Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller, München
In Zeiten der evidenzbasierten Medizin sind Leitlinien zu einer wichtigen Richtschnur ärztlichen Handelns auch in der Psychopharmakotherapie geworden. Leitlinien entstehen in verschiedenen Kontexten, werden von verschiedenen Gremien herausgegeben, und die Methodik ihrer Entwicklung folgt unterschiedlichen Ansätzen. Nationale Leitlinien berücksichtigen besonders stark die speziellen Versorgungs- und Behandlungstraditionen eines Landes, während internationale Leitlinien davon abstrahieren und in einer internationalen Konsensfindung vorrangig die empirische Wissensbasis im Fokus haben. Die World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) publiziert seit Jahren Leitlinien zur biologischen, vorwiegend medikamentösen Therapie verschiedener psychiatrischer Behandlungsgruppen, die von jeweils indikationsspezifischen Task-Forces bearbeitet worden sind. Hierbei wird versucht, nicht zu weit gehende Festlegungen zu machen, sondern in einer fairen Weise den komplexen Wissensstand im Sinne eines umfangreichen Reviews darzustellen und daraus vorsichtig Schlussfolgerungen für die klinische Entscheidungsfindung im Alltag abzuleiten, die auf internationaler Basis akzeptiert werden können. Die WFSBP-Behandlungsleitlinie zur biologischen Behandlung unipolar-depressiver Störungen, die 2007 in englischer Sprache im World Journal of Biological Psychiatry publiziert und inzwischen von den Erstautoren ins Deutsche übersetzt wurde, steht im Zentrum dieses PPT-Heftes. Diese Leitlinie ist vorrangig für die allgemeinärztliche Versorgung geschrieben worden, wie der Zusatz „primary care“ im Originaltitel erkennen lässt. Sie ist jedoch so informationsreich und differenziert, dass auch der psychiatrische Facharzt ausreichend komplexe, für ihn interessante Informationen darin findet. Da es eine entsprechend spezialisierte komplexe Leitlinie zur biologischen Behandlung der unipolaren Depression in Deutschland nicht gibt, ist die Publikation der ins Deutsche übersetzten WFSBP-Leitlinie von großer Bedeutung. Ihre Lektüre hilft dem Leser, viele Fragen der alltäglichen klinischen Praxis im Sinne des „State-of-the-art“ zu beantworten und seine eigenen Behandlungskompetenzen zu optimieren.
Es ist verdienstvoll, dass sich im selben Heft der PPT, das sich insgesamt dem Schwerpunktthema „Antidepressiva“ widmet, ein Beitrag zu Antidepressiva-Verordnungsgewohnheiten in deutschen psychiatrischen Krankenhäusern findet. Hier werden Ergebnisse einer Befragung der Bundesdirektorenkonferenz vorgestellt, die einen interessanten Einblick in die medikamentösen Behandlungsstrategien in Hinblick auf Antidepressiva geben. Sie lassen erfreulicherweise erkennen, dass offenbar zwischen Behandlungsleitlinien, -empfehlungen und Therapie in der stationären psychiatrischen Behandlung von Depression eine relativ gute Übereinstimmung besteht.
Weitere Beiträge zu anderen interessanten Themen runden dieses Heft ab. Insgesamt ein Heft mit hohem Weiterbildungswert, das ein hervorragendes Beispiel dafür ist, warum die PPT in der jüngsten LA-MED-Umfrage 2008 wiederum erfreuliche Ergebnisse (Abb.) erreicht hat. Ein LpA-Wert (Leser pro Ausgabe) von 60,9% zeigt uns, dass die PPT bei Ihnen „ankommt“.
In diesem Kontext ist auch erfreulich, dass das Heft rechtzeitig zum DGPPN-Kongress erscheint und somit den Fortbildungs- und Weiterbildungscharakter dieses Kongresses um einen entsprechenden psychopharmakotherapeutischen Aspekt bereichert.
Psychopharmakotherapie 2008; 15(06)