Rosemarie Ziegler, Albershausen
Das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) wird als neurobiologische Funktionsstörung betrachtet, bei der einströmende Reize aus der Umwelt nicht richtig kanalisiert werden und Lern- und Gedächtnisfunktionen beeinträchtigt sind. Neurochemisch liegt vermutlich eine Störung der katecholaminergen, insbesondere dopaminergen Neurotransmission vor. Dopamintransportproteine werden bei ADHS vermehrt exprimiert, so dass die Verfügbarkeit von Dopamin im synaptischen Spalt eingeschränkt sein dürfte.
60 bis 70% der Kinder mit ADHS können wirksam mit Stimulanzien wie Methylphenidat (z. B. Ritalin®) behandelt werden. Deren unerwünschte Wirkungen (Übelkeit, Schlaflosigkeit, Gewichtsverlust) lassen die Eltern häufig nach „sanften“ Alternativtherapien suchen. Extrakte aus Hypericum perforatum (Johanniskraut) hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin und ähneln darin dem Antidepressivum Bupropion (Elontril®), das gelegentlich von Ärzten bei ADHS verschrieben wird, aber nicht für diese Indikation zugelassen ist, sowie auch dem für die ADHS-Indikation zugelassenen Atomoxetin (Strattera®). Die wichtigsten Inhaltsstoffe von Johanniskraut sind Hypericin und das allerdings sehr oxidationsanfällige Hyperforin. Besonders Letzteres wird für die Neurotransmitter-Wiederaufnahmehemmung verantwortlich gemacht.
US-amerikanische Komplementärmediziner haben jetzt die Ergebnisse einer doppelblinden Plazebo-kontrollierten Studie mit 54 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 17 Jahren mit einer ADHS-Diagnose veröffentlicht.
Nach einer einwöchigen Plazebo-Anlaufzeit wurden die Patienten randomisiert mit 300 mg Hypericum-perforatum-Extrakt (standardisiert auf 0,3% Hypericin) oder Plazebo, jeweils dreimal täglich für acht Wochen, behandelt. Andere ADHS-Medikationen waren während der Studie nicht erlaubt. Vor Beginn der Studie fand eine einwöchige Auswaschphase für Stimulanzien und eine zweiwöchige Auswaschphase für alle anderen Arzneistoffe statt, unter anderem, um Interaktionen aufgrund der Cytochrom-P450-3A4-induzierenden Wirkung von Johanniskraut auszuschließen.
Primäre Studienendpunkte waren:
- Änderung der ADHS-Symptome nach acht Wochen, bestimmt mit der ADHD Rating Scale IV (ADHD-RS-IV)
- Änderung der Clinical Global Impression Improvement Scale (CGI) nach acht Wochen
- Sicherheit
Studienergebnis
Zwischen Behandlungs- und Plazebo- Gruppe wurde kein signifikanter Unterschied bei der Krankheitsveränderung gefunden. Der Gesamtwert der ADHD-RS-IV unterschied sich nicht signifikant zwischen der Johanniskrautextrakt- und Plazebo-Gruppe (durchschnittliche Besserung um 4,4 Punkte [95%-KI: –7,9 bis –0,9] versus 5,2 Punkte [95%-KI: –9,4 bis –1,1]. Die Unaufmerksamkeit besserte sich um 2,6 Punkte (95%-KI: –4,6 bis –0,6) mit dem Johanniskrautextrakt gegenüber 3,2 Punkten (95%-KI: –5,7 bis –0,8) mit Plazebo (p=0,68). Die Hyperaktivität verbesserte sich um 1,8 Punkte (95%-KI: –3,7 bis 0,1) in der Verum-Gruppe versus 2,0 Punkte (95%-KI: –4,1 bis 0,1) mit Plazebo (p=0,89). Ebenso wenig gab es deutliche Unterschiede in der CGI-Skala oder im Prozentsatz der aufgetretenen Nebenwirkungen zwischen den beiden Gruppen.
Quelle
Weber W, et al. Hypericum perforatum (St. John’s Wort) for attention-deficit/hyperactivity disorder in children and adolescents. JAMA 2008;299:2633–41.
Psychopharmakotherapie 2008; 15(06)