Reimund Freye, Baden-Baden
Derzeit stehen auf dem Markt eine Vielzahl von Antidepressiva aus den unterschiedlichsten Substanzklassen mit sehr differenten Zielmechanismen zur Verfügung. Sind diese Wirkstoffe alle notwendig oder bewegen wir uns, wie einige Gesundheitspolitiker mutmaßen, in einem Bereich zwischen Scheininnovation und Plazebo-Wirkstärke? Es gibt jedoch viele Facetten von depressiven Erkrankungen und individuell ausgeprägte Symptomprofile.
Sehr häufig auftretende Komponenten der Erkrankung sind – mit 73% – Energiemangel, Müdigkeit und Lustlosigkeit. Beim Vorherrschen einer solchen Symptomkonstellation ist eine Depression oft schwieriger zu behandeln, und birgt eine größere Gefahr der Chronifizierung in sich. Allerdings kann durch eine gezielte Behandlung im Hinblick auf bestimmte Monoamintransmitter eine Depression auch mit solcher Ausprägung exakter behandelt werden.
Dopamin ist eher mit Aufmerksamkeit, Antrieb und Freude assoziiert, die zerebrale noradrenerge Transmission wird hingegen vor allem mit Wachheit und Energie in Verbindung gebracht. Hingegen induziert ein Serotoninmangel Zwangsgedanken und -handlungen. Alle drei Neurotransmitter werden mit Interesse und Stimmung assoziiert.
Dieses vereinfachte Schema kann für eine symptomorientierte Behandlung herangezogen werden.
Bupropion
Erkrankungen, die sich vor allem durch Antriebslosigkeit und eine gestörte Aufmerksamkeit auszeichnen, können mit Bupropion (Elontril®), das ein gemischtes noradrenerg-dopaminerges Wirkungsprofil aufweist, wirksam behandelt werden.
In einer gepoolten Analyse von zehn Studien wurde durch Bupropion ebenso gut eine Remission, bestimmt mit der Hamilton-Depressionsskala, erreicht wie mit SSRI. Im Vergleich mit dem Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin, ebenfalls in einer gepoolten Datenanalyse verschiedener US-amerikanischer Studien untersucht, konnte mit dem Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI) Bupropion ein besseres Ansprechen und eine signifikant höhere Remissionsrate erzielt werden als mit Venlafaxin.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Somnolenz, sexuelle Funktionsstörungen und Gewichtszunahme liegen bei Bupropion auf Plazebo-Niveau.
Bei bestimmten Patienten ist Bupropion jedoch kontraindiziert. So kann es Schlaflosigkeit und Erregung verstärken und sollte daher bei suizidgefährdeten Patienten nicht angewendet werden. Ferner erniedrigt es dosisabhängig die Krampfschwelle. In Bezug auf Arzneistoffinteraktionen muss die Hemmung des Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzyms CYP2D6 beachtet werden.
Bei Patienten, deren Krankheitsschwerpunkt auf Interesseverlust, Antriebsmangel und Müdigkeit liegt, ist Bupropion eine gute Behandlungsoption. Zudem steht dieser Wirkstoff als Alternative zur Verfügung, wenn vornehmlich serotonerg wirkende Präparate kein Ansprechen erzielen oder wegen Nebenwirkungen vom Patienten abgelehnt werden.
Nebenwirkungen mit Auswirkungen auf die Compliance
Bei einer antidepressiven Therapie fühlen sich viele Patienten von Nebenwirkungen beeinträchtigt, so dass sie die Therapie ablehnen oder nach einiger Zeit sogar abbrechen. Dies bestätigt eine aktuelle Umfrage unter Depressions-Patienten in Deutschland: zwei Drittel der Patienten klagten über Müdigkeit und Somnolenz, 46% führten eine sexuelle Dysfunktion und 41% eine Gewichtszunahme auf ihre aktuelle medikamentöse Therapie zurück.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die depressive Erkrankung selbst oftmals bereits eine sexuelle Dysfunktion bewirkt, was der Depressionskranke aber erst realisiert, wenn es ihm aufgrund der medikamentösen Therapie psychisch besser geht.
In einer Studie von Clayton et al. konnte gezeigt werden, dass es oft zu einer Überlappung mit medikamenteninduzierten Nebenwirkungen kommt. Hier konnte ein deutlicher Zusammenhang zwischen einer therapeutischen Aktivierung des serotonergen und noradrenergen Systems und Sexualstörungen hergestellt werden.
In einer Untersuchung bei Patienten mit verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen konnte eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wahrnehmung der Verursachung der beeinträchtigten Sexualität festgestellt werden. So bringen Frauen sexuelle Funktionsstörungen eher mit Partnerproblemen in Verbindung, Männer sind hingegen mehr geneigt, diese auf Nebenwirkungen der Medikamente zurückzuführen. Die häufigste Attribuierung bei beiden Geschlechtern bezog sich allerdings auf die psychiatrische Erkrankung.
Diabetes mellitus und Depression
Eine psychiatrische Störung ist ein Prädiktor eines metabolischen Syndroms. Umgekehrt haben Menschen mit Diabetes mellitus ein doppelt so hohes Risiko an einer depressiven Störung zu erkranken.
Treten beide Erkrankungen, Diabetes mellitus und Depression, bei einer Person auf, so erhöht sich das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erheblich. Makrovaskuläre Komplikationen, also auch Herzinfarkt und Schlaganfall, vermehren sich um den Faktor 2,5; mikrovaskuläre Ereignisse sind sogar 8- bis 11fach erhöht. Gründe für diesen Zusammenhang zwischen Depression und metabolischem Syndrom, im Sinne gemeinsamer Ätiologien, sind unter anderem der erhöhte Cortisolspiegel sowie vermehrt auftretende proinflammatorische Faktoren, die auch eine Thromboseneigung forcieren.
Daher sollten bei der Behandlung einer Depression unbedingt auch das Körpergewicht und andere metabolische Parameter wie Lipid- oder Blutzuckerspiegel im Auge behalten werden. Neben der Auswahl der Antidepressiva, die durch ihr Wirkungsprofil dem metabolischen Syndrom möglichst keinen Vorschub leisten sollten, muss gerade bei Patienten mit beiden Krankheitskomponenten ein multimodales Management mit der Einbindung des Patienten in ein Sport- und Bewegungsprogramm empfohlen werden.
Quelle
Prof. Dr. Göran Hajak, Regensburg, Priv.-Doz. Dr. Kai-Uwe Kühn, Bonn, Prof. Dr. Dan Ziegler, Düsseldorf. Industriesymposium „Gewicht, Sexualität und Depression“, veranstaltet von Glaxo SmithKline im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychatrie, Pschotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 27. November 2008.
Psychopharmakotherapie 2009; 16(03)