehr als ein Jahr [Comi G. Presented at AAN 2008, April 16, Chicago IL, 2008:LBS.003].
Vor dem Hintergrund dieser positiven Ergebnisse wurde die Zulassung des Präparats jetzt erweitert: Copaxone® ist nun auch angezeigt zur Therapie von Patienten mit einer klar definierten ersten klinischen Episode, die ein hohes Risiko haben, eine klinisch gesicherte MS zu entwickeln [4].
Gut verträgliche Option bei juveniler MS
Obwohl multiple Sklerose in den meisten Fällen erstmals bei Erwachsenen zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr auftritt, kann sich die Krankheit auch sehr viel früher manifestieren. So leiden in Deutschland etwa 120000 Menschen an MS, von denen etwa 6000 bereits in der Kindheit erkrankt sind. Da die schulischen und beruflichen Entwicklungschancen der jugendlichen Patienten durch multiple Sklerose meist erheblich beeinträchtigt werden, ist es wichtig, den Krankheitsverlauf durch eine verträgliche und effektive Therapie so früh wie möglich zu stabilisieren.
Im September 2008 wurde die Zulassung von Copaxone® auf Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr erweitert. Die Behandlung mit Glatirameracetat bietet für diese Patientengruppe eine gute Option, wie auch klinische Erfahrungen zeigen: So sind in der klinischen Datenbank „MUSIS“ des jüdischen Krankenhauses in Berlin mittlerweile 67 Patienten mit schubförmiger MS erfasst, die vor dem 16. Lebensjahr eine immunmodulatorische Therapie begonnen haben, davon 27 mit Glatirameracetat. Die tägliche Selbstinjektion des Präparats kann von den Jugendlichen problemlos durchgeführt werden. Nebenwirkungsprofil und Wirksamkeit entsprechen den guten Erfahrungen, die bei erwachsenen Patienten bislang gemacht wurden. Die Akzeptanz ist – aufgrund der guten Verträglichkeit und der Tatsache, dass keine Laborwertkontrollen notwendig sind – auch bei den Eltern sehr gut.
Fazit
Glatirameracetat bietet eine wirksame und verträgliche Option zur Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose, mit der sich die Symptome lindern und die Lebensqualität der Patienten langfristig verbessern lassen. Um das Risiko einer manifesten MS zu reduzieren und neurologische Schäden zu minimieren, ist es von entscheidender Bedeutung, den Immunmodulator frühzeitig, also bereits direkt nach Ausbildung eines CIS einzusetzen. Dabei können nicht nur erwachsene Patienten, sondern auch Jugendliche von der Behandlung profitieren.
Quellen
1. Prof. Dr. med. Ralf Gold, Bochum, Prof. Dr. med. Judith Haas, Berlin, Pressekonferenz „Fortschritt in der MS-Therapie – Zulassungserweiterung für Copaxone“, München, 2. April 2009, veranstaltet von Sanofi–Aventis Deutschland GmbH und Teva Pharma GmbH.
2. Ford CC, et al. A prospective open-label study of glatiramer acetate: over a decade of continuous use in multiple sclerosis. Multiple Sclerosis 2006;12:309–20.
3. Comi G, et al. Treatment with glatiramer acetate delays conversion to clinically definite multiple sclerosis (CDMS) in patients with clinically isolated syndromes (CIS). AAN 2008, LBS 003.
4. Fachinformation Copaxone® (Stand: Februar 2009).
Psychopharmakotherapie 2009; 16(03)